SONNTAG, 01. NOVEMBER 2015
TECHNIK & MOTOR
Kann eine Heizung auch Strom erzeugen?
In einem europäischen Großversuch testen 1000 Haushalte neue Brennstoffzellenheizungen. Als Kraftwerk im Keller sollen sie besonders effizient arbeiten. Von Johannes Winterhagen
Unabhängiger von der öffentlichen Stromversorgung werden, das ist das große Versprechen der Solarindustrie. Doch längst eignet sich nicht mehr jedes Einfamilienhaus dafür, eine Photovoltaikanlage zu installieren. Vor allem wenn eine ungünstige Lage mit geringer Sonneneinstrahlung und ein sehr geringer Eigenverbrauch zusammentreffen, ist die früher sicher verzinste Geldanlage angesichts der abgesenkten Einspeisevergütung eine Risiko-Investition.
Wer seinen Strom dennoch selbst erzeugen will, kann von den großen Gaskraftwerken lernen: Sie erzeugen Strom und Wärme parallel, auf dass die im Brennstoff enthaltene Energie optimal genutzt wird. Als Kraftwerk im Keller dienen sogenannte Mikro-KWK-Anlagen (das Kürzel KWK steht für „Kraft-Wärme-Kopplung“). Sie arbeiten meist mit kleinen Verbrennungsmotoren, die mit Erdgas, aber auch mit Heiz- oder sogar Rapsöl betrieben werden können. Das Problem: Die meisten dieser Motoren sind für ein Einfamilienhaus zu groß, zudem entstehen Abgase, die – wie im Fahrzeug – gereinigt werden müssen. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Enefield“ erproben europaweit 1000 Haushalte nun eine neue Technik: die Brennstoffzelle.
Wer sich für Kraftfahrzeugtechnik interessiert, mag zunächst erschrecken: Denn die im Auto verwendeten Brennstoffzellen gewinnen Strom aus dem leicht flüchtigen und hoch entzündlichen Wasserstoff; dementsprechend hoch ist der Sicherheitsaufwand an der Tankstelle und im Fahrzeug. Auf das Eigenheim zu übertragen ist diese Technik nicht, daher gewinnt dort die Brennstoffzelle den Wasserstoff aus gewöhnlichem Erdgas. Da der Wasserstoff kontinuierlich in sehr geringen Mengen erzeugt und sofort in der Brennstoffzelle verbraucht wird, besteht keinerlei Gefahr – jedenfalls keine höhere als bei einer heutigen Gastherme.
Im Herzen der Brennstoffzelle – einer halb durchlässigen Keramikmembran – geht es dem Wasserstoff dann an den Kragen. Die aus jeweils zwei Atomen bestehenden Moleküle werden zerlegt. Dabei werden Elektronen frei, die über einen Leiter abfließen – auf diese Weise erzeugt die Brennstoffzelle elektrischen Strom. Auf der anderen Seite der Membran wird nun Sauerstoff aus der Luft zugeführt, ein Molekül, das unter Normalbedingungen ebenfalls immer aus zwei Atomen besteht. Auch diese Zwillingspärchen müssen sich trennen, sie gehen mit jeweils zwei Elektronen fremd und können so die Membran passieren. Auf der anderen Seite angekommen, schnappen sich die doppelt negativ geladenen Sauerstoffatome nun jeweils ein Wasserstoffatom, und es entsteht reines Wasser. Bei dieser Reaktion wird Wärme frei, mit der ein Warmwasserkreislauf betrieben werden kann. Die Brennstoffzelle arbeitet – verglichen mit einem Verbrennungsmotor – mit einem höheren Wirkungsgrad; er beträgt, allein auf die Stromerzeugung bezogen, rund 45 Prozent.
Großer Haken aller Kleinkraftwerke: Der Mensch braucht nicht immer gleichmäßig viel Strom und Wärme, der Wärmebedarf schwankt über das Jahr erheblich, der Strombedarf hingegen vor allem im Tagesverlauf. Ständiges Ein- und Ausschalten verbietet sich, besonders bei den verbreiteten Hochtemperatur-Festkörperzellen, die mit rund 800 Grad Celsius arbeiten. Daher werden die Zellen in einer KWK für den Hausgebrauch auf eine relativ geringe elektrische Leistung ausgelegt. Die Testgeräte von Buderus kommen beispielsweise mit 700 Watt aus, Vaillant spendiert der aktuellen Generation 800 Watt. Zu wenig also, um auch nur alle vier Kochplatten eines Elektroherds gleichzeitig zu betreiben. Der fehlende Strom kann jedoch aus dem öffentlichen Netz entnommen werden. Umgekehrt wird überschüssiger Strom in dieses Netz gespeist. Auch den Wärmebedarf kann die Brennstoffzelle allein nicht decken, zumindest nicht im Winter. Zwar produziert sie Wärme auf Vorrat, die in einem Warmwasserkessel gebunkert wird. Reicht das nicht, springt ein kleiner Gas-Brennwertkessel ein, der in die KWK-Anlage integriert ist.
Lohnt denn der ganze technische Aufwand überhaupt? Erste Ergebnisse der Testinstallationen zeigen, dass ein relativ hoher Anteil des Strombedarfs durch eine Brennstoffzellenheizung gedeckt werden kann. In einem neu gebauten, energetisch optimierten Einfamilienhaus in Wetzlar wurde nach Daten von Buderus eine Eigenverbrauchsquote von 57 Prozent gemessen, in einem aus dem Jahr 1984 stammenden Altbau sogar 81 Prozent. Die Eigenverbrauchsquote möglichst hoch zu halten lohnt sich, weil der Preis für die Kilowattstunde aus dem Netz etwa dreimal so hoch ist wie die für nicht verbrauchten Strom bezahlte Einspeisevergütung. Generell zeigen die Ergebnisse, dass die Quote steigt, je mehr Strom in einem Haushalt verbraucht wird. Dem deutlich billigeren Strom gegenzurechnen ist der um etwa zehn Prozent höhere Erdgasverbrauch. Für den Hausbesitzer ist freilich der Anschaffungspreis eine entscheidende Größe – und der fällt deutlich höher aus. Die ersten Brennstoffzellen-Kraftwerke sind schon am Markt, doch derzeit noch zu eher symbolischen Verkaufspreisen. Ab 2016 sollen dann mehrere Anbieter konkurrieren und für fallende Kosten sorgen.
|