Die Moslems in Großbritannien, der Terror und die Freiheit der Rede.
Von Thomas Kielinger
Vor einigen Monaten lief über die BBC eine besonders eindringliche Hintergrundsendung über den Rat der Britischen Muslime (MCB), die wichtigste Dachorganisation der britischen islamischen Gemeinde. Der "Rat" gilt als Scharnierstelle moderater muslimischer Führung, weshalb die Downing Street auch seit langem mit ihm zur Besänftigung der aufgebrachten Stimmung im islamischen Lager auf der Insel im Dialog steht.
Zu den in der Sendung Interviewten gehörte auch Sir Iqbal Sacranie, der damalige Direktor des MCB. Sein Gesprächspartner kam sofort auf das für Muslime anstößigste Thema überhaupt zu sprechen, den "Krieg gegen den Terror". Ob es nicht seine, Sir Iqbals, wichtigste Aufgabe als Führungsgestalt des moderaten Islam sei, jugendliche Fanatiker in der Gemeinde von der abstrusen Unterstellung abzubringen, beim Krieg im Irak - was immer man gegen ihn einzuwenden habe, und das sei viel - handele es sich um einen "Krieg gegen den Islam"?
Die Antwort Sacranies wirft ein erhellendes Licht auf die beunruhigend gestörten Beziehungen zwischen der muslimischen Minderheit und der britischen Gesellschaft insgesamt: "Was die Motive für den Krieg angehen, so wissen wir darüber nichts, niemand weiß darüber Genaues." Die ausweichende Reaktion verriet, wie schwer ein ansonsten kultivierter Mann es über sich bringt, die Wahrheit beim Namen zu nennen. Das Wort "Demokratie" fehlte in seinen Auslassungen, er vermied es, wenigstens anzuerkennen, dass es zu der überragenden Motivation für die Intervention im Irak gehört, in einer islamischen Gesellschaft den demokratischen way of life einzupflanzen.
Die Geschichte wird darüber urteilen, ob diese Hoffnung deplatziert ist oder war, aber an der Antwort dieses führenden britischen Muslim mag man ablesen, dass das kostspielige Experiment womöglich zum Scheitern verurteilt ist. Denn schon im britischen demokratischen Milieu, ("dem freiesten der westlichen Welt", wie Sacranies Nachfolger Muhammad Abdul Bari in der "Times" anerkannte), erscheint einigen Muslimen Integration selber wie abstoßend, Akkulturation wie eine Zumutung. Man atmet die Luft des Rechtsstaates, lebt von seinen Freiräumen, aber lehnt deren Prämissen als dekadent und korrupt ab.
Auf der Messerschneide solcher Konfusion leben die moderaten muslimischen Führer. Sie geben vor, mithelfen zu wollen, den Respekt für den Rechtsstaat hochzuhalten, aber im Zweifelsfall stellen sie sich auf die Seite der Empörten in den eigenen Reihen und versäumen es, eine klare Trennlinie zu ziehen zwischen legitimen Beschwerdepunkten gegenüber der blairschen Politik und dem Schritt in die Gewalttat. Einen Satz wie den folgenden aus dem linksliberalen "Observer" wird man nicht aus muslimischem Munde zu hören bekommen: "Jeder, der aufgrund seiner kulturellen Entfremdung den Beschluss fasst, unterschiedslos zu töten, hat die Linie zu psychopathischer Kriminalität überschritten."
Die Briten müssen umlernen, sich auf Misstrauen und Besorgnis einstellen, dass etwas an ihrem multikulturellen Modell nicht gelingt. Anders als in den USA, wo der Einwanderer sehr schnell lernt, als "Bindestrich-Amerikaner" neu geboren zu werden und seinen Platz im patriotischen Gesamten zu finden, pflegt auf der Insel eine kleine Gruppe hauptsächlich aus Pakistan eingewanderter radikaler Muslime gezielt Vorbehalte gegenüber der Gastkultur. Auch vorsichtig artikulierte Distanzierungen eines "Moderaten" wie Sir Iqbal wirken dabei wie Wasser auf die Mühlen des Radikalismus. Das wird jetzt zur Gefahr für das Gleichgewicht des Ganzen.
Ein John Milton, der auf der Insel früh für die Freiheit der Rede stritt und litt, muss sich im Grabe umdrehen angesichts eines Pamphlets, das jetzt im Umkreis der vorige Woche Festgenommenen aufgefunden wurde. "Die Redefreiheit", heißt es darin, "ist unleugbar eines der zentralen Belege für den moralischen Abstieg, wie ihn die Ungläubigen bei sich herausgebildet haben."
Radikalismus solcher Tonart ist nichts Neues in England, bei vielen Sonntagspredigern an Londons Hyde Park Corner gehörte er geradezu zur Tradition. Die Freiheit der Rede. Gutgläubigkeit ließ auch ihre extremen Formen gewähren, wie man bis in die jüngsten Jahre hinein selbst Hassprediger von der Art eines Abu Hamza gewähren ließ. Unvorstellbar, dass diese Leute wirklich meinten, was sie sagten. Aus der Unvorstellbarkeit ist jetzt brutale Realität geworden, und die Briten erleiden einen Quantensprung des kulturellen Erwachens. Da wird es immer schwerer, eine Balance zu finden zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und der Vorsorge für die allgemeine Sicherheit. Infelix Britannia.
Artikel erschienen am Tue, 15. August 2006
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