Am vergangenen Wochenende wurden im Bundesfinanzministerium Sonderschichten geschoben. Die Aufarbeitung des Wirecard-Skandals beschäftigt die Fachleute in der Finanzmarktabteilung seit Wochen. Nun steht ein brisanter Termin an: Am heutigen Mittwoch muss Olaf Scholz (SPD) im Finanzausschuss des Bundestages zu dem milliardenschweren Betrugsfall Auskunft geben und dabei die Frage beantworten, warum sein Ministerium und die Finanzaufsicht Bafin nicht früher und energischer eingeschritten sind. Die Beamten bereiten ihren Minister minutiös vor. Von dem Auftritt hängt für Scholz, der SPD-Kanzlerkandidat werden will, einiges ab. Die Opposition droht bereits mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sollte die Bundesregierung den Fall Wirecard aus ihrer Sicht nicht ausreichend aufklären. Dem Verlauf der Sondersitzung des Finanzausschusses, bei der auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) befragt wird, messen FDP, Grüne und Linke für das weitere Vorgehen eine große Bedeutung zu. Eine gute Stunde ist jeweils für die Befragung von Scholz und Altmaier in Saal 2300 des Paul-Löbe-Hauses vorgesehen. Die Sitzung beginnt um 16 Uhr, die Abgeordneten reisen extra an. „Entscheidend wird in der Sitzung sein, ob man der Bundesregierung abnehmen und zutrauen darf, diesen beispiellosen Skandal umfassend aufzuklären“, sagte der finanzpolitische Sprecher der FDP, Florian Toncar. „Daran sind nach den letzten Tagen erhebliche Zweifel angebracht.“ Ob es einen Untersuchungsausschuss braucht, da will sich Grünen-Finanzexperte Danyal Bayaz noch nicht festlegen. „Das hängt auch von den Antworten ab, die wir in der Sondersitzung bekommen“, sagte er. „Die Bundesregierung muss endlich aufklären und Transparenz herstellen.“ Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi hat sich hingegen schon festgelegt: „Nur ein Untersuchungsausschuss ermöglicht hinreichende Akteneinsicht.“ Die Koalitionsfraktionen sind naturgemäß zurückhaltender. „In der Sondersitzung des Finanzausschusses steht die Sachaufklärung klar im Vordergrund“, sagt der Berichterstatter der Unionsfraktion, Matthias Hauer (CDU). Endlich stelle sich Finanzminister Scholz dabei persönlich den Fragen. Von ihm erwarte man „lückenlose und detaillierte Aufklärung“. Vorsatz oder Fahrlässigkeit? Nach und nach hat das Bundesfinanzministerium in den vergangenen Wochen Fragen beantwortet. Doch vieles dauert den Abgeordneten zu lange. „Bisher wurden unsere Fragen nur zögerlich beantwortet“, sagt Bayaz. Zudem haben viele das Gefühl, dass sich nach jeder Antwort gleich wieder neue Fragen auftun. Das gilt etwa für die umfangreiche Chronik zum Wirecard-Skandal, welche das Bundesfinanzministerium erstellt hat. Darin werden ausführlich die Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei Wirecard geschildert, es werden über die Jahre immer mehr. Schon im Februar 2019 informierte die Finanzaufsicht Bafin demnach das Finanzministerium, dass man „wegen mutmaßlicher Marktmanipulationen in alle Richtungen, das heißt auch gegen die Wirecard AG, untersucht“. Und trotzdem passierte nur wenig, die Finanzaufsicht wartete auf Ergebnisse des Bilanzprüfvereins DPR. Und wartete. Bis Wirecard schließlich am 25. Juni 2020 Insolvenz beantragen musste. „Was die Regierung zu ihrem eigenen Handeln vorträgt, steckt voller Widersprüche“, sagte FDP-Politiker Toncar. „Wenn die Finanzaufsicht Bafin wirklich ernsthaft in Richtung Wirecard ermittelt hat, warum hat sie dann nicht alle ihre Befugnisse genutzt?“ Und auch Grünen-Politiker Bayaz glaubt, dass man im Finanzministerium die Vorgänge lange unterschätzt hat. „Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass hier vorsätzlich weggeschaut wurde, sehr wohl aber dafür, dass fahrlässig gehandelt wurde“, sagte Bayaz. Die vielen Warnhinweise, auch öffentlich bekannte, seien offenbar nicht ernst genommen worden. „Da stellt sich die Frage, welche Verantwortung der Finanzminister trägt, dem diese Warnhinweise ja nicht entgangen sein dürften“, meint Bayaz. Bafin-Chef Felix Hufeld hatte bereits im Finanzausschuss Stellung genommen. Er argumentiert, dass die Bafin nur für die Wirecard-Bank zuständig gewesen sei, nicht für den ‧Wirecard-Konzern, da dieser als Technologieunternehmen eingestuft worden sei. Im Finanzministerium teilt man diese Einschätzung. Mittlerweile hat Scholz eine Reform der Finanzaufsicht angekündigt, die Bafin soll mehr Befugnisse bekommen. Gestern räumte die Bafin nach einem Bericht des Magazins „Der Spiegel“ überraschend eine Falschinformation an die Abgeordneten des Bundestages ein. Entgegen den Angaben von Behördenchef Felix Hufeld hätten die Bankenaufsicht und die Polizei in Singapur seit Anfang 2019 mit der Bafin kooperiert, zitierte das Magazin am Dienstagabend eine Bafin-Sprecherin. Opposition zeigt sich nicht überzeugt Die Opposition überzeugt die Argumentation nicht, dass man aufgrund der Gesetzeslage nicht früher hätte einschreiten können. FDP, Grüne und Linkspartei haben beim Finanzministerium weitere Fragenkataloge eingereicht. Zudem verlangen sie Einblick in Dokumente und Mails. Auch von den Antworten auf diese Forderungen wollen die Grünen und die FDP das weitere Vorgehen abhängig machen. Die Entscheidung über einen Untersuchungsausschuss dürfte deshalb erst nach der Sommerpause, also im September, fallen. Vorher könnte es eine weitere Sondersitzung des Finanzausschusses geben. Darin soll es um die Rolle von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehen, die sich in China für Wirecard eingesetzt haben soll. Die Oppositionsparteien wollen einen Vertreter des Kanzleramts, vermutlich Merkels Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller, befragen. Deshalb stehe ein Ergebnis schon vor der Sondersitzung des Finanzausschusses am Mittwoch fest, sagt ein Oppositionspolitiker: Es werde nicht die letzte Zusammenkunft dieser Art im Wirecard-Skandal gewesen sein.
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