Hugh Hendry: Deflationsgefahren groß und akut
Fondsmanager Hugh Hendry macht sich Sorgen um Chinas Wirtschaftsmodell sowie die Auswirkungen auf Japan und die Welt, sollte sich Chinas Konjunktur abschwächen.
Hugh Hendry ist in London ein bekanntes Gesicht. Der Hedgefondsmanager ist gern gesehener Gast in den TV-Talkrunden bei CNBC Europe und schreibt regelmäßig Kolumnen für die „Financial Times“. Mit seiner elf Mann starken Firma Eclectica Asset Management hat er es sich am Rand des beschaulichen Viertels Notting Hill bequem gemacht. Bei Hendry geht es leise zu, es wird nicht hektisch telefoniert, flimmernde Bildschirme sind tabu. „Wir verbringen viel Zeit mit Nachdenken“, sagt Hendry, „und mit Reisen.“ Ein Drittel des Jahres ist der Manager unterwegs, in Lateinamerika, in Asien, den USA. Aus seinen Eindrücken schafft er sich ein Gesamtbild über den Zustand der Märkte. Was er da sieht, macht ihn skeptisch.
Die Wirtschaftswelt scheint gespalten in Experten, die vor Inflation warnen, und die Gegenseite, die Deflation befürchtet. Wo stehen Sie?
Hugh Hendry: Ich bin fest davon überzeugt, dass die Deflationsgefahren groß und akut sind. Der Konsens der Experten ist ja, dass der Umfang der Finanzprobleme, mit denen die Weltwirtschaft kämpft, so groß ist, dass es sehr wahrscheinlich zu einer Hyperinflation kommen wird und Staatsschulden mit wertlosem Papiergeld bezahlt werden. Ich behaupte aber, dass die Politiker für ein derart extremes Verhalten nur dann legitimiert sind, wenn die Welt zuvor mit einer tiefen und verunsichernden Deflation konfrontiert würde.
Woran machen Sie die Deflationsgefahren fest?
Hendry: Die Wurzel des Übels liegt in Asien, im Geschäftsmodell, das Asien verfolgt, und in der schier blinden Euphorie der Investmentbranche, was China angeht. Ähnliches hatten wir schon mit Japan in den 70er- und 80er-Jahren, dann mit den Tigerstaaten in den 90ern. Ich glaube aber, dass unsere Eliten in diesem Punkt grandios falsch liegen. Die asiatische Wirtschaftsentwicklung hat große Mängel. Ich bin überzeugt, dass China ein Wirtschaftswachstum schafft, ohne dass gleichzeitig das Vermögen pro Kopf wächst. Das ist wie bei einer Cocktailparty, bei der die Cocktails fehlen.
Das erklärt noch nicht Deflationsgefahren.
Hendry: Es gibt zwei mögliche Ursachen für Deflation: ein Nachlassen der chinesischen Wachstumsrate und eine plötzliche dramatische Aufwertung des Yen, welche die Exportbasis Japans zerstören würde. China kann das Wachstum von acht bis zehn Prozent pro Jahr eigentlich nur aufrechterhalten, wenn das Land seine Industriekapazitäten noch weiter ausbaut. Das wäre aber zu viel des Guten. Wir leiden doch jetzt schon unter Überkapazitäten. Und China ist damit auf Kollisionskurs mit dem Rest der Welt. Chinas künftiger wirtschaftlicher Erfolg würde zulasten vieler Industrieunternehmen in Japan, Europa und den USA gehen. Wir reden von massiven Überkapazitäten, die dann Deflation ermöglichen.
Und die zweite Ursache? Der aufwertende Yen?
Hendry: Das ist ein wenig komplexer. Grundproblem sind die finanziellen Ungleichgewichte Japans. Ich meine die Verpflichtungen im Inland, etwa Pensionen und Versicherungen, die sich auf die großen Dollardevisenreserven des Landes stützen. Durch diese Dollarabhängigkeit shortet Japan de facto die eigene Währung und, was die Sache noch schwieriger macht, das tun die Hedgefonds auch. Überlegen Sie einmal: Kennen Sie jemanden, der wohlhabend ist und auf Yen lautende Bareinlagen besitzt? Dollar, Euro, Pfund, Schweizer Franken, sogar Singapur-Dollar ja, aber keiner hält die Währung der zweitgrößten Wirtschaftsnation. Das kann auf Dauer nicht gut gehen. Ein unerwartetes Ereignis, wie etwa ein Einbruch beim chinesischen Wirtschaftswachstum, kann dann zu Torschlusspanik auf den Devisenmärkten führen, was den Yen dramatisch aufwertet, weil sich plötzlich jeder damit eindecken muss.
Mit dann wohl schlimmen Auswirkungen für die japanische Exportwirtschaft?
Hendry: Richtig. Wenn in einer Welt, die von immer noch exorbitant fremdfinanzierten Portfolios der Finanzinstitute bestimmt ist, ein Yen-Asset, etwa eine Unternehmensanleihe, deutlich fällt, dann steigt die Nachfrage nach Yen, weil der Kreditnehmer nun noch mehr Yen aufnehmen muss, um den Verlust auszugleichen. Ein Teufelskreis begänne. Der Yen wertet sprunghaft auf, die Exportbasis Japans kollabiert, an den ohnehin nervösen Aktienmärkten kommt es zu Panik.
Die Deflation in Japan ist ja jetzt schon so heftig wie seit den 90ern nicht mehr.
Hendry: Ja, es will aber keiner hören. Japan ist die Volkswirtschaft, die am stärksten mit China verbandelt und damit auch abhängig ist. Umso interessanter ist es, wie vehement die Tokioter Geschäftsleute bei meiner letzten Japan-Reise im März die Möglichkeit eines Einbruchs beim chinesischen Wachstum bestritten. Dies sei nahezu unmöglich, wurde mir immer wieder gesagt. Ein erstaunliches Vertrauen, das da an den Tag gelegt wird. Vielleicht erklärt das auch den japanischen Staatsschuldenberg. Jedenfalls finde ich die Verwendung der Vokabel „unmöglich“ in diesem Kontext sehr spannend. Es erinnert mich an die Analysten an der Wall Street, die vor nicht allzu langer Zeit eine Immobilienkrise laut und deutlich als Ding der Unmöglichkeit abtaten.
Was macht man als Anleger in so einem schwierigen Umfeld?
Hendry: Das Geld zusammenhalten ist oberstes Gebot. Sicherheit vor Rendite. Als Hedgefonds hat man da natürlich mehr Möglichkeiten. Wir sind in Yen investiert. Und wir haben ein Kurzfristportfolio konstruiert, das aus mehr als 20 zyklischen Industrieunternehmen besteht, die den fragwürdigen Ruf haben, in enormem Maße fremdfinanziert zu sein und in Asien oder Rohstoffen übergewichtet zu haben.
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