Zwei amerikanische Russland-Spezialistinnen sind ungewollt in Putins Desinformationskampagne hineingezogen worden. Wie es ist dazu gekommen?
Putins Krieg gegen die Ukraine war stets auch ein Informationskrieg. Vor Beginn der Kampfhandlungen ging es um russische Täuschungsmanöver und amerikanische Entlarvungstaktik. Irgendwann begann die Mythenbildung über die eigentlichen Betreiber und Profiteure des Krieges, an der sich Amerikakritiker und Russlandfreunde auf beiden Seiten des Atlantiks rege beteiligten. Auch hier wird in gewisser Weise scharf geschossen. Das Arsenal an Desinformation ist unerschöpflich. Fiona Hill und Angela Stent bekommen das gerade zu spüren.
Die beiden Autorinnen verfassten im vergangenen Jahr für die September/Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „Foreign Affairs“ einen Aufsatz mit dem Titel „The World Putins Wants“. Untertitel: „Wie Verzerrungen über die Vergangenheit Täuschungen über die Zukunft nähren“. Hill ist bei der Brookings Institution tätig, einem Thinktank in Washington mit eher linksliberaler Ausrichtung. Die britisch-amerikanische Wissenschaftlerin hat für mehrere amerikanische Präsidenten gearbeitet – zuletzt für Donald Trump. Sie verantwortete das Russland-Dossier im Nationalen Sicherheitsrat und arbeitete eng mit dem Sicherheitsberater John Bolton zusammen. Sie ist das, was man in Washington einen Russland-Falken nennt. Angela Stent ist emeritierte Professorin an der Georgetown-University und Kollegin Hills bei Brookings. Auch sie ist eine ausgewiesene Russland-Spezialistin. Auch sie hat – unter Bill Clinton und George W. Bush – für die Regierung gearbeitet. Dass der Aufsatz in der vom „Council on Foreign Relations“ herausgegebenem Zeitschrift, der gut ein halbes Jahr nach Beginn des Angriffskrieges erschien, große Aufmerksamkeit erfahren würde, war ziemlich sicher. In der Zeitschrift werden häufiger Hintergründe ausgebreitet und Konzeptionen entworfen, die sich zum Teil aus Gesprächen mit Regierungsmitgliedern speisen und dann die Debatten im Weißen Haus, im State Department oder im Pentagon wiederum beeinflussen. In diesem Fall fiel die Rezeption jedoch anders aus als von den Autorinnen erwünscht.
Im Kern geht es um einen Passus, in dem das russische Kalkül mit Blick auf Verhandlungen erörtert wird. Man muss hervorheben, dass der Abschnitt eingeleitet wird mit dem Hinweis, trotz der Rufe einiger nach einer Verhandlungslösung, welche territoriale Zugeständnisse Kiews einschließe, scheine Putin an einem Kompromiss, welcher die Ukraine als souveränen, unabhängigen Staat erhielte, kein Interesse zu haben. Sodann: „Nach Angaben mehrerer ranghoher ehemaliger amerikanischer Regierungsvertreter, mit denen wir gesprochen haben, scheinen russische und ukrainische Unterhändler im April 2022 sich vorläufig auf Umrisse eines ausgehandelten Übergangsabkommens verständigt zu haben: Russland würde sich auf die Position vom 23. Februar zurückziehen, als es Teile des Donbass und die gesamte Krim kontrollierte. Und im Gegenzug würde die Ukraine versprechen, keine NATO-Mitgliedschaft anzustreben und stattdessen Sicherheitsgarantien von mehreren Ländern erhalten.“
Dieser Passus hat ein bemerkenswertes Eigenleben entwickelt. Hill und Stent sind unfreiwillig zu Kronzeugen des russischen Narrativs geworden, nach dem der Westen eine Unterzeichnung des Abkommens – und damit ein Ende des Krieges – verhindert habe. Sprachlich ist das schnell gemacht: Man muss nur auf „Umrisse“, „vorläufig“ und „Übergang“ verzichten sowie den politischen Kontext ausblenden, nämlich die Frage, ob Putin sich einer solchen Vereinbarung seiner Unterhändler wirklich verpflichtet gefühlt hätte – und schon ist die Basis gelegt, um den Westen anzuprangern. Der Artikel hat eine erstaunliche Karriere gemacht. Er wird von linken Amerikakritikern in den Vereinigten Staaten ebenso zitiert wie von deutschen Russlandapologeten. ...
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/...kampagne-18646774.html
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