HANDELSBLATT, Mittwoch, 10. Mai 2006, 11:58 Uhr Finanzpolitik
Fiskus droht Fiasko mit der Pendlerpauschale
Von Axel Schrinner
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) droht mit seinen Plänen zur Kappung der Pendlerpauschale Schiffbruch zu erleiden: Experten warnen vor unerwünschten gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen - und einem Nein aus Karlsruhe.
DÜSSELDORF. Vom Handelsblatt befragte Steuerfachleute wiesen auf massive verfassungsrechtliche Bedenken hin. „Ich habe nachhaltige Zweifel, ob das rechtlich in Ordnung ist“, sagte der Präsident des Finanzgerichtstags, Jürgen Brandt. Der Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine kündigte an, gegen die Pläne „durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht“ klagen zu wollen. Steuerzahlerpräsident Karl Heinz Däke warf Steinbrück vor, mit den Einschnitten an der Pendlerpauschale einen Verfassungsverstoß bewusst in Kauf zu nehmen.
Stein des Anstoßes ist Steinbrücks Entwurf für das Steueränderungsgesetz 2007, das unter anderem die Kappung der Entfernungspauschale vorsieht. Pendler sollen demnach Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erst ab dem 21. Entfernungskilometer steuerlich geltend machen dürfen. Dazu will Steinbrück laut Entwurf ab 2007 das „Werkstorprinzip“ einführen, nachdem alle Aufwendungen eines Steuerpflichtigen, um zur Arbeit zu gelangen, zu seinem privaten Bereich zählen und damit steuerlich irrelevant sind. Um Härten zu vermeiden, sollen Fernpendler ihre Fahrtkosten ab dem 21. Kilometer aber „wie Werbungskosten“ absetzten können.
Bislang können Pendler 30 Cent je Entfernungskilometer von der Steuer geltend machen. Dies kostet den Fiskus etwa vier Mrd. Euro pro Jahr. Steinbrück will mit seinem Gesetz diese Kosten mehr als halbieren. Mit den Mehreinnahmen will er seinen Etat sanieren.
Finanzgerichtstagspräsident Brandt betonte, nach dem im Steuerrecht geltenden Nettoprinzip müssen Erwerbsaufwendungen abzugsfähig bleiben – nach dem Nettoprinzip darf der Fiskus nur den Anteil des Einkommens besteuern, der netto übrig bleibt, wenn die zwangsläufigen Aufwendungen abgezogen wurden. Dieses Prinzip in einem einzigen Punkt, den Fahrtkosten zur Arbeit, abzuschaffen, in anderen Teilen des Steuerrechts aber daran festzuhalten, sei problematisch, sagte Brandt. Sobald der Gesetzgeber versuche, „da im Kleinen etwas abzuschneiden, verstößt er gegen den Grundsatz der Folgerichtigkeit – und der ist natürlich im Fokus des Bundesverfassungsgerichts“, sagte Brandt, der Richter am höchsten Steuergericht, dem Bundesfinanzhof, ist.
Zudem habe das Bundesverfassungsgericht zuletzt dem Nettoprinzip „nachhaltig Raum gegeben“. In seiner Entscheidung zur doppelten Haushaltsführung hatte das Verfassungsgericht 2002 die bis dahin geltende Praxis gekippt, nach der Steuerpflichtige die Kosten für eine beruflich veranlasste doppelte Haushaltsführung nur zwei Jahre lang steuerlich geltend machen konnten. Das Gericht hatte betont, dass beiderseits berufstätige Eheleute immer häufiger an unterschiedlichen Orten arbeiteten und deshalb ihre Wohnung nicht ohne weiteres an den Arbeitsort des Haushaltsvorstands verlegen könnten – und damit zugleich ein gängiges Argument der Gegner der Pendlerpauschale entkräftet.
Und tatsächlich ist auch nach Ansicht der Bundesregierung die Pendlerpauschale keine Steuersubvention. In ihrem Subventionsbericht heißt es lapidar, „als Steuervergünstigungen wird in der öffentlichen Diskussion beispielsweise auch die Entfernungspauschale genannt, die im Subventionsbericht nicht enthalten“ ist. Steinbrück selbst hatte 2003 in seiner Eigenschaft als NRW-Ministerpräsident zusammen mit seinem hessischen Amtskollegen Roland Koch denn auch lediglich ein – inzwischen längst umgesetztes – leichtes Abschmelzen der Pauschale gefordert.
Auch der Sachverständigenrat unterstrich zuletzt, „die Entfernungspauschale ist keine Steuervergünstigung“. Der Wirtschaftsweise Wolfgang Wiegard erläuterte diese Position an einem Beispiel so: Ein Arbeitnehmer bekommt einen neuen Job in einer anderen Stadt angeboten, der sein Einkommen um 5 000 Euro erhöht. Die Fahrtkosten betragen 3 000 Euro; der persönliche Steuersatz 50 Prozent. Sind die Fahrtkosten steuerlich abzugsfähig, erhöht sich das Nettoeinkommen um 1 000 Euro, der Jobwechsel lohnt also. Sind die Fahrtkosten hingegen nicht abzugsfähig, vermindert sich das Nettoeinkommen um 500 Euro, der Arbeitnehmer nimmt den neuen Job also nicht an. „Gesamtwirtschaftliche Produktivitätsgewinne würden also verschenkt“, sagte Wiegard dem Handelsblatt.
HANDELSBLATT, Mittwoch, 10. Mai 2006, 11:58 Uhr
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