'); // --> SPIEGEL ONLINE - 16. Mai 2004, 11:41 URL: http://www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,300063,00.html Das Finale in Istanbul Mumien mit Bistrostühlen
Von Marianne Wellershoff Fast blind sang sich Max auf den achten Platz beim "Eurovision Song Contest". Die Ukraine holte sich den Sieg mit einem Troja-Tanz. Ein Abend für das Auge, das Ohr litt mit. | AFPRuslana: Trojanische Tänzerin aus der Ukraine | Hamburg - Er hat mit seiner Warnung Recht behalten: "Ich denke, dass die Konkurrenz sehr groß sein wird. Schätzt mich nicht zu weit vorne ein", sagte Max vor dem Finale des "Eurovision Song Contest". Denn nachdem er in der deutschen Endausscheidung mit 92 Prozent gewählt worden war und in Deutschland und Österreich Charterfolge feierte, schien es so, als müsse er auch beim europäischen Finale in Istanbul mit dem Song "Can't Wait Until Tonight" gewinnen. Doch dort landete er am Samstagabend (ARD, 21 Uhr) auf Platz 8 - was allerdings deutlich besser ist als Lou, die im vergangenen Jahr für Deutschland antrat und auf den 12. Platz kam.
Klicken Sie auf ein Bild, um die Fotostrecke zu starten (9 Bilder).
Sieger des modernisierten "Eurovision Song Contest", der früher "Grand Prix d'Eurovision de la Chanson" hieß, wurden die Teilnehmer aus der Ukraine - die der ARD-Kommentator Peter Urban als "einen der visuellen Höhepunkte des Abends" angekündigt hatte. Tatsächlich war schon der Songtitel "Wild Dance" Programm, denn nicht die Tanzgruppe begleitete die Sängerin Ruslana, sondern die Musik war nur notwendige Begleitung für den Tanz. Melodie und Text waren kaum identifizierbar, dafür aber hatte der Choreograf sich kräftig von der türkischen Vorjahressiegerin Sertab und ihrer Bauchtanzgruppe inspirieren lassen, und der Kostümbilder wollte offenbar vom Hype um Wolfgang Petersens Film "Troja" profitieren. Und so tanzten ukrainische Versionen von Brad Pitt in knappen Leder-Outfits blonde Haare schüttelnd um die Sängerin herum und schrien ab und zu "Wild Dance" - wahrscheinlich, um daran zu erinnern, dass es sich um einen Songwettbewerb handelt.
Den letzten Platz belegte Norwegen, das allein drei Freundschaftspunkte von Schweden bekommen hatte. Knut Anders Sœrum trug mit "High" einen angestaubten Song vor, der befürchten ließ, Ralph Siegel sei nach Norwegen umgezogen. Schade, denn die Norweger waren ansonsten modisch der Zeit (und der Konkurrenz allemal) voraus: Der Sänger im grauen Anzug (Grau wird nach dem pinkfarbenen Frühling im Herbst sein Comeback feiern), der Background-Chor in Slim-Fit-Hosen.
Augen auf für Max
Der deutsche Teilnehmer Max bemühte sich während seines Auftritts, endlich die Augen beim Singen zu öffnen, was ihm auch ungefähr vier Sekunden lang gelang. Und er stand sogar für zehn Sekunden vom Hocker auf, was der tänzerische Höhepunkt seiner Darbietung war. Als kleine Aufmerksamkeit für die Gastgeber sang Max eine Strophe auf Türkisch. Hinter ihm saß der Komponist Stefan Raab und grinste stolz, während er seinen Protegé auf der (wie immer bei dem Wettbewerb) nicht angeschlossenen Gitarre begleitete. Jedenfalls war "Can't Wait Until Tonight" musikalisch einer der besten Songs des Abends, was Raab zu einem mehr als würdigen Ralph-Siegel-Nachfolger macht - obwohl auch er nicht auf das abgeleierte Stilmittel der Rückung verzichtet hatte und die Melodie zwecks Dramatisierung im letzten Drittel ein paar Töne höher setzte.
Ralph Siegel selbst hatte in diesem Jahr nach Malta ausweichen müssen, wo er das Musical-Duo Julie & Ludwig bei ihrem Song "On Again... Off Again" unterstützt hatte. Und wieder war ihm einer der Tiefpunkte des Abends gelungen mit einem Song, der sich als scheußliche Mischung aus Kinderlied, Phantom der Oper und primitivem Disco-Wumm-Wumm-Wumm-Rhythmus erwies.
"Hot Stuff"
Überhaupt war, trotz der angeblichen Modernisierung, die musikalische und vor allem innovative Qualität des Wettbewerbs sehr zweifelhaft. Bosnien-Herzegowina schickte einen Song ins Finale, der den alten Disco-Knaller "Hot Stuff" kopierte, aber leider auch ruinierte; Kroatiens Komponist entpuppte sich als Fan des Siebziger-Jahre-Musicals "Hair"; die Belgierin schien sich einiges beim Latino-Star Ricky Martin abgehört zu haben; der mazedonische Sänger war offenbar von Prince mit einem Kostüm beliefert worden; die junge Russin und der Isländer trafen die Töne nicht.
Den Preis für den seltsamsten Song hätten die Polen verdient, die mit afrikanischem Gesang begannen, dann ins mehr Karibische überwechselten und noch ein für spanische Sommerhits typisches "un, dos, tres, quatro" einbauten. Die Sängerin trug dabei ein durchsichtiges Kleid, das Sarah Connors legendärem Fernsehauftritt alle Ehre machte, als ganz Deutschland über Vorhandensein oder Abwesenheit eines Slips rätselte. Den Preis für das sinnloseste Requisit steht Mazedonien zu, weil die Tänzer die ganze Zeit mit silbernen Bistro-Stühlen hantierten, während Frankreich mit seinen zu Mumien gewickelten Background-Sängern den Preis für das idiotischste Kostüm verdient.
Am eindrucksvollsten aber war, dass bei der anschließenden Telefonabstimmung die vielen Balkanländer sich alle gegenseitig Punkte gaben - und dabei ausgerechnet Serbien-Montenegro favorisierten. Vor ein paar Jahren hatten die Länder noch gegeneinander und vor allem gegen Serbien Krieg geführt. Wenn es um Musik geht, sind die alten Feindschaften offenbar vergessen. Das war wahrscheinlich die modernste Botschaft des "Eurovision Song Contest".
© SPIEGEL ONLINE 2004 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet GmbH
Zum Thema:
|