Kunsthalle Osnabrück: Banale Kunst und ein politischer Skandal Von Ralf Döring | 16.06.2024, 16:25 Uhr 3 Leserkommentare Kunsthalle: Eröffnung Jahresthema: "Kinder, hört mal her"; Performance von Sophia Süßmilch
Die Performance zu Eröffnung des Themenschwerpunkts „Kinder, hört mal alle her“ hat im Vorfeld große Wellen geschlagen; die CDU Osnabrück hat gar zum Boykott der Ausstellung aufgerufen. Da stellt sich die Frage: Warum?
Zunächst eine Trigger-Warnung: Dieser Text stammt von einem weißen, 59-jährigen Cis-Mann. Das erklärt dann vielleicht, warum der Autor nicht traurig darüber ist, „dass er kein Leben geben kann“, wie es der erste der „kannibalistischen Choräle“ postuliert. Diese Choräle bilden den Soundtrack für die Performance, mit dem die Installation „Then I‘ll huff and I‘ll puff and I‘ll blow your house in“ (Ich werde husten und prusten und dir dein Haus wegpusten) von Sophia Süßmilch in der Kunsthalle Osnabrück eröffnet wird.
Rund 350 Gäste verfolgen die Performance im Kirchenschiff der Kunsthalle, trotz Boykottaufruf der Osnabrücker CDU. Oder gerade deswegen? „Ich bin gekommen, weil ich auf ,Spiegel Online‘ von dem angeblichen Skandal gelesen habe“, sagt ein Gast, der eigens aus Ibbenbüren angereist war. Viele Gäste von Außerhalb
Tatsächlich haben Kenner der Kunsthalle festgestellt, dass viele Gäste eigens nach Osnabrück gekommen waren, um die Performance zu erleben. Das erklärt sich aber weniger aus der Skandalisierung durch die lokale CDU, sondern aus dem Status, den die Performerin Sophia Süßmilch in Kunstkreisen genießt.
Ob sich dieser Status wiederum aus der Kunst der 1983 geborenen Österreicherin speist, bleibt nach der Performance in der Kunsthalle eine offene Frage. Die war nämlich höchst banal und handwerklich, Verzeihung: lausig gemacht. Aufregerpotenzial hatte sie trotzdem.
Denn es ging, so viel war im Vorfeld klar, um Kannibalismus, genauer: um Kinder, die verspeist werden sollten. Da gibt es, im fünften „Choral“, eine Auflistung kannibalistischer Gerichte, alle schön im Wagner‘schen Stabreim gehalten und vermutlich witzig gemeint, in der Geballtheit aber doch eher von fast pubertärer Albernheit. Wie provokant sind nac kte Künstler?
Insgesamt sieben dieser „Choräle“ strukturieren die Performance, vorgetragen von der Sopranistin Henrike Henoch – das immerhin mit schöner Stimme – und begleitet von Carina Silvia Madsius am Klavier. Vor ihnen wuseln neun Performerinnen durch die Kunsthalle, um Musik und Texte zu illustrieren. Und ach ja, die Performerinnen agieren nac kt. Also fast.
Der Raum der Toleranz ist enger geworden
Über diesen Selbstwiderspruch hinaus setzt diese Ausstellung jene Debatte in Gang, die zu erwarten war. Ihre zentrale Frage: Was darf Kunst? Und darf sie wirklich alles? Der Hinweis, dass Künstler wie Peter Weibel oder Marina Abramović schon vor Jahrzehnten ihre Performances nac kt aufgeführt haben, hilft jetzt nicht weiter. Was früher mit Gleichmut hingenommen wurde, verstört heute wieder. Der Raum der Toleranz für provozierende Kunst, er ist spürbar enger geworden.
In diesem Fall ist das sogar verständlich. Die Freiheit der Kunst ist ein sehr hohes Gut. Aber diese Freiheit setzt auch besondere Maßstäbe der Verantwortung. Wer Kinder und Kannibalismus zusammenbringt, muss sich Fragen nach seiner Verantwortung gefallen lassen. Das gilt allerdings auch für jene, die jetzt nicht nur eine Ausstellung kritisieren, sondern gleich danach rufen, Kunst der Genehmigung zu unterwerfen. Ihre Freiheit wäre damit dahin.
Debatte erinnert an Disput um Documenta
Bei aller Differenz der Dimensionen: Die Debatte um die Osnabrücker Ausstellung erinnert in ihren Grundlinien an den Disput um die letzte Documenta, die mit antisemitischen Bildmotiven so tief in den Skandal rutschte, dass sogar das Format selbst in Frage gestellt wurde. Was darf Kunst? Und wie verhält sich ihre Freiheit zu ethischen Grundsätzen? Über diese Fragen wird jetzt wieder gestritten. Zu Recht. Denn zur Freiheit der Kunst gehört der Streit über ihre Grundsätze und ihre Position in der Gesellschaft.
Genau dieser Debatte wäre nun auch in der Osnabrücker Kunsthalle Raum zu geben. Einstweilen bleibt das Ärgernis eines Angebots, dass sich an Familien richtet und zugleich Kinder ausschließt. Es bleibt das Unverständnis für mangelnde kuratorische Sorgfalt. Jetzt gibt es jede Menge Redebedarf. Der entzündet sich an einem künstlerischen Beitrag, der nicht nur gründlich befremdet, sondern vor allem die Kenntnisnahme nicht lohnt.
Alle Frauen tragen nämlich Meerschweinchenmasken im Gesicht und schwarze Hauben, wie sie Frauen im 19. Jahrhundert trugen. Das garantiert den Frauen Anonymität und verweist auf die Bezugspunkte der Performance: einmal Grimm‘sche Märchen wie „Hänsel und Gretel“, in dem ja die Hexe den Hänsel verspeisen will. Der Titel wiederum ist dem Märchen „Die drei kleinen Schweinchen“ entnommen, wo ein Wolf die Schweinchen verspeisen will. Die Meerschweinchen schließlich stehen für Ambivalenz: Bei uns gelten sie als Kuscheltiere für Kinder; anderswo landen sie als Delikatesse auf dem Teller. Was für eine Doppelbödigkeit. Es geht um Femininsmus
Vor allem aber ist die Performance feministisch grundiert. Denn alles Leid der Welt gründet aus Süßmilch-Sicht auf die Tatsache, dass Männer keine Kinder kriegen können und aus diesem Frust heraus Kriege entfachen und Frauen vergewaltigen. Um diesen Fluss der Menschheitsgeschichte zu stoppen, sollen Frauen das Gebären verweigern und die geborenen Kinder eben verspeisen.
Das ist inhaltlich höchst krude – aber rechtfertigt das einen Boykott, wie die CDU fordert? Künstlerisch schürft die Performance auf einem Niveau unterhalb des Fliesenbodens in der Kunsthalle, aber schlechte Kunst war noch nie ein Grund für Verbote.
Umso verwunderlicher ist die Pressemitteilung der CDU-Ratsfraktion. Am Samstag in der Mittagszeit, also vier Stunden vor Ausstellungseröffnung, erreicht sie die Redaktionen; nicht nur noz.de greift sie auf, sondern auch die Nachrichtenagenturen und im Nachgang spiegel.de und eine Reihe anderer Onlinemedien. Wie unzumutbar ist die Performance?
Darin rufen die beiden Vorsitzenden Marius Keite, Vorsitzender der CDU-Stadtratsfraktion, und Kreisvorsitzende und Abgeordnete im niedersächsischen Landtag Verena Kämmerling zum Boykott der Ausstellung auf. Unter anderem heißt es, bezogen auf die Süßmilch-Performance: „Solche Darstellungen sind nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene unzumutbar und entbehren jeglichen Respekts vor menschlichen Werten und Würde.“
Nun muss die Frage von Zumutbarkeit jeder für sich selbst entscheiden, so wie auch jeder Mann für sich entscheiden kann, was es mit ihm macht, nicht gebären zu können. Brisanter ist eine andere Forderung: „Der CDU-Kreisverband Osnabrück und die CDU-Stadtratsfraktion Osnabrück werden sich weiterhin dafür einsetzen, dass in unserer Stadt Kunst gefördert wird, die unser kulturelles Erbe respektiert und die Werte unserer Gemeinschaft widerspiegelt.“ Diese populistische Forderung stellt nämlich nicht weniger als die Freiheit der Kunst infrage, und das ist skandalöser als schlechte Kunst. Angeschaut hat sich die Performance übrigens keiner der CDU-Politiker. CDU entfacht Kunsthallen-Debatte neu
Abschließend steht dann die Institution Kunsthalle als solche zur Disposition: „Die CDU sieht sich in jeder Hinsicht in ihrer Forderung bestätigt, dass das Konzept der Kunsthalle insgesamt überdacht werden muss.“ Die Debatte ist nicht neu: Bereits im Kommunalwahlkampf hat die CDU sie eröffnet, und sie wurde weitergeführt durch eine Beschlussvorlage im Rat der Stadt, die mit den Stimmen der Mehrheit abgeschmettert wurde. Aber in der Frage nach dem Konzept wird der Kern der Pressemitteilung offenbar: Die CDU möchte die Kunsthalle nicht.
Nun hätte die Süßmilch-Performance sicher Verstörungspotenzial bergen können. Darauf hat die Kunsthalle reagiert, die Performance von 18 auf 20 Uhr verschoben und ein „Awareness-Team“ installiert, das verstörten Zuschauern Hilfe anbieten sollte. Dem Vernehmen nach wurde das aber nicht in Anspruch genommen. Außerdem: Gegen schlechte Kunst können die Leute in ihren lila Westen eh nichts ausrichten. Aber ob Kunst gut ist oder schlecht, liegt ja auch im Auge des Betrachters. Die meisten der 350 Gäste spendeten frenetischen Applaus.
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