Handelsblatt Währung im Sinkflug: „Der Euro steht vor einer schweren Zukunft“
Der Euro findet keinen Halt. Seit November ist die Gemeinschaftswährung von 1,51 auf weniger als 1,19 Dollar gestürzt. Und so lange die Euro-Staaten nicht gegensteuern, werden die Märkte auch kein neues Vertrauen fassen, erwartet Eugen Keller, Devisenstratege beim Bankhaus Metzler. Im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärt er, wie die Währungsunion gerettet werden kann und wieso ein starker Euro im Interesse aller Staaten ist. Herr Keller, der Euro fällt immer tiefer. Was ist der Auslöser für den rasanten Kurssturz?
Wir sind selbst von der Heftigkeit des Absturzes überrascht. Fundamental steht der Euro gar nicht schlechter da als andere Währungen, aber die dominierende Frage ist zurzeit, ob die politische Klammer um den Euro hält. Und hier gehen einige Marktteilnehmer davon aus, dass dies nicht der Fall sein wird.
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Der Euro hat in seiner jetzigen Ausgestaltung Vertrauensprobleme. Ein Jahrzehnt nach Einführung des Euros ist offensichtlich, dass es damals Konstruktionsfehler gegeben hat, die die Mitgliedsländer zu Disziplinlosigkeiten einladen. Zudem wurde in den vergangenen Jahren geltendes Recht des Maastrichter Vertrages gebrochen, als die Defizitkriterien gebeugt wurden. Jetzt steckt Europa in der Schuldenkrise und die Euro-Zone droht zur Transferunion zu werden. Diesen Weg werden auch große Staaten wie Deutschland nicht mitgehen wollen.
Hat die Währungsunion eine Zukunft?
Ja, die hat sie, wenn die dringend notwendigen Reformen schnell in Gang gebracht werden. Aktuell ist die Euro-Zone eine Zweiklassengesellschaft, die aus einem Bund der Starken um den früheren D-Mark-Block und einem Bund der Schwachen um die südlichen Euro-Länder besteht. Die Euro-Staaten müssen jetzt klare Regeln vorgegeben, was passiert, wenn Verträge nicht eingehalten werden und wie mit Staaten umgegangen wird, die gegen die Regeln verstoßen. Es darf nicht länger sein, dass jeder rausgepaukt wird, der selbstverschuldet in Probleme gerät. Wie stehen Sie zu einer stärkeren Verzahnung von Wirtschafts- und Finanzpolitik der Staaten?
Wenn der Euro eine Zukunft haben soll, brauchen wir neben der Währungs- auch eine funktionierende politische und Wirtschaftsunion, wie man sie bei Einführung des Euros versprochen hat. Eine Wirtschaftsunion im Sinne einer europäisch gelenkten, zentralen Wirtschaftspolitik, wie sie in manchen Köpfen in Paris vorschwebt, ist hier ausdrücklich nicht gemeint.
Wie stehen die Chancen für einen solchen Schritt?
Das Umfeld ist schwieriger denn je, da in der Krise das nationalstaatliche Denken wieder in den Vordergrund getreten ist. Die Staaten sind kaum mehr in der Lage, sich an einen Tisch zu setzen und Lösungen zu schaffen. Das zeigt sich in der Euro-Zone, das hat aber auch das G20-Treffen am Wochenende gezeigt, bei dem keine konkreten Ergebnisse herausgekommen sind, weil die USA und andere Staaten ihre Wirtschaft lieber weiter mit billigem Geld und fiskalischen Zugeständnissen am Laufen halten wollen, als die unumgängliche Konsolidierung der Staatsfinanzen anzugehen.
Sie sprechen die Verschuldungssituation in anderen Staaten an. Viele stehen nicht besser da als die Euro-Zone, einige sogar deutlich schlechter. Warum interessiert das am Devisenmarkt zurzeit niemanden?
Es ist eine Frage des Vertrauens. So lange nicht alle Staaten der Euro-Zone den Beweis antreten, dass sie in der Lage oder zumindest bereit sind, die Probleme mit harter Hand anzugehen, spricht psychologisch vieles gegen den Euro. Ob das richtig ist, steht auf einem anderen Papier. Meines Erachtens fokussiert sich der Markt viel zu stark auf das Thema Gemeinschaftswährung und blendet alles andere aus, was auf der Welt noch passiert. Unterstützend kommt hier noch die Tatsache hinzu, dass sich sowohl Angelsachsen als auch Japaner einer Währungshoheit erfreuen können, was derzeit am Devisenmarkt noch positiv bewertet wird.
Was bereitet Ihnen außerhalb der Euro-Zone Kopfzerbrechen?
Es ist ja nicht so, als wenn es in anderen Währungsräumen nicht auch genügend Probleme gebe. Man muss doch nur mal in die USA schauen: Die Arbeitsmarktdaten am Freitag lassen Zweifel an der Erholung der US-Wirtschaft aufkommen, die Investitionsneigung ist gering, die Sparquote viel zu niedrig und in Sachen Staatsverschuldung machen die Amerikaner überhaupt keine Fortschritte. Hinzu kommt jetzt die unsägliche Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, deren Tragweite viele noch gar nicht erkannt haben. Der US-Wirtschaft drohen durch die Schäden gewaltige Belastungen, die den Aufwärtstrend jäh stoppen können.
Und trotzdem steigt der Dollar kontinuierlich an.
Egal, was in den USA passiert – die Amerikaner schaffen es sehr geschickt, von den eigenen Problemen abzulenken und den Schwarzen Peter zurück in die Euro-Zone zu schieben. Aber das wird nicht mehr lange gut gehen. Ich rechne damit, dass die Probleme im angelsächsischen Raum – denn den Briten geht es nicht besser als den Amerikanern – im zweiten Halbjahr aufgerollt werden und der Euro sich dann erholen kann.
Wieso sollte sich der Fokus so schnell verlagern?
Weil es im Interesse dermStaaten ist, deren Währungen jetzt aufwerten. Die US-Konjunktur ist zu fragil, als dass sie einen starken Dollar gebrauchen könnte. [Umgekehrt heißt das aber auch: Wenn der Dollar stark bleibt, OBWOHL die Amis dies nicht wollen, bekommt die US-Wirtschaft noch gravierendere Problem - A.L.] In Großbritannien und in Japan sieht es genauso aus. Man erkennt das gut daran, wie sensibel die lokalen Aktienmärkte auf eine Aufwertung der Landeswährung reagieren. Dies hat zwei Folgen: Zum einen steigt der Druck auf diese Länder, ebenfalls in die Konsolidierung der Staatshaushalte einzusteigen, was einige negative Nachrichten mit sich bringen dürfte. Zudem dürfte das Ausland Druck auf die Euro-Zone machen, zumindest verbal gegen die Abwertung des Euros zu intervenieren. [Mit Devisenmarkt-Interventionen im mMN nicht vor Erreichen der Parität von EUR/USD zu rechnen. Die letzte Intervention der EZB erfolgte im Herbst 2000 bei Kursen von 0,87 - A.L.]
Ist das denn im Interesse der Euro-Länder?
Den meisten Staaten kommt der schwächere Euro sicher nicht ungelegen, auch für Deutschland ist er so etwas wie ein Konjunkturprogramm. Das ist aber nur die kurzfristige Sicht. Denn Kursverluste des Euros ziehen aktuell fast automatisch Verluste an den Aktienmärkten nach sich, weil alle Welt damit rechnet, dass es neue Hiobsbotschaften von europäischen Staaten geben wird. Das ist auf längere Sicht eine große Gefahr, da die Rückkopplung von den Märkten auf die Realwirtschaft sehr intensiv ist und die Konjunktur nicht gefestigt genug ist, um weitere Rückschläge zu verkraften. Insofern dürfte das Interesse an einem stärkeren Euro in den nächsten Monaten rund um den Globus zunehmen.
Das heißt, die Euro-Talfahrt geht bald zu Ende?
Es gibt genug Negativszenarien, die am Markt gespielt werden. So wie einige sagen, der Euro ist in ein oder zwei Jahren Geschichte, erwarten andere, dass er bis auf die Parität zum Dollar fällt. Ich bin konstruktiver und rechne damit, dass es im zweiten Halbjahr für den wieder aufwärts geht. Wie weit er vorher noch fällt, ist schwer zu sagen. Aus psychologischer Sicht steht der Euro vor einer wichtigen Unterstützung, nämlich dem Einführungskurs bei 1,1789 Dollar aus dem Jahr 1999. Es wäre gut, wenn diese Marke hält, sonst kann es noch deutlich tiefer gehen, ehe die Wende einsetzt. http://www.handelsblatt.com/finanzen/devisen/waehrung-im-sinkflug-der-euro-steht-vor-einer-schweren-zukunft;2595841;0
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