Das Interview mit Koo zeigt, wo seine "Denke" zu kurz greift.
"Welt": Die japanische Staatsverschuldung liegt bei 250 Prozent der Wirtschaftsleistung. Ist Japan das nächste Griechenland?
Richard Koo: Nein, überhaupt nicht. Der Staat muss investieren und konsumieren und für den privaten Sektor einspringen. Denn Unternehmen und private Haushalte in Japan zahlen noch immer ihre Schulden ab und nehmen kein neues Geld auf, um es zu investieren. Würde die Regierung es ihnen nachmachen, würde die Nachfrage sofort stark sinken, die Preise würden fallen, und dann droht eine Deflationsspirale.
"Welt": Dafür hat das Land jetzt die höchsten Staatsschulden der Welt – ist es nicht an der Zeit, die Schulden abzubauen?
Koo: Nein, die Politik muss sich darum kümmern, aber darf das nur sehr behutsam tun. [Wie "behutsam" ist der Abbau, wenn in Japan der Haushalt 2010 zu über 50 % durch Neuverschuldung finanziert wird? Statt von behutsamem Abbau würde ich eher von hemmungslosem Aufbau sprechen - A.L.] Würde die Regierung ihre Schulden vorschnell abbauen, also bevor der private Sektor sich entschuldet hat, könnte die Wirtschaft erneut einbrechen und das Staatsdefizit wieder in die Höhe treiben, so wie es in Japan 1997 und 2001 geschehen ist. Wir können die Ausgaben nur zurückführen, wenn wir absolut sicher sind, dass private Investoren diese Lücke füllen. Nur dann wird die Wirtschaft nicht geschwächt. Wenn die Privatwirtschaft dafür noch nicht bereit ist, bricht alles zusammen, sobald die Regierung aufhört, sich Geld zu leihen.
Koo stellt die fortlaufende Neuverschuldung Japans als "alternativlos" dar, weil sonst (wörtlich) "alles zusammenbricht". Das wirft mehrere Fragen auf:
1. Welchen Anreiz hat die japanische Privatwirtschaft denn überhaupt noch zum Investieren, wenn die Wirtschaft immer mehr zur staats-interventionistischen Planwirtschaft mutiert? [China ist zurzeit auf ähnlichen Abwegen.] Welches Unternehmen kommt - unter der Prämisse, Gewinne erwirtschaften zu wollen - gegen einen chronisch defizitären (und daher ineffizienten) Staat an? Das ganze System wird ja nur "auf Pump" am Laufen gehalten. Da es dem Staat "erlaubt" ist, defizitär zu arbeiten, Firmen aber auf defizitärer Basis nicht dauerhaft gedeihen können, werden wegen der staatlichen "Konkurrenz" in punkto Verschuldung und Ineffizienz auch weiterhin keine "privaten Investoren diese Lücke füllen". Koo und Japan werden dieser Hoffnungs-Mohrrübe bis zum allfälligen Zusammenbruch des Schulden-Kartenhauses hinterherlaufen.
Japans Wirtschaft kränkelt seit nunmehr 20 Jahren. Alle bisherige Schulden-Stimulation hat lediglich das Überleben auf "deflationärem Niedrig-Niveau" ermöglicht. Das hat zwar eine zweite Große Depression in Japan verhindert, ist aber nicht nachhaltig, weil Schulden zu BIP in Japan mit über 200 % inzwischen auf "Weltrekord" stehen - ohne dass ein Ende der Deflation in Sicht wäre.
Koo steckt in der (selbstreferenziellen) argumentativen Falle, dass die Verschuldung weitergeführt werden MUSS, obwohl sie bislang lediglich deflationäres Siechtum bewirkte, "weil sonst alles zusammenbricht". Damit kommen wir zu Punkt 2:
2. Wer garantiert denn, dass Japan sich unter diesen Bedingungen immer weiter verschulden KANN? Die Schere aus wachsender - und zunehmend untragbarer - staatlicher Neuverschuldung, die an das "Versprechen" irgendwann magisch aufkommenden organischen Wachstums gekoppelt ist, und einer ungeachtet dessen notorisch fortdauernden Deflation klafft immer weiter auseinander. Das implizite Wachstumsversprechen wird umso weniger glaubhaft, je höher sich die Schulden türmen.
Angesichts dieser Schere ist der Tag ist nicht mehr fern, an dem das japanische Defizit mangels Käufern neu gedruckter Anleihen nicht mehr finanzierbar ist. Dann bricht das Kartenhaus zusammen.
Koo wertet die japanische Schuldenwirtschaft als "Erfolg" - was sie vordergründig auch ist, da sie eine zweite Große Depression in Japan bislang verhindert hat. Aber es gibt nach wie vor kein organisches (selbsttragendes) Wachstum. Seit 1990 krebst Japan, trotz hemmungloser Schuldensause, im Deflations-Siechtum.
Sobald bei der Neuverschuldung das Ende der Fahnenstange erreicht ist, wird in Japan die bislang "aufgeschobene Depression" dennoch kommen. Dann drohen in Japan in der Tat "griechische Verhältnisse". Dass Koo und die japanische Regierung dies nicht will und sich mit aller Neuverschuldungs-Macht dagegenstemmt, kann den Lauf der Dinge nur temporär beeinflussen. Am Ende wird "der Markt" entscheiden, ob er das japanische Verschuldungsmodell für langfristig tragfähig hält.
[Wie solche "Abstimmung" durch den Markt typischerweise ausfällt, zeigt die PIIGS-Krise. In Spanien ist Anfang Mai der Markt für Commercial Paper (kurzfristige Refinanzierungen) über Nacht ausgetrocknet, weil US-Investoren ihre Mittel abziehen. Es herrscht akuter Dollar-Mangel, und die EZB muss bei der Fed schnorren gehen.]
Das japanische Modell ist eben NICHT tragfähig. Der von Koo erhoffte magische Umkehrpunkt, an dem die staatliche Schuldenwirtschaft in ein selbsttragendes organisches Wachstum "umschwenkt", lässt seit 20 Jahren auf sich warten. Die Amis hoffen zurzeit das Gleiche und imitieren das japanische Modell. Es wird auch in USA in Deflation enden. Der Übergang zu Deflation/Depression wird sich global aber schneller vollziehen als in Japan, da Japan in den 1990ern noch ein "Deflations-Solist" in einer ansonsten wachsenden Welt war, was die Effekte in Japan abmilderte. Nun versucht die ganze Welt das japanische Verschuldungs-Heilungs-Modell zu kopieren, OBWOHL es in Japan nicht geklappt hat. Und genau deshalb ist Koo ein laut Welt "so gefragter Mann". Welche Erfolge hat Koo vorzuweisen außer dem Schulden-erzwungenen "Depressions-Aufschub"?
Fortdauernde Deflation wie in Japan ist zwar "besser" als eine sofortiges depressives Absinken. Man retttet sich so von Quartal zu Quartal über die Runden - immer hoffend, dass die proklamierte Wende unmittelbar vor der Tür steht. Doch die Wende kam bislang nicht und wird mMn auch nicht mehr kommen. Der Anreiz für private Investoren, angesichts ausufernder - und mit der Zeit lähmender - Staatsschulden zu investieren, wird immer kleiner. Japan fällt dadurch in eine Abwärtsspirale, und argumentative Krücken wie die von Koo, die letztlich auf ein "Weitermachen wie bislang" hinauslaufen, werden irgendwann mangels Substanz wegknicken.
Am Ende steht in Japan mMn zwangsläufig die bislang "erfolgreich" aufgeschobene Depression. Der Tag X wird kommen, wenn der japanische Bondmarkt zu schwächeln beginnt - wie im Frühjahr der griechische.
|