SPIEGEL ONLINE - 13. Juli 2006, 14:21 URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,426425,00.html
Lebensversicherung Die wenigsten halten durch
Von Lutz Reiche
Immer mehr Lebensversicherte kündigen ihre Police. Ob nun Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Schulden - die Gründe für den Ausstieg sind vielfältig. Die Branche der Policenkäufer wittert ihre Chance. Aber auch Verbraucher können profitieren, wenn sie einige Regeln beachten.
Hamburg - Wer finanziell für das Alter vorsorgt, braucht einen langen Atem. Das gilt erst Recht für die Vorsorge mit einer Lebensversicherung. Wer seine Police vorzeitig kündigt, muss zumeist kräftige Abschläge hinnehmen. In den ersten Jahren kann der Auszahlungsbetrag bei einer Stornierung sogar gegen Null tendieren. Doch trotz der drohenden Verluste halten nur die wenigsten Versicherten die vertraglich vorgesehene Laufzeit durch.
Drei von vier Kunden stoßen ihre Police mit einer Laufzeit von 30 Jahren vorzeitig ab. Bei Verträgen mit 20 Jahren Laufzeit ist es jeder zweite. Immerhin noch jeder dritte Versicherte gibt seine Police mit zwölf Jahren Laufzeit früher zurück, wie die Deutsche Aktuarvereinigung unlängst festgestellt hat. Die Motive für den vorzeitigen Ausstieg sind vielfältig. Rund 36 Prozent kündigen ihren Vertrag, um Schulden und Kredite zu tilgen, wie eine repräsentative Allensbach-Umfrage im Auftrag des Policenhändlers Cash Life AG ergeben hat. Gegenüber dem Vorjahr ist das eine Steigerung von elf Prozentpunkten. Arbeitslosigkeit geben 18 Prozent der Befragten als Kündigungsgrund an (plus zwei Prozentpunkte).
Verbraucherschützer registrieren diese Entwicklung mit Sorge. Sie sind ohnehin kein Verfechter der aus ihrer Sicht intransparenten Lebensversicherung. Seit langem rufen sie dazu auf, Risikovorsorge und Altersvorsorge voneinander zu trennen.
Viele Menschen hätten beim Abschluss einer Police das Risiko unterschätzt, dass sie diesen Vertrag irgendwann nicht mehr bedienen können, sagt Wolfgang Scholl, Versicherungsexperte beim Bundesverband Verbraucherzentralen (VZBV). Eine erhebliche Mitschuld für das Dilemma sieht er auch bei den Stukturvertrieben der Assekuranz. "Da wurde nicht beraten, sondern auf Teufel komm raus verkauft. Da ist doch klar, dass viele Verbraucher das nicht durchhalten", kritisiert Scholl.
Bemerkenswert ist, dass lediglich drei Prozent der Versicherten einem Verkauf ihrer Police gegenüber der Kündigung den Vorzug einräumen. Nach Einschätzung der Cash Life AG verschenken sie damit bares Geld.
"Im Schnitt zahlen wir für eine Police sieben Prozent mehr als den von der Versicherung errechneten Rückkaufswert", erklärt Susanne Jobst von Cash Life. Nach Berechnungen des Unternehmens gehen den Kunden durch Storno jährlich bis zu 600 Millionen Euro verloren. Ein weiterer Vorteil für den Versicherten: Beim Verkauf bleibt der Todesfallschutz erhalten, weil der Vertrag weiterläuft.
Versicherer sprechen von Rosinenpickerei
Gleichwohl: Nicht jeder Versicherte kann mit dem Policenhändler ins Geschäft kommen. Der von der Versicherung festgestellte Rückkaufswert darf 5000 Euro nicht unter- und die Restlaufzeit 15 Jahre nicht überschreiten. Die gegenüber den Zweitmarktverwertern nicht gerade positiv eingestellte Versicherungswirtschaft kritisiert das als Rosinenpickerei.
Cash Life kauft auch nicht die Police jedes Versicherers. Zusammen mit der Ratingagentur Assekurata und dem Institut für Aktuarwissenschaften prüfen die Policenhändler die Unternehmen. Und die als risikoreicher geltenden Fondspolicen kauft Cash Life ebenso wenig wie Direktversicherungen im Rahmen der betrieblichen Altersvorsorge.
Kommen der Versicherte und Cash Life ins Geschäft, erhält der Kunde den ganzen Kaufpreis sofort. "Es gibt Anbieter, die zahlen lediglich 80 Prozent des Kaufpreises aus und den Rest über viele Jahre verteilt. Von dieser Praxis distanzieren wir uns", sagt Cash-Life-Sprecherin Jobst.
Die 1999 gegründete und im SDax notierte Gesellschaft hat den Zweitmarkt für Lebensversicherungen in Deutschland begründet und gilt als größter Aufkäufer in dem Sektor, in dem mittlerweile etwa 20 Anbieter tätig sind. Cash Life verwaltet nach eigenen Angaben ein Gesamtpolicenportfolio von 1,2 Milliarden Euro.
Dass der Markt noch gehöriges Potenzial hat, davon ist man in der Branche überzeugt. Denn bislang werden nach Expertenschätzungen gerade mal sieben Prozent der stornierten Versicherungspolicen über den Zweitmarkt in Deutschland abgewickelt. Dieser Anteil könnte sich nach optimistischen Schätzungen von Experten in den kommenden Jahren auf bis zu 60 Prozent erhöhen.
Cash Life selbst will in diesem Jahr das Ankaufsvolumen gebrauchter Policen von 421 Millionen Euro auf bis zu 550 Millionen Euro steigern. Das entspräche in etwa dem Volumen der gesamten Branche des vergangenen Jahres. Im Vergleich zu den rund 11,5 Milliarden Euro, die die deutschen Lebensversicherer für stornierte Verträge an ihre Versicherten im vergangenen Jahr ausgezahlt haben, sind das aber immer noch "Peanuts", wie man in der Branche einräumt.
Das liegt zum einen daran, dass der Zweitmarkt etwa im Vergleich zu Großbritannien oder den USA noch sehr jung ist. So wissen laut Allensbach-Umfrage ohnehin nur sieben Prozent der Versicherten von dem Policen-Zweitmarkt als Alternative zum Storno.
Doch was soll der Verbraucher nun tun, wenn er gegenüber seinem Lebensversicherer in Zahlungsschwierigkeiten gerät? Da hohe Stornoquoten die schlechteste Werbung für einen Versicherer sind, weil sie in der Regel als Ergebnis schlechter Beratung interpretiert werden, versuchen die Unternehmen dem Kunden Alternativen zur Kündigung aufzuzeigen.
So gewähren die Lebensversicherer ihren Kunden zum Beispiel ein Policendarlehen. Dieses Darlehen ist eine Vorauszahlung auf die Versicherungsleistung und in der Regel auf den garantierten Rückkaufswert oder den Rückkaufswert inklusive Überschussanteile begrenzt (dem so genannten "Beleihungswert"). Dafür entrichtet der Verbraucher natürlich Zinsen, mitunter acht Prozent und mehr. "Hier zahlt der Verbraucher aus eigener Tasche drauf", sagt Verbraucherschützer Scholl und rät von einem Policendarlehen ab.
Alternativ bieten alle Versicherer ihrem Kunden auch eine Beitragsfreistellung an. In diesem Fall zahlt der Verbraucher für einen gewissen Zeitraum oder bis zum Vertragsende keine Beiträge. Die vereinbarten Leistungen werden angepasst, Risikoschutz und die Versicherungssumme verringern sich damit unter Umständen erheblich.
Die Kaufpreisübergabe muss abgesichert sein
Auch die Beitragsfreistellung einer Police hält Scholl in der Regel nicht für sinnvoll. "Der Verbraucher hat trotzdem die Stornoabzugskosten zu verkraften und er verliert die anteilige Schlussüberschussbeteiligung." Ebenso wenig würde er Verbrauchern zu einer Laufzeitverkürzung ihres Vertrages raten. Dabei laufe der Kunde Gefahr, dass dabei eine noch bestehende Steuerfreiheit zum Auszahlungstermin verloren gehe.
Dann also die Police doch auf dem Zweitmarkt losschlagen? Eher zähneknirschend bejaht Scholl diese Frage. Denn mit dem Verkauf sei der Verbraucher in der Regel "besser gestellt" als mit den von der Versicherungswirtschaft angebotenen Alternativen. Dabei ist der Verbraucherschützer keineswegs ein Fan des sich allmählich etablierenden Zweitmarktes.
"Unser Problem mit der Zweitmarktbranche ist, dass hier die Kaufpreise wie auf einem Basar ausgehandelt werden. Wer nicht hoch genug pokert, der bekommt auch weniger", sagt der VZBV-Experte. Der Lebensversicherte könne keinesfalls davon ausgehen, dass der Kaufpreis immer deutlich über dem Rückkaufswert des Versicherers liege, wie die Aufkäufer gebrauchter Police vollmundig versprechen. "Die Anbieter machen ihre Bewertung ja nicht transparent", beklagt Scholl.
Erwägt der Versicherte gleichwohl den Verkauf seiner Police, sollte er zwei Dinge beachten, rät Scholl. "Die Sicherheit der Kaufpreisübergabe muss unbedingt gewährleistet sein", sagt der Verbraucherschützer. Wer hier auf Vertrauen baue, könnte bös überrascht werden. Der Verbraucher sollte von dem Zweitmarktverwerter unbedingt eine selbstschuldnerische Bankbürgschaft verlangen. In diesem Fall verpflichtet sich die Bank für den Ausfall des kaufenden Zweimarktanbieters, den Kaufpreis zu entrichten.
Auf keinen Fall sollte sich der Kunde auf eine Kaufpreisstreckung einlassen. So werben in der Zweitmarktbranche einige Anbieter mit vergleichsweise hohen Kaufpreisen für die gebrauchte Police. Oft werde aber zunächst nur ein Teil des Preises ausgezahlt. Die Restsumme erhalte der Verbraucher in Raten oder sie werde ihm erst dann überwiesen, wenn ein Investor für die Police gefunden sei. "Dies birgt für den Kunden enorme finanzielle Risiken", warnt VZBV-Experte Scholl. Denn gegen eine mögliche Insolvenz eines Zweitmarktanbieters wie einst bei BC Net sei der Verbraucher nicht geschützt.
Doch trotz vereinzelter schwarzer Schafe und aller Skepsis gegenüber dem kaum regulierten Zweitmarkt - die Branche wird sich über mangelnde Geschäftsperspektiven wohl kaum sorgen müssen, glaubt auch Verbraucherschützer Scholl.
"Wir beobachten bei den Lebensversicherern einen Trend weg von Garantien und hin zu endfälligen Produkten mit einer zunehmend steigenden Schlussüberschussbeteiligung." Das heißt, der Kunde kommt damit immer später in den Genuss einer ansprechenden Rendite auf seine Beiträge - das aber auch nur, wenn er durchhält. Für die Zweitmarktverwerter kann das nur von Vorteil sein.
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