Nur noch 40 Tage, dann soll das Bankgeheimnis fallen. Wenn die staatlichen Kontenschnüffler nicht doch in letzter Minute gestoppt werden.
von Michael H. Schulz, Euro am Sonntag
Ein Banker aus dem westfälischen Borken bringt die Verfassungsrichter auf Trab. Hermann Burbaum, Chef der Volksbank Raesfeld, legte Anfang November zwei Verfassungsbeschwerden gegen die Kastration des Bankgeheimnisses ein. Noch vor dem 1. April, wenn das Bankgeheimnis endgültig fallen soll, wird über Burbaums Antrag auf einstweilige Anordnung entschieden sein. Das bekräftigte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier vergangenen Mittwoch. So fix sind die obersten Richter der Republik sonst nicht.
Aber bei der geplanten Abschaffung des Bankgeheimnisses, das Kontenbesitzer bisher noch vor Ermittlungen des Fiskus aus dem Blauen heraus geschützt hatte, handelt es sich immerhin um den größten Angriff des Staates auf das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung seit der Volkszählung 1983. Zwar können Fahnder bei Straftatverdacht schon jetzt auf Konten zugreifen, doch künftig soll sich mittel- oder unmittelbar jeder Sachbearbeiter aus Finanz-, Wohngeld-, Bafög-, Sozialämtern und Arbeitsagenturen über das Bundesamt für Finanzen (BfF) in Stammdaten, wie Zeitpunkt der Kontoeröffnung, -schließung oder erteilte Vollmachten wie ein Computerhacker einklinken können.
"Über Kontostand und Geldbewegungen erfahren die Sachbearbeiter in diesem ersten Schritt nichts", erklärt Humbert Lechner, Steuerberater in der Münchner Kanzlei Richter & Partner. Doch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird systematisch ausgehöhlt, wenn die Verfassungsrichter dem Treiben nicht wie 1983 mit dem Volkszählungsurteil die rote Karte zeigen.
Die Schnüffelei von Amts wegen ist künftig erlaubt, wenn Sachbearbeiter zur Bewilligung von Arbeitslosen-, Wohngeld, Unterhalt oder zur Festsetzung von Steuern Einkünfte beziehungsweise das zu versteuernde Einkommen prüfen. Konkret genau dann, wenn "ein Auskunftsbegehren an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziel geführt hat oder keinen Erfolg verspricht", so steht es in der neuen Fassung der Abgabenordnung, dem Katechismus des Steuerrechts. Was das genau bedeutet, schildert Barbara Hendricks, Staatssekretärin im Bundesfinanzministerium (siehe Interview) so: "Verneint der Steuerpflichtige nach einer Anfrage des Fiskus die Existenz weiterer Einkunftsquellen, kann dieser nachschauen. Findet der Fiskus daraufhin weitere Konten und der Steuerpflichtige antwortet auf Anfrage erneut, daß es keine weiteren Konten gibt, sind wir in der Ermittlung."
So absurd wie brisant ist die Kontenabfrage. Denn während die Schnüffler offizielle Überweisungskanäle systematisch durchleuchten wollen, sperrt sich Deutschland gegen eine von Großbritannien angestoßene EU-weite Registrierung des sogenannten Hawala-Bankings und läßt damit Terroristen und Geldwäscher weiterhin unüberwacht im Untergrund ihren Zahlungsverkehr über Kebab-Buden abwickeln (siehe Kasten). Knebelt der Staat seine Bürger, weil er längst vor dem organisierten Verbrechen kapituliert hat?
Ganz so einfach ist es nicht. Der Gesetzgeber soll laut Bundesverfassungsgericht sein selbstverschuldetes Vollzugsdefizit bei der Erhebung der Kursgewinn- und der Zinsbesteuerung beseitigen und dafür sorgen, daß der ehrliche Steuerzahler nicht mehr der Dumme ist. "Das könnte er mit der vielfach geforderten Einführung einer Abgeltungssteuer mit angemessenem Steuersatz tun, ohne die Privatsphäre der Bürger zu berühren. Mit ihrer Regelung schießt die Bundesregierung weit über das Ziel der Besteuerungsgerechtigkeit hinaus", kritisiert Steuerberater Lechner. Denn "im Grunde kann jeder Sachbearbeiter eine Abfrage starten, sobald der Steuerpflichtige oder Antragsteller eine Rückfrage - warum auch immer - unbeantwortet läßt", ergänzt Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwalt Vereins.
Burbaums Anwalt vor dem Bundesverfassungsgericht, Gunter Widmaier aus der Kanzlei Redeker Sellner Dahs & Widmaier kritisiert: "Daß ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen oder eigene Ermittlungen der Sozialbehörden nicht zum Ziel geführt haben oder keinen Erfolg versprechen, ist kein rechtsstaatlich akzeptables Eingriffskriterium, wenn die Entscheidung hierüber in die Hand des einzelnen Sachbearbeiters gelegt ist." Da beruhigt es wenig, daß einige Oberfinanzdirektionen in ihren Bezirken einen moderaten Umgang mit der Kontenabfrage angeordnet haben. Ob Anordnung durch Sachbearbeiter oder Amtsleiter - ein vergessenes Depot in der Anlage KAP oder SO genügt für ein Ermittlungsverfahren. Amnestie oder Selbstanzeige ist dann nicht mehr möglich. Obendrein drohen Nachzahlungen für vergangene Jahre.
Den Erfüllungsgehilfen mimen auch die Geldhäuser. Bereits für das Jahr 2004 verschicken sie an Depot- und Sparkonteninhaber Jahresbescheinigungen mit der Aufstellung von Zinsen und Aktiengewinnen. Diese Aufstellung muß zwar niemand der Steuererklärung beilegen, doch Vorsicht: Wer sie auch auf Verlangen des Fiskus nicht rausrückt, macht sich verdächtig und riskiert ebenfalls eine Kontenabfrage.
Schon befürchten Experten eine weitere Kapitalflucht. "Die vorgesehenen Maßnahmen entwickeln sich zu einem Förderprogramm für Schweizer und Luxemburger Banken", sagt Uwe H. Schneider, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Übertrieben ist das nicht.
Zwar werden ab dem 1. Juli insgesamt 22 EU-Staaten Kontrollmitteilungen über Zinserträge von EU-Bürgern anfertigen, doch Luxemburg, Österreich, Belgien und das Nicht-EU-Mitglied Schweiz bleiben weiterhin diskrete Bankplätze. Statt Kontrollmitteilungen führen diese Staaten zunächst eine bis 2011 geltende Quellensteuer auf anfallende Zinsen ab. Dieser Abschlag gilt allerdings nicht für Dividenden, Kursgewinne, GmbH-Anteile und gemischte Fonds, die höchstens 15 Prozent des Kapitals in festverzinsliche Wertpapiere investieren. Ebenfalls durchs Raster der EU-Zinsrichtlinie fallen Erträge aus Liechtensteiner Stiftungen.
Für Banker Burbaum läßt sich dagegen weitere Kapitalflucht leicht unterbinden. Sein Vorschlag: "Verankert das deutsche Bankgeheimnis im Grundgesetz." Einen Erfolg hat er bereits erzielt. Das Economic Forum Deutschland zeichnete seine Zivilcourage am 18. Februar mit dem National Leadership Award aus.
KASTEN
Der gläserne Staatsbürger So werden wir in Zukunft vom deutschen Staat ausspioniert
Identifikationsnummer: Mit der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung für 2004 ist jeder Arbeitnehmer dank der neuen Etin-Nummer (electronic taxpayer identification number) beim Fiskus elektronisch erfaßt. Diese Personenkennzahl ist der Vorläufer der Identifikationsnummer, die jeder Steuerzahler spätestens im Jahr 2007 bekommt.
Konten und Depots: Über eine Anfrage beim Bundesamt für Finanzen (BfF) bekommen Finanzämter, Arbeitsagenturen, Sozialämter, Wohnungsämter und Bafög-Ämter direkt Zugriff auf Kontenstammdaten. Zunächst erfahren die Behörden nichts über die Höhe angelegter Gelder. Weil aber die Geldhäuser bis zum 31. Mai die vom Steuerabzug freigestellten Kapitalerträge (Freistellungsauftag) dem BfF melden müssen, können die Finanzämter über den Datenbestand des BfF gezielt nach verschwiegenen Einkünften suchen.
Unbehelligt bleiben zunächst Tafelgeschäfte, da hier keine Einzahlung auf ein Konto erfolgt. Obendrein verschicken die Geldinstitute "Jahresbescheinigungen über Kapitalerträge" aus dem Jahr 2004. Legt der Steuerpflichtige diese Bescheinigung der Anlage KAP, SO und AUS nicht bei, kann sich der Beamte die Daten von der Bank holen.
Renten: Rentenversicherungsträger, berufsständische Versorgungseinrichtungen, landwirtschaftliche Alterskassen, Pensionsfonds und -kassen sowie Lebensversicherer übermitteln spätestens, wenn jeder die Steuer-Identifikationsnummer erhalten hat, Name, Anschrift, Geburtsdatum, Beginn und Höhe der Rente oder Pension an eine "zentrale Stelle" bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Dort werden die Daten gebündelt und an die Landesrechenzentren und auf Abruf den Finanzämtern zur Verfügung gestellt. So kann der Fiskus auch Renten und Pensionen der Vorjahre zurückverfolgen. Zwar haben viele Rentner eine Nichtveranlagungsbescheinigung, stellt sich jedoch heraus, daß Kapital- und Mieteinkünfte den Grundfreibetrag übersteigen, handelt es sich zumindest um eine leichtfertige Steuerverkürzung.
Immobilien: Notare müssen alle beurkundeten Käufe und Verkäufe dem Fiskus melden. Somit gewinnt das Finanzamt Anhaltspunkte über gewerblichen Grundstückshandel. Bausparkassen melden der Behörde, wenn Bausparverträge vorzeitig ausgezahlt werden.
Hawala-Banking:
Überweisung ohne Spuren
Wie überweist ein afghanischer Flüchtling von Deutschland Geld an Verwandte in der Heimat? Funktionierende Banken gibt es dort kaum. Dennoch ist der Geldtransfer kein Problem: In deutschen Großstädten fungieren Kebab-Buden, Reisebüros, Gemüsehandlungen oder Im- und Exportfirmen nebenbei als Bank. Sie nutzen das Hawala-, Chop-Shop-, Chiti- oder Hundi-Banking. Ein sehr effizientes Untergrundsystem.
Dabei zahlt der in Deutschland lebende Absender das Geld bei einem der Untergrundbanker ein. Umgekehrt überweisen in Afghanistan Menschen über einen anderen Untergrundbanker Geld nach Deutschland. Nun verrechnen die beiden Banker die Summen einfach miteinander, das Geld wechselt niemals materiell den Ort. Diese Art von Transaktion hinterläßt keinerlei Papierspuren. Nicht zuletzt deshalb, weil die illegal operierenden Untergrundbanken im eigenen Interesse keinerlei Buchführung betreiben. Zwar hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bereits einige Verfahren gegen dieses illegale Untergrundbanking eröffnet, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.
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