Zeit der Rache und Revanche
Von Christoph Schwennicke
Seit 32 Tagen ist Franz Müntefering neuer SPD-Vorsitzender. Doch der Zustand der SPD ist desolater denn je. Unter Kurt Beck hatte der linke Flügel der Partei das Sagen, nun schlägt der rechte zurück. Die Opfer: Ypsilanti in Hessen und Annen in Hamburg.
Berlin - Franz Müntefering hat einmal verraten, dass er morgens unter der eiskalten Dusche leise zählt und das Wasser erst abdreht, wenn er bei hundert angekommen ist.
Müntefering: Nichts ist besser
Diese Fähigkeit, die Zähne zusammenzubeißen und in Eiseskälte auszuharren, muss er derzeit nicht nur morgens unter der Dusche an den Tag legen, sondern permanent. Seit 32 Tagen ist er nun Parteichef. Er hat erfolgreich Kurt Beck aus dem Amt gedrängt, um die SPD auf Vordermann zu bringen. Aber was ist eigentlich seither anders in der SPD? Vor allem: Was ist besser?
Die ehrliche Antwort lautet: bisher nichts.
Der innere Zerfallsprozess der SPD läuft ungebremst weiter. Vor zwei Wochen vereitelte eine spät berufene Gewissens-Truppe die Regierungsbildung von Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei. Mit einem Nobody schleppt sich die SPD in Hessen nun in die Neuwahl.
In Hamburg haben Partisanen der Parteirechten den linken Bundestagabgeordneten Niels Annen als Direktkandidaten für die nächste Bundestagswahl weggeputscht. Ein jenseits Hamburgs namenloser Mensch tritt an seiner Statt nun an.
Kämpfe ohne Geländegewinn
Als sei die Partei insgesamt nicht schon geschwächt genug, werden von Rechts und Links Stellungskriege geführt. Die Folge: enorme Verluste auf beiden Seiten ohne jeden strategischen Geländegewinn.
Es erweist sich: Die SPD hat abermals einen neuen Vorsitzenden, aber deswegen noch keinen gemeinsamen Sinn. Man muss Müntefering zugute halten, dass die Sezessionsschlachten von Hessen und Hamburg Spätfolgen der fatalen Fehler seines Vorgängers sind. Kurt Beck hatte sich der Parteilinken anverwandelt und wurde am Ende von ihr gesteuert. In seiner Amtszeit bekam sie neuen Lebensmut und triumphierte über die Agenda-SPD, die am Erbe Gerhard Schröders festhalten wollte. Beck hat gegen diesen Triumphalismus nichts gemacht, im Gegenteil, er hat seine Macht darauf aufgebaut und in Müntefering den wichtigsten Protagonisten der Reformer-SPD beiseite gedrängt.
Jetzt ist die Zeit der Rache und Revanche gekommen. Nun nimmt die Rechte Rache an der Linken und revanchiert sich für deren Manöver, die bis hin zu einer eigenen Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten reichten.
In Hessen wurde also die Parteilinke Ypsilanti abserviert, in Hamburg der Parteilinke Annen. Annen ist der lupenreinere Fall, weil er sich im Unterschied zu Ypsilanti nichts hat zuschulden kommen lassen außer einem im x-ten Semester abgebrochenen Studium. Studienabbruch aber ist nicht so schlimm wie Wortbruch.
Annen ist die Voodoo-Puppe, in die die Parteirechte ihre Nadeln piekt. Diese Stiche gelten ebenso Björn Böhning, dem ehemaligen Juso-Vorsitzenden und Andrea Nahles, der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Aber diese beiden sind außer Reichweite. Also hat man sich Annen vorgeknöpft.
In beiden Fällen, in Hessen und Hamburg, hatte sich Müntefering mäßigend eingeschaltet oder hatte Emissäre geschickt. Beide Male hat es nichts genützt. Exemplarisch für seine Ohnmacht steht sein lauwarmes, hilfloses und unentschiedenes Reden nach dem Outing der vier Abtrünnigen von Wiesbaden.
SPD in existenzbedrohender Krise
Müntefering sitzt in seiner Kommandozentrale im Berliner Willy-Brandt-Haus wie der Mann in der Wachzentrale eines Kernkraftwerks bei einem Störfall. Die Prozesse im Inneren des Reaktors SPD laufen weiter, da kann der Mann am Schaltpult machen, was er will.
Die SPD befindet sich in einer existenzbedrohenden Krise. Sie redet sich gerne ein, dass sie schon deshalb immer weiter bestehen wird, weil sie doch anderthalb Jahrhunderte alt ist, mithin die älteste und ehrwürdigste Partei des Landes sei. Doch die Lebenserfahrung lehrt: Alter schützt nicht vor Tod. Im Gegenteil.
Es ist nicht verwegen anzunehmen, dass Oskar Lafontaine das strategische Ziel verfolgt, mittelfristig die Linke und die SPD zu fusionieren, und zwar zu seinen Bedingungen. Lafontaine ist der Hugo Haase von heute. Hugo Haase war bis 1916 SPD-Vorsitzender und von 1917 an der Vorsitzende der tief pazifistischen USPD, die sich von der SPD abgespalten hatte. Zugleich trat Haase nach dem Ende des Ersten Weltkriegs für die Wiedervereinigung von Unabhängigen- und Mehrheitssozialdemokraten ein, die er nur deshalb nicht mehr erlebte, weil er drei Jahre vor der Wiedervereinigung Opfer eines Attentats wurde.
Lafontaine liegt auf der Lauer
Lafontaines Linke ist eine wild zusammengewürfelte Truppe aus Ost-Kadern und West-Gewerkschaftern. Und doch hat die Linke eine innere Kohärenz aufgebaut, die der SPD fehlt. Lafontaine weiß genau, warum er auf Aufweichungstendenzen in der Kriegsfrage in seiner Partei unmittelbar mit mehr oder weniger versteckten Rücktrittsdrohungen reagiert. Er hat seinen Haase studiert. Er weiß, was der Kitt für seine bunte Truppe ist.
Die SPD hat diese innere Kohärenz verloren. Wenn sie diesen inneren Zusammenhalt nicht alsbald wiederfindet, wenn die Lagerkriege nicht aufhören, dann läuft sie Gefahr, sich mit der Konkurrenzpartei von Lafontaine auf einer Augenhöhe von 18 Prozent zu treffen.
Statt sich darüber aber bewusst zu sein, frönen die meisten weiter dem primitiven Gefühl der Satisfaktion. Letzte Meldung aus dem Kriegsgebiet SPD: Nach Annens Kopf wird nun von der anderen Seite jener von Johannes Kahrs gefordert. Die SPD tut, als hätte sich noch Personal in der Hinterhand. Die Wahrheit ist: Was hier gegeneinander kämpft, ist das letzte Aufgebot.
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