Die Bundesregierung, unbeirrbar in Sachen Krieg, muss ihrem zögerlichen Zivilistenvolk noch viel erklären Von unserer Berliner Redaktion Wir gehen, weil wir müssen! Das war die Version des Bundeskanzlers zum bevorstehenden Auslandseinsatz der Bundeswehr gegen den Terrorismus. Die kommen, weil sie wollen! Das war der Eindruck, den US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld später auf einer Pressekonferenz in Washington vermittelte. Insofern war es alles andere als überflüssig, dass am Tag darauf die Bundesregierung eine Erklärung Rumsfelds verbreitete, in der es hieß, seine und des Kanzlers Einlassungen lägen ganz auf einer Linie. Das so klar zu sehen, bedurfte es in der Tat einer gewissen Hilfestellung. Und zwar einer aufwendigen. Gleich nachdem Rumsfeld in den deutschen Abendnachrichten mit der munteren Feststellung zu hören gewesen war, die Amerikaner hätten nicht gefordert, sondern die Deutschen offeriert, "was nach ihrer Meinung für sie zuträglich war", rief der außenpolitische Kanzlerberater Michael Steiner bei seiner Washingtoner "Counterpartnerin" Condoleezza Rice an und verlangte eine Klarstellung. Darauf veröffentlichte der Pentagon-Chef ein Statement, sein Land habe sehr wohl um militärische Hilfe gebeten, allerdings "keine spezifische Anzahl Soldaten angefordert". In der Tat ist die einzige Zahl, die sich in der US-Wunschliste findet, die von "zunächst drei Transportflugzeugen". Verbleibende Zweifel sollten Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye am Mittwoch ausräumen. Vor der Bundespressekonferenz versuchten sie, den peinlichen Argwohn zu zerstreuen, die Bundesrepublik drängle mehr zum Krieg, als dass sie dazu aufgefordert worden wäre. Nach "sehr intensiven Erörterungen" beider Seiten auf politischer und militärischer Ebene hätten die USA am Montag schriftlich "fünf Fähigkeitsbereiche nachgefragt" und darauf positiven Bescheid erhalten, erklärte Scharping. Wenn nun anderes vermutet werde, habe das mit "einem Kommunikationsproblem" in der US-Regierung beziehungsweise mit Rumsfelds "missverständlichen Äußerungen" zu tun, ergänzte Heye und ließ eine undiplomatische Portion Ingrimm durchblicken. Verständlich. Aus Sicht von Gerhard Schröder und seiner Regierung handelt es sich um eine besonders ärgerliche Panne. Der unbekümmerte Rumsfeld hat den Kanzler, der nach den Worten eines hohen Militärs die "Tabuschwellen im Halbjahresrhythmus überschreitet", just an der Stelle erwischt, wo er ohnehin argumentativ wacklig erscheint: Seit Wochen bereitet Schröder sein zögerndes Zivilistenvolk mit dem Argument auf den Ernst- und Beistandsfall vor, dieser sei unvermeidlich. Nichts kann er so wenig gebrauchen wie den Verdacht, was er als die Notwendigkeit verkaufe, einer Nachfrage zu entsprechen, sei in Wahrheit die Lust, mit einem Angebot durchzudringen. Dabei - die Lust gibt es. Wenn das Kabinett dieser Tage über deutsche Militäroptionen nachdenkt, wird es dem einen oder anderen in der Runde ob des "Überschwangs der Konvertiten" blümerant. Politiker mit reich dokumentierter pazifistischer Vergangenheit präsentierten sich auf einmal als schneidige Sandkasten-Strategen. Der Verteidigungsminister, immerhin sachzuständig, finde sich geradezu als Bremser gefordert. "Rudolf, die Taube." Der Militarismus-Verdacht ist nur einer der Punkte des Zweifels am Schröderschen Beistandspaket. Dubios scheint vielen auch das Verfahren mit seiner einjährigen parlamentarischen Schonfrist. Bundestagsabstimmungen über Militäreinsätze soll es bis September 2002 nicht mehr geben müssen. "Wir müssen das Parlament etwas freier machen von ständiger Beschlussfassung über solche Themen", umschreibt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt die Absicht. Eigentlich sollte die Entlastung erst später, in Form eines "Entsendegesetzes", vollzogen werden, das der Regierung mehr Freiraum für Militäreinsätze gäbe. Im Gegenzug würden die zuständigen Ausschüsse vor und während konkreter Einsätze verstärkt informiert und das Parlament erhielte die Möglichkeit, per Beschluss jederzeit die entsandten Soldaten zurückzuholen. Einzelne SPD-Außenpolitiker und der Kanzler wollten eine solche Neuregelung möglichst bald, die SPD-Fraktion hatte unter Hinweis auf Akzeptanzprobleme in der Partei einstweilen abgeblockt. Jetzt, meint Geschäftsführer Schmidt, sei ein Entsendegesetz für den Rest der Legislaturperiode erst recht ausgeschlossen, "weil es als Ermächtigungsgesetz diskreditiert werden würde". Stattdessen versucht man schon einmal einzuüben, ob und wie die Reduzierung des Parlaments auf die Funktion der Notbremse praktisch funktioniert. Fraktionschef Peter Struck hat eine Woche Zeit, Wackelkandidaten in der Fraktion zu bearbeiten. Die üblichen Folterinstrumente - keine Wiedernominierung im Wahlkreis - sollen dabei in der Schublade bleiben. Falls die "eigene" rot-grüne Mehrheit nicht erreicht wird, was in der SPD-Spitze jetzt durchaus schon einkalkuliert wurde, müsse man sich eben zusammensetzen. "Ich lasse ausdrücklich offen, ob das zum politischen Knackpunkt werden muss", signalisiert Schmidt den Grünen, denen Struck zuletzt noch mit dem Ende der Koalition gedroht hatte. Beim kleinen Koalitionspartner selbst herrscht dennoch Verunsicherung - vor allem über sich selbst. 40 bis 50 Prozent der Abgeordneten wissen noch nicht, wie sie nächste Woche bei der Entscheidung im Plenum letztlich abstimmen wollen. Letztlich wird aus Koalitionsräson wohl nur ein Dutzend Nein sagen. Aber der Zweifel hat sich über den linken Parteiflügel hinaus tief in die Reihen der Realos gefressen. Daran konnte auch das lange Plädoyer von Außenminister Joschka Fischer nichts ändern, der am Dienstag die Seinen in der Fraktion auf Bündniskurs einzustimmen versuchte. Nach einer Telefonkonferenz des Bundesvorstandes mit den Landesspitzen gab es in Berlin besorgte Mienen: "Die Lage ist äußerst ernst." So seien im mitgliederstärksten Landesverband Nordrhein-Westfalen, der auf dem kommenden Parteitag ein Viertel der Delegierten stellen wird, mittlerweile beide Vorsitzenden gegen eine Beteiligung der Bundeswehr. http://www.frankfurterrundschau.de/fr/spezial/terror/index.htm
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