London/Wien. Die Spekulanten an den Rohstoffmärkten feiern seit Jahresbeginn neue Feste. Die Preise für die meisten Rohstoffe brechen neue Rekorde. Gold erreichte in der vergangenen Woche mit 575 Dollar je Unze ein neues 25-Jahres-Höchst, der Kupferpreis durchbrach erstmals die Marke von 5000 Dollar pro Tonne. Im Agrarsektor stieg der Zuckerpreis ebenfalls auf den höchsten Stand seit 25 Jahren. Zucker wird wegen seiner zunehmenden Verarbeitung zu Biokraftstoff zunehmend auch als Energieträger gesehen.
Kräftig nach oben geschossen sind zuletzt auch die Preise für Rohkaffee (siehe Grafik). Anfang Jänner durchbrach die Notierung die Ein-Dollar-Marke, zuletzt lag sie bei 104 US-Cent pro Pfund Rohkaffee, berichtet die Austria Presseagentur. Beim angeführten Kaffeepreis handelt es sich um einen nach Sorten und Handelsplätzen gewichteten Durchschnittspreis, der von der International Coffee Organization (ICO) täglich berechnet wird.
"Es ist die längste Rohstoff-Preishausse seit dem Ende der achtziger Jahre" bemerkt Ingrid Sternby von Barclays Capital. Ihre Kollegen bei Goldman Sachs sprechen von einem "Super-Zyklus", der noch bis 2008 andauern könnte. Wer 2005 zum richtigen Zeitpunkt in Metallen investiert habe, errechnet die US-Investmentbank Merrill Lynch, dürfte damit mehr als 50 Prozent verdient haben. Der Energieindex stieg in dieser Zeit um über 30 Prozent, soll jedoch im laufenden Jahr bei wachsendem Ölangebot nur noch im einstelligen Bereich wachsen, so Merrill Lynch. Sternby von Barclays ist anderer Meinung: der Ölpreis wird bis Jahresende aus geopolitischen Gründen auf über 70 Dollar ansteigen. Viele der für 2006 vorausgesagten Höchstwerte bei den Preisen sowohl für agrarische als auch industrielle Rohstoffe sind bereits erreicht. So waren die Experten der Londoner Instituts GFMS von einem durchschnittlichen Goldpreis von lediglich 520 Dollar für die erste Jahreshälfte ausgegangen. Der hohe Ölpreis und das daraus resultierende Inflationspotenzial sowie die politischen Spannungen rund um den Iran gelten als treibende Kraft hinter dem gegenwärtigen Anstieg auf über 570 Dollar. Dazu kommt das beträchtlich gewachsene Anlegerinteresse.
Eine kräftige spekulative Nachfrage treibt derzeit auch den Silberpreis. Dieser näherte sich in der vergangenen Woche mit fast zehn Dollar je Unze dem höchsten Stand seit dem Jahr 1984. Die in Kürze erwartete Zulassung sogenannter Exchange Trade Funds (Zertifikate, mit denen man auf die Entwicklung des Silberpreises spekulieren kann) durch die US-Wertpapier- und Börsekommission SEC lässt Anleger einen zusätzlichen Nachfrageschub nach dem Edelmetall erwarten.
Die robuste Verfassung der gegenwärtigen Preishausse bei den Industriemetallen glaubt Michael Lewis von der Deutschen Bank in London auch daran demonstrieren zu können, dass die Preise für nahezu sämtliche Metalle trotz der seit dem Oktober 2005 deutlich gestiegenen Vorräte weiter gestiegen sind. Lewis hält Aluminium derzeit für am stärksten unterbewertet.
Sternby von Barclays Capital macht sich denn auch keine allzu großen Sorgen über eine mögliche Korrektur der Preise. "Das kräftige Wachstum der Weltwirtschaft und die boomende Nachfrage nach Rohstoffen der Industrialisierungs-Riesen China und Indien werden die Preise noch auf absehbare Zeit weiter steigen lassen". Außerdem dürfte das Bergbau-Angebot an den Metallen vor allem wegen der stark gestiegenen Kosten nur langsam zunehmen. Beispiel Rio Tinto: Die Erweiterungsinvestitionen stiegen 2005 um knapp 20 Prozent, ihr Anteil an den Einnahmen sank jedoch auf den niedrigsten Stand seit zwölf Jahren.
Weder bei Kupfer noch bei Aluminium und Zink werde es 2006 zu einer wesentlichen Steigerung des Angebots kommen, meinen auch die Experten von Merrill Lynch. Auch sie sind über den weiteren Preistrend zuversichtlich. Außerdem dürften sich langsam auch im Agrarsektor Versorgungsengpässe manifestieren, ähnlich wie bei den Metallen wegen unzulänglicher Erweiterungsinvestitionen in den letzten Jahren. Die Preise für Baumwolle und Zucker böten derzeit das größte Auftriebspotenzial. Bei Getreide sei dagegen noch die reichlichen Ernte von 2005 zu verdauen.
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