Heldensaga Old Putinhand
Von Andreas Kilb
Furchtlos: Tigerjäger Putin
02. September 2008 „Ich war wohl noch hundertfünfzig Schritte entfernt und durfte keinen Augenblick zögern. Da sah er mich und kam auf mich zugerannt (...) Das brachte die tückischen Augen vor meine beiden Läufe; ich schickte eine Kugel in das rechte und die andere in das linke - ein kurzes Zittern ging durch den Leib, dann stürzte die Bestie nieder.“
So gesehen, ist es vielleicht besser, dass sich Karl May und Wladimir Putin nie kennengelernt haben. Denn wenn der Wildwestdichter aus dem Erzgebirge von den Heldentaten des russischen Großpremiers erfahren hätte, wäre seine Phantasie vielleicht nicht ins Reich des silbernen Löwen, sondern in die Heimat des russischen Bären gestreift. Wo dieser begraben liegt, da war auch Putin jüngst im Tarnanzug unterwegs, um ein Kamerateam und ein paar Wissenschaftler bei der Tigerbeobachtung zu begleiten. Als sich die Expedition einer Tierfalle näherte, stürzte ein ausgewachsener Sibirischer Tiger auf die ahnungslose Medienmeute zu und drohte sie zu zerfleischen. Unser Held aber besann sich nicht lang, riss seinen in vielen Kämpfen erprobten Bärentöter an die präsidentielle Wange und schoss der Bestie eine Ku ... - nein, natürlich eine Ladung Betäubungsmittel zwischen die Schultern, denn gewisse Raubtiere darf man heute nicht mehr umbringen (außer in Zoos oder wenn sie Probleme machen). Anzeige
Patriotischer Knall
Die Sache war natürlich noch am selben Abend der Aufmacher in den russischen Fernsehnachrichten, und wenn nicht alles täuscht, wird der Blattschuss des tapferen Wladimir mindestens zum Schulstoff im Fach Staatsbürgerkunde der russischen Untersekunda werden - obwohl das Video der Heldentat, das die Nachrichtenagentur Reuters bald darauf verbreitete, ein bisschen gestellt und nachgedreht wirkt und insofern verteufelt an die gerade erst ein Jahr zurückliegende PR-Pleite mit den russischen U-Boot-Aufnahmen vom Meeresgrund am Nordpol erinnert, die mit Bildern aus James Camerons Kassenbrüller „Titanic“ aufgemotzt worden waren.
Aber was kümmert es den Anführer einer gewesenen Supermacht, woher die Tiger kommen, die ihm vor die Flinte laufen! Der eine kommt vielleicht vom Amur, der andere aus den digitalen Zauberkäfigen von Hollywood, aber der patriotische Knall ist doch in jedem Fall derselbe. Ein Schelm, wer dabei an den Bären denkt, den man ihm aufbinden will. Aber auch das kennen wir ja schon von Karl May.
Text: F.A.Z. Bildmaterial: dpa
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