Falsches KalkülHisbollah wollte Israel in eine strategische Falle locken. Doch der Kriegsverlauf zeigt: Israel tappt nicht hinein Von Josef Joffe Im dürren Jargon der Strategen lässt sich dieser Krieg in einem Satz erklären: Hisbollah und ihre Hintermänner in Damaskus und Teheran haben eine taktische Überraschung gesät, aber eine strategische Überraschung geerntet. Israels Feinde sieht man selten: Das rare Foto eines Hisbollah-Untergrund-Kämpfers © Tanya Habjouqa/WPN/Focus Die taktische lief ab wie im Lehrbuch. Am 12. Juli schleicht ein Hisbollah-Trupp über die Grenze und entführt zwei israelische Soldaten. Plangemäß jagen deren Kameraden hinterher und laufen in die Falle. Eine gut platzierte Mine zerreißt einen ihrer Panzer, die zur Hilfe eilenden Soldaten geraten in einen Hinterhalt. Insgesamt sterben acht Israelis. Es hätte ein hübscher kleiner Sieg sein können, wie so viele Stoßtrupp-Unternehmen und Raketen-Attacken seit 2000, als die Israelis nach 18 Jahren Besetzung den Süd-Libanon räumten, um hernach nur symbolisch zu reagieren. Es hätte so ausgehen können, wie im Januar 2004, als die Regierung Scharon über 400 Häftlinge gegen drei getötete Soldaten sowie einen dubiosen israelischen Geschäftsmann tauschte, dem Drogenhandel nachgesagt wurde. Hassan Nasrallah, der Hisbollah-Chef, hätte sich als Held aller Gläubigen feiern lassen, etwa in der Art des iranischen Oberherrn Ahmadineschad: »Wir werden bald die Ausmerzung des zionistischen Schandflecks erleben.« Diesmal aber spielten die Israelis nicht mit. Zu viele Rechnungen mit Hisbollah waren aufgelaufen. Außerdem musste Scharon-Erbe Ehud Olmert, Zivilist in einer langen Reihe von »Soldatenkönigen« wie Scharon, Barak und Rabin, kein militärisches Genie sein, um zu checken, dass Nasrallah nur ein Läufer auf dem Brett war, an den Syrien und Iran die Vorgaben wie auch die Waffen lieferten – und deshalb die strategische Überraschung: ein breit angelegter Schlag, der bis in die Hisbollah-Quartiere im Süden Beiruts reichte. Martin Kramer vom Washington Institute for Near East Policy resümiert: »Ich bezweifle, dass Hisbollah eine so schnelle, massive und gewaltsame Reaktion erwartet hatte. Sie glaubte wohl, ein paar Punkte in der arabischen öffentlichen Meinung sammeln und die Spielregeln zu ihren Gunsten umschreiben zu können.« Die zweite große Überraschung war eine politische, die das Trio der Zündler gewiss nicht eingepreist hatte. Nasrallah mag gehofft haben, den »Nasser« geben zu können, den ägyptischen Diktator, der in den fünfziger und sechziger Jahren die arabische Welt mit seinen Provokationen gegen Israel und den Westen hinter sich zu einen hoffte. (Er erntete die vernichtende Niederlage im Sechstagekrieg.) War nicht die »Partei Gottes« eine der letzten Kräfte in Nahost, die den jüdischen und amerikanischen »Kreuzfahrern« die Stirn zu bieten wagte? Dieses politische Kalkül ging erst recht nicht auf. Während am Ende der zweiten Kriegswoche die strategische Situation noch unklar war, liefen die politischen Trends von Anfang an gegen Nasrallah und Genossen. Lauschen wir dem saudischen Außenminister Saud al-Faisal, dem Vertreter einer Regierung, die sonst nie aus der Deckung geht. Das Tun von Hisbollah, dozierte er am Wochenende vor der Arabischen Liga, sei »unerwartet, unpassend und verantwortungslos«. Es werde »die gesamte Region um Jahre zurückwerfen, was wir nicht akzeptieren können«. Applaus von Ägypten, Jordanien, dem Irak, den kleinen Golfstaaten und der Palästinenser-Behörde des Machmud Abbas. Warum dieser »Verrat« an der islamischen Sache? Weil die Potentaten blitzschnell erkannt hatten, wes Lied Hisbollah sang. Sie wissen sehr wohl, dass es nicht um Israel geht, sondern um den Erzfeind Iran. Sie wissen, dass es sich kurzfristig um ein Ablenkungsmanöver handelte, das westlichen Druck (erstmals ziehen EU und USA am selben Strang) von der iranischen Atomrüstung nehmen sollte. Längerfristig ging es um eine Achse Teheran–Damaskus–Hisbollah, die erstmalig seit dem Sieg der Araber über die persischen Sassaniden im 7. Jahrhundert den Einfluss Irans bis in die Levante ausdehnen möge. Gegen diesen Machtanspruch wirkt das »zionistische Gebilde« wie ein lästiger Zwerg. Diesen politischen Rahmen zu skizzieren muss der Bewertung des Kriegsverlaufs vorangehen, weil es sich hier trotz aller religiöser Fantasmen um einen »clausewitzschen Krieg« handelt, um Waffengewalt im Dienste der Politik. Israels Ziele sind klar: Es will die Bedrohung im Norden, die schon Haifa erreicht hat, beseitigen, zumindest auf ein erträgliches Maß reduzieren. Politisch will Israel Hisbollah den Siegermythos rauben, deren »Staat im Staat« so weit zurückdrängen, dass sie den Libanon nicht zum Sprungbrett für Iran umfunktionieren kann. Gegenüber Damaskus soll wieder das Abschreckungsmoment hergestellt werden, das Syrien unter dem älteren Assad trotz aller Verweigerungspolitik zum verlässlichen Stabilitätspartner gemacht hatte. Und den iranischen Ambitionen soll ein Dämpfer aufgesetzt werden. Demgegenüber hoffte Hisbollah, die Israelis in eine strategische Falle zu locken, in der ihre von Iran ausgebildete Armee alle Vorteile der »asymmetrischen Kriegführung« ausspielen könnte: einen großräumigen Guerillakrieg mit kleinen Einheiten wie im Irak plus Raketenangriffe auf zivile Ziele in Israel, die sich zur Ausblutungsstrategie summieren. Die hatte sich nach 18 Jahren Besetzung schließlich ausgezahlt, als Ehud Barak 2000 seine Armee zurückbeorderte. Nur lassen sich die Israelis diesmal nicht auf dieses Spiel ein. Sie kämpfen aus der Luft, schneiden die Nachschubwege ab und ziehen sich nach jedem Vorstoß auf libanesisches Gebiet wieder zurück – wie in Gaza. Vor allem respektieren sie die politischen Grenzen dieses Krieges. Diesmal hängt niemand den Illusionen des Ariel Scharon nach, der mit dem Einmarsch von 1982 eine genehme Regierung in Beirut zu installieren hoffte. Es geht um die Schwächung von Hisbollah und die Ernüchterung Teherans – mehr nicht. Bislang hat Israel es auch peinlichst vermieden, Syrien in den Krieg zu ziehen, denn Damaskus wird noch gebraucht – und die arabischen Staaten werden es sowieso. In diesem Krieg entpuppt sich abermals als allzu schlichte Lesart die Vorstellung, wonach der Konflikt nur einer zwischen Arabern und Israelis sei. Nahost ist ein Spiegelkabinett, in der Todfeinde als stille Teilhaber agieren. Die meisten Araber verstehen sehr wohl, dass ihr eigentlicher Gegner Iran ist – und Israel weiß, dass es den Krieg im Libanon nicht zu weit treiben darf, wenn es die stillschweigende Unterstützung der Nachbarstaaten nicht riskieren will. Und das offene Wohlwollen Amerikas wie auch die schweigende Zustimmung jener Europäer, die diesmal nicht sofort nach einem Waffenstillstand gerufen haben. Ein paar Tage noch hat Israel freie Hand. Und dann? Eine Friedenstruppe? Kein rational handelnder Staat wird seine Soldaten zwischen Hisbollah und Israel schieben – es sei denn, Syrien und Iran legen ihren Kampfhund zuverlässig wieder an die Kette. Syrien ist jetzt die Schlüsselfigur auf dem Brett, weshalb sich alle Geheimdiplomatie jenseits der rein symbolischen Rom-Konferenz vom Mittwoch auf den jungen Diktator Baschar konzentrieren wird. Washington wird eigene und israelische Angebote nach Damaskus tragen, unterstützt von Paris. Das Ziel liegt auf der Hand: einen Keil zwischen Iran und Syrien zu treiben. Hinter dem Zuckerbrot die Peitsche: die stille Drohung der Israelis, Syriens Zufahrtswege in den Libanon dauerhaft aus der Luft zu blockieren. Heute wird auch so mancher Zyniker im Westen darüber nachdenken, wie klug es war, die Ordnungsmacht Syrien 2005 aus dem Libanon zu vertreiben. Solange die Syrer den Nachbarstaat kujonierten, herrschte relative Ruhe an der Südgrenze. Der Triumph der Demokratie, der voriges Jahr so laut gefeiert wurde? Die brachte Hisbollah in die Regierung (zwei Minister), ohne sie zu zähmen. Wenn der Bomben- und Raketenlärm vorbei ist, Hunderttausende von Flüchtlingen wieder in die Heimat zurückgekehrt sind, wird der Westen keine erhebende Bilanz ziehen. Das demokratische Experiment in Palästina und im Libanon hat zwei Gruppen – Hamas und Hisbollah – an die Macht gebracht, die ihre Völker in einen idiotischen Krieg gegen Israel gezogen haben. Welches arabische Land wird derlei »Demokratisierung« noch einmal zulassen? Macht gebiert eben keine Verantwortung in dieser »civilization of clashes«, um das berühmte Wort von Samuel Huntington umzudrehen. Und die Israelis? Sie haben Land geräumt und Krieg geerntet. Nicht »Land für Frieden« war die Devise von Hisbollah und Hamas, sondern »Land für Krieg«, wie der frühere US-Nahostbeauftragte Dennis Ross anmerkt. Das dürfte das vorläufige Ende aller Abzugspläne aus dem Westjordanland sein. Wie immer dieser Krieg ausgeht (Eskalation nicht ausgeschlossen), wird der saudische Außenminister Recht behalten: Die abenteuerliche Fehlkalkulation von Hisbollah und Co. »wird die gesamte Region um Jahre zurückwerfen«. www.zeit.de
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