Passauer Neue Presse 20.05.08 Brutale Umverteilung nach oben
Oskar Lafontaine, Chef der Partei DIE LINKE, macht im PNP-Interview die Große Koalition verantwortlich für die Zunahme der Armut in Deutschland.
Die Armut in Deutschland nimmt zu: Welche Konsequenzen müssen gezogen werden? Die Zunahme der Armut ist eine Schande für Deutschland. Die Politik der letzten Jahre hat dazu geführt, dass Millionen Menschen in Armut leben müssen. Die Lohnquote fällt, der Niedriglohnsektor in Deutschland ist größer als in jedem anderen Industriestaat. Politiker der anderen Parteien beklagen die zunehmende Armut und übersehen, dass sie selbst Schuld an dieser Entwicklung sind.
Wo liegen denn die Ursachen? Hartz IV und die falsche Politik der Großen Koalition sind die Gründe für die Zunahme der Armut. Die Verteilungsbilanz von CDU, CSU und SPD wird durch eine jährliche Mehrwertsteuerbelastung von 22 Milliarden Euro bestimmt. Das trifft vor allem Arme und Mittelschicht. Gleichzeitig sind die Unternehmen um 20 Milliarden Euro entlastet worden. Die Umverteilung nach oben geht in brutaler Weise weiter. Daran ändern auch die jüngsten Schritte bei Rente, Wohngeld und Arbeitslosengeld wenig. Die sind ohnehin nur zustande gekommen, weil die anderen Parteien Angst vor der Linken haben.
Was ist Ihre Antwort auf diese Entwicklung? Wir benötigen ein Sofortprogramm: In einem ersten Schritt die Anhebung des Kinderzuschlags auf 200 Euro und die Anhebung des Hartz-IV-Satzes für Kinder auf 300 Euro. Ziel ist eine Grundsicherung von 420 Euro für jedes Kind. Darüber hinaus müssen alle Steuerzahler von den Folgen der kalten Progression befreit werden. Hartz IV muss weg. Und wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn.
Die CSU setzt auf Steuererleichterungen ... Wir begrüßen, dass die CSU unsere Vorschläge übernommen hat. Leider haben ihre Abgeordneten neulich erst im Bundestag dagegen gestimmt. Das ist das Grundübel der Großen Koalition: Öffentlich fordern CDU, CSU und SPD das Gegenteil von dem, was sie im Bundestag beschließen.
Wie steht die Linke zur geplanten Diätenerhöhung? Arbeitnehmer und Rentner verlieren massiv an Kaufkraft. Das geht schon seit Jahren so. Eine Diätenerhöhung von 16 Prozent ist vor diesem Hintergrund unanständig. Ich fordere die Große Koalition auf, diese schamlose Diätenerhöhung zu unterlassen.
Ist die Linke mehr als eine Protestpartei? Wir sind die Partei, die die politische Landschaft in den letzten Jahren am deutlichsten verändert hat. Das wird uns inzwischen von allen Seiten bescheinigt. Die Linke ist auf einem guten Weg. Allerdings sind wir im Westen mit etwa 20 000 Mitgliedern noch zu schwach. Bei Kommunalwahlen haben wir wie FDP und Grüne Schwierigkeiten, ausreichend geeignete Leute zu finden, die sich um ein Mandat bewerben wollen. Aber wir gewinnen ständig neue Mitglieder.Die Linke ist eine Partei ohne Programm, aber mit heftiger Neigung zu Streit und Grabenkämpfen.
Einige Teile der Partei werden vom Verfassungsschutz beobachtet ... Moment mal! Dass wir weiter vom Verfassungsschutz beobachtet werden, ist eine Frechheit: Auf unserem Parteitag werden wir die Beobachter des Verfassungsschutzes auffordern, sich den wirklichen Verfassungsfeinden zuzuwenden, nämlich Wolfgang Schäuble und Franz Josef Jung. Das Verfassungsgericht kann sie nur mit Mühe davon abhalten, verfassungsfeindliche Gesetze in die Tat umzusetzen. Im Übrigen ist unser Programm so gut, dass die anderen Parteien es Schritt für Schritt übernehmen.
Als früherer SPD-Chef: Sorgt Sie der Zustand der Partei? Das Schlimme ist, dass linke Politikvorstellungen mit dieser SPD nicht durchzusetzen sind. Sie weigert sich aus Gründen der Koalitionsräson, mit uns im Bundestag Projekte für mehr soziale Gerechtigkeit wie den Mindestlohn oder eine gerechte Vermögensteuer zu beschließen. Vom Sozialabbau hat sich die SPD nicht gelöst. Und sie unterstützt weiter völkerrechtswidrige Kriegseinsätze.
Trägt Kurt Beck die Schuld für die Talfahrt der SPD? Für den Niedergang der SPD ist die falsche Politik der letzten zehn Jahre verantwortlich. Dafür stehen die Namen Schröder, Müntefering und Struck. Ich hoffe, dass die Sozialdemokraten bald zu einer Politik zurückfinden, wie sie unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt noch selbstverständlich war.
Gregor Gysi schließt nicht aus, schon 2009 mit der SPD im Bund zusammenzuarbeiten. Wenn Kurt Beck dem gesetzlichen Mindestlohn und der Aufhebung von Hartz IV zustimmt, bei der Rente die bewährte Rentenformel wieder herstellt und die deutschen Soldaten aus Afghanistan zurückzieht, kann er morgen Kanzler sein. Unser Angebot gilt.
Stichwort Bundespräsidentenwahl: Ist die Linke bereit, eine Kandidatin oder einen Kandidaten der SPD zu unterstützen? Beim letzten Mal hat die ehemalige PDS die SPD-Kandidatin Gesine Schwan unterstützt. Jetzt warten wir erst einmal ab, wie die Landtagswahl in Bayern ausgeht. Danach kennen wir die Zusammensetzung der Bundesversammlung. Wir werden sehen, ob die SPD eine eigene Kandidatin aufstellt, auch Köhler hat sich noch nicht erklärt. Wenn wir die Bewerber kennen, werden wir entscheiden, wen wir unterstützen.Gespräch: Rasmus BuchsteinerPassauer Neue Presse, 20. Mai 2008
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