Man gönnt sich ja sonst nichts! Merz und seine 18 Nebentätigkeiten Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit der Grundsatzfrage, ob Abgeordnete Einkünfte offenlegen müssen. Aber eine Entscheidung wird erst in drei Monaten erwartet.Von Thorsten Jungholt Da lacht er noch: Der ehemalige Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) hat 18 Nebenämter Foto: ddpBerlin - Seit der Abgeordnete Friedrich Merz seiner Arbeit im Bundestag nur noch als einfaches Fraktionsmitglied und nicht mehr als Führungskraft der CDU nachgeht, fühlt er sich unausgelastet. Deshalb hat sich der 50-Jährige zahlreiche Aufgaben außerhalb des Parlamentes gesucht. Merz arbeitet als Rechtsanwalt für die Wirtschaftskanzlei Mayer, Brown, Rowe & Maw, und er sitzt in diversen Aufsichts-, Verwaltungs- und Beiräten von Unternehmen und Banken. In der vergangenen Legislaturperiode brachte er es zusätzlich zu seinem Job als Volksvertreter auf stolze 18 Nebentätigkeiten, die nach seinen eigenen Angaben etwa die Hälfte seiner Arbeitszeit in Anspruch nehmen. Mehr Auskünfte mag er seinen Wählern nicht erteilen. Vor allem will er nicht sagen, wie viel Geld die Zusatzjobs einbringen. Bislang musste er das auch nur dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) mitteilen, der die Zahlen dann nicht veröffentlichen durfte. Doch im Oktober vorigen Jahres trat eine Neuregelung des Abgeordnetengesetzes in Kraft. Um die Abhängigkeiten der Volksvertreter für den Wähler transparent zu machen, schreibt der Paragraf 44a samt zugehöriger Verhaltensregeln nun vor, dass die Parlamentarier sämtliche Nebentätigkeiten und die Höhe der daraus erzielten Einkünfte der Allgemeinheit offenzulegen haben. Zudem ist festgelegt, dass die Ausübung des Mandats "im Mittelpunkt der Tätigkeit eines Mitglieds des Bundestages" stehen muss. Gemeinsam mit acht weiteren Abgeordneten klagt Finanzfachmann Merz heute vor dem Bundesverfassungsgericht gegen diese neu auferlegten Pflichten. Die Beschwerdeführer kommen aus verschiedenen Fraktionen: Merz, Siegfried Kauder und Marco Wanderwitz (CDU), Wolfgang Götzer und Max Straubinger (CSU), Hans-Joachim Otto, Sybille Laurischk und Hans-Heinrich Kolb (FDP) sowie Peter Danckert (SPD). Sie alle fühlen sich in ihren Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung und Berufsfreiheit verletzt und fürchten eine Einschränkung der in Artikel 38 des Grundgesetzes garantierten Unabhängigkeit des Abgeordneten. Die bunte Riege der Kläger und die Unterstützung ihres Gangs nach Karlsruhe durch die jeweiligen Fraktionschefs belegen, dass es um mehr als die Einzelinteressen einer Partei geht. Vom Verfassungsgericht werden grundsätzliche Hinweise auf das Berufsbild des modernen Abgeordneten erwartet. Der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof beneidet den zuständigen Zweiten Senat nicht um diese Aufgabe. "Die Sachfrage ist recht verzwickt", sagte Kirchhof der WELT. "Wir haben einerseits das berechtigte Anliegen, dass alle Einflussnahme auf den Abgeordneten transparent ist und offenbart werden muss. Aber das darf nicht heißen, dass er seine Arbeitskraft ganz ausschließlich der Politik widmet, seine Verankerung im Staatsvolk verliert und deswegen die Nebentätigkeit anrüchig wird. Das ist ganz verkehrt." So sieht es auch der Kläger Otto. Seine Nebeneinkünfte würden zu größerer Unabhängigkeit von Partei und Fraktion führen, und seine Tätigkeit als Anwalt bringe ihn "mit realen Problemen der Menschen in Berührung". Das neue Gesetz würde den unseligen Trend zum Berufspolitiker verschärfen. In der Tat gelten inzwischen 346 der 614 Bundestagsabgeordneten als reine Politprofis. Zweck des neuen Abgeordnetengesetzes ist freilich nicht die Verbannung von Lebensnähe aus dem Parlament, sondern die des käuflichen Abgeordneten. In Karlsruhe geht es um die Definition einer überprüfbaren Grenze zwischen erwünschter Nebentätigkeit und schädlicher Einflussnahme Dritter, die Volksvertreter durch finanzielle Zuwendungen zu ihrem Zweck instrumentalisieren. "Es wird eines feinsinnigen und klugen Gerichtes bedürfen, um diese beiden Pole auszutarieren", sagte Kirchhof. Eine Entscheidung ist in drei Monaten zu erwarten. Bis dahin wird es keine Transparenz geben: Bundestagspräsident Lammert hat zwar alle Zahlen eingesammelt, will sie aber erst nach dem Urteil veröffentlichen. Artikel erschienen am 11.10.2006
|