Deutscher Philosemitismus der Nach-NS-Zeit
Brenner ergänzt als sechsten Typ einen nach 1945 aufgekommenen Philosemitismus, der durch ein Schuldgefühl gegenüber Überlebenden des Holocaust getragen sei, sich deshalb intensiv mit der jüdischen Kultur beschäftige und die Solidarität mit dem Staat Israel betone, wobei auch Eigeninteressen einflössen.[11] Daran anknüpfend kritisierte Henryk M. Broder anlässlich des 2005 von Oliver Hirschbiegel inszenierten Films Ein ganz gewöhnlicher Jude eine kitschige, wirklichkeitsfremde Vorstellung über das Judentum bei Philosemiten.[12] Bereits 1991 hatte Broder in einem Artikel in der tageszeitung bemerkt, dass „Gutmenschen“ ihren Philosemitismus wie eine Monstranz vor sich hertrügen.[13] Claudia Curio zufolge diente in der Nachkriegszeit ein philosemitischer Diskurs oftmals dazu, sich nach der NS-Zeit selbst Absolution für Täterschaft oder Mitläufertum zu erteilen oder sich gegenüber der Besatzungsmacht Vorteile zu verschaffen. Antisemitische Einstellungen wurden dabei durchaus beibehalten, richteten sich dann jedoch eher gegen osteuropäische jüdische Displaced Persons, wohingegen die im Deutschland nach dem Nationalsozialismus kaum noch anzutreffenden deutschen Juden philosemitisch überhöht wurden. In einer einfachen Umkehrung antisemitischer Vorurteile habe man sich laut Curio aufgrund einer den Juden zugeschriebenen wirtschaftlichen Begabung oder ihres vermeintlich leichten Zugangs zu Kapital materielle Vorteile beim Wiederaufbau versprochen. Auf den konkreten Umgang mit jüdischen Remigranten habe sich dies jedoch nicht ausgewirkt, auch sei es zu keinen verstärkten Bemühungen zur Rückkehr jüdischer Vertriebener gekommen. In der philosemitischen abstrakten Stilisierung und Idealisierung des Judentums innerhalb christlicher Kreise der Nachkriegsgesellschaft sei zudem der christliche Antijudaismus nicht in Frage gestellt worden und der Ermordung der europäischen Juden sei ein Platz im heilsgeschichtlichen Plan eingeräumt worden. Zugleich seien Juden zu moralischen Instanzen erklärt worden, für die höhere Standards als für andere Menschen zu gelten hätten. Beispiele für Bemühungen um Verbesserung des gegenseitigen Verhältnisses ohne philosemitische Überhöhung seien die von den Besatzungsmächten gegründeten Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit.[14]
|