Inside Wall Street von Lars Halter, New York
Die frischen Details zur geplanten US-Finanzmarktreform lösen an den US-Börsen eine Kehrtwende aus. Unvermittelt strömen die Anleger zurück in den Finanzsektor. Der Grund: Für die Banken dürfte sich wohl trotz allem nicht viel ändern. "Dies ist das Capitol", mag jener Vater seinen elektromobiliserten Kindern auf der Besichtungstour durch die US-Haupstadt erklären, "darin beraten Abgeordnete und Senatoren über das Allgemeinwohl in den Vereinigten Staaten" Dass man sich an der Wall Street freut, wenn der Dow Jones mit einem Minus von 20 Punkten schließt, ist selten. Am Dienstag lag das daran, dass die Blue Chips zunächst um 290 Punkte eingebrochen waren und sich dann erst aufrappelten - dank guter Nachrichten für die Banken. Die kommen bei der aktuellen Finanzmarktreform glimpflich davon und jubeln.
Doch was den Banken gefällt, ist nichts anderes als das Versagen der Politiker in Washington, wo es der demokratisch regierte Kongress wieder einmal nicht geschafft hat, in einer Krise mit harter Hand durchzugreifen und neue Regeln zu schreiben.
Dabei hatte man so viel vor: Nachdem der Steuerzahler zahlreiche Großbanken mit Milliardenspritzen vor dem Zusammenbruch bewahren mussten, weil man sonst um die Zukunft der gesamten amerikanischen Wirtschaft hätte bangen müssen, sollte es "too big to fail" nicht mehr geben. Gewisse Finanzinstitute die, wie etwa Citigroup, zu groß und in zu viele Branchen gewuchert sind, sollten zerschlagen werden - davon ist man in der aktuellen Reformvorlage abgekommen.
Die Gesamtgröße einzelner Banken soll nicht mehr begrenzt werden. Auch die Gebühren und Zinsen, die Banken ihren Kreditkartenkunden abverlangen, will man nicht beschneiden. Selbst die "chinesische Mauer", die stets das Bank- von Investmentgeschäft trennte und die erst 1999 eingerissen wurde, soll nicht mehr aufgebaut werden. Von Steuern auf finanzielle Transaktionen, etwa elektronische Penny-Trades, die jüngst einen Mini-Crash verursacht haben sollen, will der Kongress nichts mehr wissen, von höheren Steuern auf überzogene Manager-Boni auch nicht.
Ein bisschen genauer hinschauen Was in der Finanzmarktreform noch geblieben ist, sind nur noch ein paar generelle Ideen. Die Aufsichtsbehörden bekommen etwas mehr Macht und sollen künftig ein Auge auf den Derivate-Handel und Geldkarten-Gebühren halten. Auch dürfen Banken keine eigenen Hedgefonds mehr besitzen. Selbst das geht der Lobby zu weit. "Hier wird überreagiert und überreguliert", schimpft etwa Scott Talbot vom Financial Services Roundtable, einem Branchenverband der Geldinstitute.
Dass alles nicht so schlimm ist, zeigt aber die Reaktion der Analysten. Richard Ramsden von Goldman Sachs schätzt in einer ersten Reaktion gegenüber der New York Times etwa, dass die neuen Regulierungen die Banken kurzfristig 20 Prozent ihrer Gewinne kosten. Er fügt aber an, dass sich die Branche schnell anpassen und Wege finden wird, um die neuen Gesetze herumzuarbeiten.
Investoren schlugen entsprechend zu: Kaum wurden Details zur Finanzmarktreform bekannt, schnellten Aktien von JP Morgan Chase und Morgan Stanley um rund fünf Prozent in die Höhe.
Für den Rest der Woche will das wohlgemerkt nicht viel heißen. Die aktuelle Schwäche an den Märkten ist nur zu einem sehr kleinen Teil der Sorge um eine beißende Reform in Washington zuzuschreiben. Vielmehr ängstigt man sich auf dem New Yorker Parkett um die Stabilität Europas und die Auswirkungen einer europäischen Finanz- und Schuldenkrise auf die amerikanische Wirtschaft.
Dass der Immobilienmarkt zwischen New York und L.A. weiter schwächelt und der Arbeitsmarkt darnieder liegt, trägt ein übriges dazu bei. Die Aussichten an der Wall Street sind düster, und das war in den steilen Einbrüchen der letzten beiden Wochen reflektiert. Die Dienstags-Rally hat damit nichts zu tun und dürfte einen Absturz der Blue Chips nicht verhindert, sondern lediglich um ein paar Tage verzögert haben.
http://www.n-tv.de/wirtschaft/marktberichte/...ist-article889020.html
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