Die Wasserstoffstrategie startet mit einer schweren HypothekDie Wasserstoffstrategie der Bundesregierung ist nach langen Verzögerungen endlich fertig. Sie umzusetzen wird jedoch ein Marathon. Es hat monatelange Verzögerungen gegeben, doch nun deutetet alles darauf hin, dass die Bundesregierung am Mittwoch ihre Wasserstoffstrategie beschließen kann. Die Signalwirkung ist beträchtlich – für die Wirtschaft, ja für ganz Europa. Ob es tatsächlich gelingt, die Strategie innerhalb der nächsten Jahre und Jahrzehnte umzusetzen, ist ungewiss. Denn die Bundesregierung hat sich eine schwere Hypothek auferlegt, indem sie sich voll und ganz auf eine Variante fixiert, nämlich auf grünen Wasserstoff. Er wird mittels Strom aus erneuerbaren Quellen durch Elektrolyse CO2-frei hergestellt und verbrennt CO2-frei. Damit stellt grüner Wasserstoff ohne Frage den Gold-Standard unter allen Wasserstoff-Varianten dar. Doch wer grünen Wasserstoff in relevanten Größenordnungen für Industrie- oder Verkehrssektor herstellen will, benötigt dazu riesige Mengen an Wind- oder Sonnenstrom, der dann für die bisherigen Stromanwendungen nicht mehr zur Verfügung steht. Alle Fachleute sind sich einig: Die Flächenpotenziale reichen nicht annähernd aus, um grünen Wasserstoff hierzulande in den erforderlichen Mengen herzustellen. Insbesondere das Forschungs- und das Entwicklungshilfeministerium verweisen auf die Potenziale für die Produktion von grünem Wasserstoff in sonnen- und windreichen Regionen der Welt. Sie verkaufen „Wasserstoff-Partnerschaften“ mit Entwicklungsländern als vielversprechendes Zukunftsmodell. Ob diese Idee jemals nennenswerte Früchte trägt, ist ungewiss. Das ist misslich. Denn eine verlässliche Versorgung mit Wasserstoff wird schon innerhalb weniger Jahre ein bedeutsamer Standortfaktor sein. Wasserstoff spielt eine Schlüsselrolle bei der Dekarbonisierung des Industrielandes Deutschland. Wer Prozesse in der Stahl- oder Chemieindustrie oder im Flug- oder Schwerlastverkehr CO2-frei gestalten will, braucht Wasserstoff in rauen Mengen. Grüner Wasserstoff wird nicht reichenGrüner Wasserstoff allein wird zunächst nicht ausreichen. Ja, die Alternativen sind keinesfalls problemfrei: Blauer Wasserstoff wird auf der Basis von Erdgas hergestellt, das dabei frei werdende CO2 muss abgespalten und unterirdisch verpresst werden. Das Verfahren ist umstritten – besonders in Deutschland. In Norwegen kennt man die Vorbehalte indes nicht. Dort sind große Unternehmen intensiv damit befasst, die gesamte Prozesskette für blauen Wasserstoff aufzubauen. Sie setzen ganz besonders auf Kunden aus der deutschen Industrie. Die Bundesregierung will jedoch keine Anreize für den Einsatz von blauem Wasserstoff schaffen. Dabei könnte er in den kommenden Jahren Wegbereiter für den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur sein, die dann in wachsendem Umfang für grünen Wasserstoff genutzt wird. Es ist riskant, diese Chance nicht zu nutzen.
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