Da Deine Abneigung ja auch von einem gewissen Interesse begleitet ist (sonst würdest Du solche Clips ja gar nicht weiter verfolgen) würde ich Dir gerne sein Hauptwerk "Maps of Meaning" ans Herz legen. Der etwas ungriffige Titel der deutschen Übersetzung lautet: "Warum wir denken, was wir denken: Wie unsere Überzeugungen und Mythen entstehen."
Aus einer bemerkenswerten Amazon Rezension:
"Maps of Meaning" kann dagegen als das Hauptwerk des Autors betrachtet werden, die umfassende Ausarbeitung seiner Kulturtheorie, denn anders als der unpassende deutsche Titel suggeriert, handelt es sich bei dem Text des klinischen Psychologen weniger um kognitive Psychologie als um den Versuch, aus der Deutung der Mythen und Kulturerzeugnisse der Menschheit, wenngleich unter Zuhilfenahme neurophysiologischer und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisse, eine systematische Darstellung dessen zu gewinnen, wie die Conditio Humana - auf die allgemeinsten Begriffe gebracht - beschaffen ist, was damit die Kulturaufgabe jeder Zivilisation darstellt, und wie sich dies auf die Lebensaufgabe eines jeden Einzelnen herabbrechen lässt.
Bekanntheit erlangte Jordan Peterson leider erst, als er sich in weiten Kreisen der Kritik aussetzte, weil er sich öffentlich geweigert hatte, neuartige Pronomina für Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität zu verwenden. Dies kann aber nicht Grund sein, den Wert seiner intellektuellen Arbeit in Abrede zu stellen. In weiten Teilen ist Petersons Kulturphilosophie überzeugend und profund, seine Gedanken, Mitte der 80er-Jahre verfasst, in der Zwischenzeit beinahe Gemeingut, damals jedoch sehr originell und von eigenständigen Denkansätzen geprägt. Peterson geht mit der Neugier des klinischen Psychologen der Frage nach, was das "Böse" eigentlich ist, auf gesellschaftlich-politischer Ebene und auf der Ebene des die Gesellschaft konstituierenden Individuums. Er muss dafür das beide Ebenen verbindende Element finden und zunächst einmal eine Theorie der gelingenden psychischen und gesellschaftlichen Entwicklung fassen. Er findet eine solche "Theorie", wenngleich in noch nicht-expliziter, symbolisch-metaphorischer Form, in den großen Mythen und religiösen Überlieferungen der Menschheit. Er erkennt, dass unsere Mythen Produkte eines impliziten kollektiven Lernvorganges sind, und als "Landkarte" der geistigen Entwicklungsmöglichkeiten des Individuums fungieren, indem sie den Geist des Individuums mit einer Struktur informieren, an dem sich dieses orientieren kann, ohne dass dem kritischen Bewusstsein klar wäre, woran und wohin es sich eigentlich orientiert. Zu Anfang seines Werkes formuliert der Autor also den, zumindest damals, recht originellen Gedanken, dass alles Wissen, ob nun individuell oder kollektiv (gesellschaftlich), erst einmal prozedural ist, d.h. "man", bzw. der Körper, weiß, was geht und was nicht geht, jedoch noch ohne den Ansatz eines expliziten Begriffes. Über Spiel, Ritual, Drama, Mythos wird dieses verkörperte, prozedurale Wissen ins Bewusstsein gehoben, wird Teil des episodischen Gedächtnisses, kann nun also erzählt und tradiert werden. Dabei gilt, nach Peterson die Regel, dass, je "tiefer" in der Struktur der Welt eine Tatsache oder ein Zusammenhang aufzufinden ist, die Übersetzung vom prozeduralen ins episodische und schließlich ins semantische Gedächtnis umso länger dauern muss, da eben mehr kollektive und individuelle "Lernerfahrung" nötig wird. Und erst mit dem letzten Schritt des Übergangs vom religiösen Mythos in den philosophischen und rationalen Diskurs, also ins "semantische Gedächtnis" der Menschheit, werden die Ergebnisse dieser Lernerfahrungen überhaupt intellektuell behandelbar, stehen dem kritischen Verstand als semantische Einheiten zur Verfügung und werden diskurs-fähig. Die Theorie Petersons leistet damit also selbst das, was sie zu beschreiben versucht, nämlich den Prozess, über den implizites Erfahrungswissen unserer Zivilisation rational-diskursiv untereinander adressierbar und diskutierbar wird. Dies ist eines der ganz beeindruckenden Eigenschaften seines Werkes. Im Fortgang zeigt Petersons Modell große Überschneidungen mit der Religionsphilosophie Joseph Campbells. Peterson erkennt etwa in den Mythen von Marduk und Tiamat oder von Isis und Osiris eine tiefliegende Struktur, deren Elemente und Bezüge in allen religiösen Traditionen und Mythen zu finden sind. Dies ist, in expliziten Begriffen, die Auseinandersetzung des Menschen bzw. der Menschheit als ganzes (das Individuum ist der Baustein der Gesellschaft, die Gesellschaft ist im Geist des Individuums über seine Sozialisation repräsentiert) mit den Eigenschaften der Natur, also ihrer Unberechenbarkeit, der Unbeständigkeit aller Dinge und der stets drohenden Möglichkeit eines katastrophalen Zusammenbruchs alles in ihr Errichteten, welche durch den Drachen des Chaos symbolisiert wird. Gelingt es dem Individuum, ermutigt durch eine günstige Sozialisation, sich offenen Geistes, mutig und achtsam mit diesem Chaos auseinanderzusetzen, so werden neue Prinzipien des Zusammenlebens gefunden und es entsteht Kultur, symbolisiert durch den alten Mann bzw. den Vater. Aus der Sicherheit zivilisatorischer Ordnung erscheint nun die Natur als die stets erneuernde, immer neue Vitalität spendende Mutter, oft als "Mutter Natur" bezeichnet. Peterson hat damit ein explizites Modell entworfen, an dem sich in aller Tiefe erklären lässt, was denn nun "gut" und "böse" zu nennen ist, wo die Entwicklung des Individuums scheitert - oder gelingt - und was Gesellschaften und Kulturen aufrecht erhält und zu Fall bringt. Beides ist ineinander verwoben, da die Kultur das Individuum erschafft, und das Individuum die Kultur trägt und stets erneuert. Die Gefahr für die Kultur droht dort, wo, einerseits, die Sozialisation des Einzelnen entlang den bewährten ethischen Normen der Gesellschaft nicht mehr stattfindet oder gestört ist. Peterson würde dies (was ihm wahrscheinlich viel Applaus von der "falschen Seite" und erbitterte Gegner eingebracht hat) durchaus als die typische, vom linken politischen Spektrum ausgehende Gefahr deuten. Hier wäre der vermeintliche "Segen der Natur", Revolution und Erneuerung, überbetont. Wohl nicht ganz zu unrecht vermutet Peterson, dass der Wunsch nach dem "Umsturz der Verhältnisse" oft von Menschen mit einer wenig ausdifferenzierten Persönlichkeitsstruktur (nicht selten in Form einer Persönlichkeitsstörung) ausgeht, die schlicht nicht in der Lage wären, bestehende Verhältnisse aufrecht zu erhalten oder konstruktiv weiterzuentwickeln. Diesen würde der Autor anraten, erst einmal zu lernen, morgens das Bett zu machen, bevor sie daran gehen, die komplizierte Maschinerie der Zivilisation umbauen zu wollen. Andererseits erkennt der konservative Denker Peterson auch, dass eine Verknöcherung der Verhältnisse, eine tyrannische Herrschaft des "Vaters", welche die konstruktive Neuerung und damit Anpassung an die sich stets wandelnde Realität verhindert, d.h. das pharisäerhafte, ritualistische Festhalten an leeren Formen (man denke hier an den moralisierenden Schwulst des Wilhelminismus oder dem zum Salafismus herabgesunkenen Islam), das Ende der Kultur notwendig nach sich zieht. Das "Böse" zeigt sich hier also in der Weigerung, sich der Realität und den Notwendigkeiten anzupassen, sei es in der Weigerung, seine Natur der kulturellen Zähmung zu unterwerfen, oder in der Unfähigkeit, Neue Entwicklungen anzuerkennen und sich gewandelten Gegebenheiten zuzuwenden - sein Symbol ist darum Satan, der Faulpelz also, der Denkfaule, der Lügner und Lernunwillige. Das Gute wiederum wird durch den Sohn von "Vater Kultur" und "Mutter Natur" symbolisiert, den Sohn der Jungfrau, den Liebling des Vaters, also Horus, oder Christus, je nach Zeitalter und Mythos. Seine Tugenden sind nicht bloß ewige Prinzipien, wie die Zehn Gebote des Vaters, in Stein gemeißelt gleichsam, sondern die Tugend des stets Wachen und Wachsamen, die wurzelt im Mut gegen sich, die sich in Selbsterkenntnis und Selbstdisziplin zeigt, und gegen die Herausforderungen der Realität, welche sich in Offenheit, Geduld und Achtsamkeit erweist. Beides wiederum ist motiviert durch die Güte, welche sich auf die Wahrheitsliebe und die Liebe zur Weisheit stützen kann. Man erkennt aber an der Aneinanderreihung von Tugend-Bezeichnungen, das eine solche günstige Persönlichkeitsentwicklung sicher eher an mythologischen Vorbildern orientieren kann, denn an expliziten Begriffen. Denn das Symbol, beispielsweise des "Christus", der in der Psyche des gläubigen Christen wirkt, wirkt eben als Ganzheit, als ganzer "Körper", nicht bloß als eine Liste von Tugendbegriffen, die seziert nebeneinander stehen. Hier greift dann auch Petersons Besorgnis an, dass in unserer rationalen, von der Empirie bestimmten Moderne, die sozialisierende, persönlichkeitsbildende Kraft unserer Mythen abreißen könnte. Peterson hebt die Mythen aus den impliziten Tiefen des kollektiven Unbewussten, um letztlich aufzeigen zu können, das wir ihre transformierende Kraft brauchen, bei all unserer modernen Weite des Denkens und Fülle des Wissens, die wir zu besitzen glauben. Peterson erweist sich in den Begriffen seiner eigenen Kulturtheorie auch nicht als Reaktionär. Vielmehr bemüht er sich, jenen schmalen Pfad der Mitte zu beschreiten, den Pfad des Sohnes, des Helden, der die beiden Extreme vermeidet und sich den "Anfängergeist" (das Wort aus dem Zen-Buddhismus befindet sich übrigens in einer Linie mit dem "Stirb und Werde" der christlichen Symbolik) bewahrt.
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