Für einen linksgrünen SPD-Nahen, wie du einer zu sein scheinst, ist die soziale Marktwirtschaft der politische Olymp. Sie erlebte unter Willy Brandt ihre höchste Blüte. Seitdem wird sie leider systematisch neoliberal abgebaut, woran auch die Globalisierung großen Anteil hat.
Günter Grass trat einst in die SPD ein mit dem Argument (von mir deutlich überspitzt wiedergegeben):
Sozialismus (DDR) ist gescheitert, Raubtier-Kapitalismus (NS-Staat) ebenfalls. Deshalb ist ein Mittelding, eben die soziale Marktwirtschaft, der beste Kompromiss. Sie gewährleistet einerseits sozialen Frieden, wirft aber andererseits auch dem technologischen Fortschritt keine LPG-Knüppel zwischen die Beine.
Das sind keinesfalls schlechte oder gar falsche Überlegungen. Leider aber ist gesellschaftliche Realität niemals statisch. Die Historie war, ist und wird immer ein fortlaufender Prozess sein, der von den sich ständig verändernden Bedingungen des gesellschaftlichen Realität abhängt.
Laut Marx ist dieser Weg sogar einer zum künftig Besserem. Der Philosoph Ernst Bloch umschrieb dies einst mit "Das Prinzip Hoffnung" (Buchtitel seines Hauptwerkes).
Leider aber läuft die Geschichte nicht linear zum historisch Besseren, sondern geht dabei fast immer einen Zick-Zack-Kurs. Es muss immer erst mal deutlich schlechter werden, ehe aus großem Elend das bessere geboren wird.
So wurde z. B. die Demokratie in der Weimarer Republik von vielen Seiten angefeindet und galt als "Schwatzbude". Dann kam Hitler, der große Krieg, und ganz Deutschland lag in Schutt und Asche. Dieses Elend führte dazu, dass die parlamenarische Demokratie aber 1945 mehrheitlich als (zu dem Zeitpunkt) bestmögliche Staatsform (an)erkannt wurde.
Auch das heutige System der Überschuldung scheint erst mal wieder voll gegen die Wand gefahren werden zu müssen, ehe aus dem Scherbenhaufen etwas Besseres erwächst.
Was aber wäre heute das "Bessere"? Man sollte dabei niemals in der Vergangenheit suchen, denn das wäre "ahistorisch". Gescheiterte Heilserwartungen der Vergangenheit (russische Revolution, Nazi-Deutschland, DDR-Regime) bilden keine geeigneten Vorgaben für das "kommende Bessere", Dieses muss gesucht werden auf Basis der heutigen Gegenwart mit ihren heutigen Möglichkeiten, ihrem heutigen Stand der gesellschaftlich-politischen Aufklärung und den aktuellen technologischen Standards.
Das Problem des SPD/Grass-Modells ist, dass der Kapitalismus durch den Sozialstaat und dessen gesetzliche Auflagen zwar gezügelt wird, diese Zügelung im Rahmen der neoliberalen Wende jedoch immer stärker aufgeweicht wird. Immer mehr ehemalige sozialstaatliche Errungenschaft werden abgebaut (Leiharbeit, prekäre Beschäftigungen, Renten-Dilemma usw.).
Ein weiteres - fast noch gravierenderes - Problem ist, dass der Kapitalismus immer schon ein Schulden-Schneeballsystem war. Kein Politiker zuckt heute noch mit den Schultern darüber, dass die bereits aufgetürmten Schulden wohl niemals abgetragen werden, sondern immer nur durch neue Schulden vergrößert/verlängert/aufgeschoben werden. Diesem System wohnt daher - auch bezüglich der Gläubiger - ein immanenter Betrug inne. Das aktuelle Zentralbank-Gelddrucken schließlich ist geradezu ein Verrat an denjenigen, die zuvor für Geld einen Großteil ihrer Lebensarbeitszeit gegeben haben.
Die Gelddruck-Idee kam den Politikern nicht zufällig zu einer Zeit, als das Schulden-Schneeballsystem schon auf die Spitze getrieben war. Die Staaten waren bereits bis zum Anschlag (über 100 % zum BIP) verschuldet. Was lag da näher, als via Zentralbanken ein Art "Schattenhaushalt" zu etablieren, der nicht in die offizielle Schuldenquote einfließt.
Es ist mMn nicht sonderlich beruhigend, wenn ein System auf immanenter Instabilität fusst - ohne ernsthaften Willen, diese Systemschwächen jemals auf seriösem Wege zu beseitigen.
Fatal am SPD/Grass-Modells ist insbesondere, dass es sich vor allem für den ärmeren Teil der Bevölkerung zunehmend nachteilig entwickelt, weil es auf immer dreisterer Umverteilung von oben nach unten basiert. Jede Krise wird dazu benutzt, diese Umverteilung weiter auf die Spitze zu treiben.
usw. usf.
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