Brief von Münchhausen an Lindner aufgetaucht Eine Satire von Evelin Ruhnow Von wem könnte man besser lernen als vom Meister? Die Krisenkommunikation der FDP rund ums »D-Day«-Papier hat Lügenbaron Münchhausen dazu bewogen, dem Parteichef einen Brief zu schreiben. Wir veröffentlichen ihn im Wortlaut. Sehr geehrter Herr Finanzminister a.D., als weltweit anerkannter Lügenbaron kann ich das ambitionierte, aber – mit Verlaub – zunehmend hilflose Treiben Ihrer Partei nicht wortlos mit ansehen. Auch wenn Ihnen von einem Kollegen im Bundestag bereits der Versuch nachgesagt wurde , es mir gleichzutun und sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen: Es wird doch immer offensichtlicher, dass Sie sich diesmal nicht so leicht aus dem Morast befreien können, in den Sie so schwungvoll hineingaloppiert sind. Deswegen möchte ich Ihnen hiermit fünf Lektionen erteilen – für den Fall, dass Sie die Wahrheit mal ein wenig verdrehen müssen: Ich würde ja sagen: Lassen Sie sich nicht erwischen! Aber wir beide wissen wohl, dass die Kanonenkugel längst verschossen ist. Deshalb: Wählen Sie den Kreis Ihrer Vertrauten, denen Sie Ihre erdichteten Geschichten auftischen, sorgfältig aus. Sonst wird immer wieder etwas an unerwünschte Mitwisser durchgestochen. Das musste auch ich auf schmerzhafte Weise erfahren. Und merke: Ist der Schwindel erst mal aus dem Haus galoppiert, lässt er sich nur schwer wieder einfangen. Das Handwerk will gelernt sein. Es mag banal klingen, ist aber eine fundamentale Wahrheit: Auch beim Wahrheitsverdrehen macht Übung den Meister. Als Einzelkind mögen Sie da im Nachteil sein. Ich hatte immerhin sieben Geschwister, an denen ich meine Techniken perfektionieren konnte (aus Erfahrung kann ich Ihnen sagen, dass sich der Tränentrick recht bald abnutzt). Vielleicht hilft Ihnen ja mein Mantra, um im Fabulierfluss zu bleiben: »Wenn du heute kannst belügen, bleibt die Wahrheit stets in Frieden.« Ein bisschen mehr Drama, ein bisschen mehr Märchen: Denken Sie sich unterhaltsame Geschichten aus. Schön und gut, die Story, wie Sie als strahlender Held mit Ihren Mannen in die Feldschlacht gezogen sind, um den Staatsschatz vor Ohnmachts-Olaf und seinem Sidekick Robert Ratlos zu verteidigen, mag ja für eine Weile das Publikum erheitern. Aber auf Dauer wirkt das doch etwas matt, ja geradezu unambitioniert. Mein Ratschlag: Lassen Sie die Bremse los! Das eigene Pferd in zwei Hälften teilen, einem Wolf das Innerste nach Außen krempeln, an einer Bohnenranke auf den Mond klettern – das sind Geschichten, die die Leute hören wollen. Weniger lesen, dann schwindelt es sich unbeschwerter: Nichts zerreißt das feinste Geflecht nachhaltiger, als wenn es öffentlich seziert wird. Auch ich musste die Bosheit der schreibenden Zunft am eigenen Leib erfahren. Ohne mein Wissen wurden meine Geschichten veröffentlicht. Das hat mich mehr mitgenommen als mein legendärer Kampf mit dem tollwütigen Unterrock. Aber genug davon. Stecken Sie den Kopf doch mal ein Weilchen in den Sand, danach sieht man einiges klarer. - Zu guter Letzt: Wenn Sie die Wahrheit gelegentlich manipulieren, verklausulieren, überstrapazieren, dann niemals, um daraus einen eigenen Vorteil zu ziehen. Sonst enden Sie wie ich – einsam, missverstanden und verbittert. Aber mal im Ernst: Ich wollte die Welt nur ein wenig mit meinen Geschichten unterhalten (Netflix gab’s schließlich noch nicht). ...
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/christian-lindner-luegenbaron-muenchhausen-gibt-ratschlaege-in-brief-an-fdp-chef-a-f4cc642e-8c29-46e9-8105-46a6d5886111
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