Schach als Medizin
10.7.2012 - Etwa 3 bis 5 Prozent aller Kinder weltweit leiden unter dem so genannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom, kurz ADHS. Häufige Symptome sind Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität. ADHS ist eine ernste Krankheit und viele Kinder mit ADHS scheitern trotz überdurchschnittlicher Intelligenz in Schule, Beruf und Gesellschaft. Wie eine spanische Studie andeutet, könnte Schach ein sehr wirksames und preiswertes "Medikament" ohne Nebenwirkungen sein, um diesen Kindern zu helfen.
Schach als wirksames Medikament gegen ADHS Schachmatt dem ADHS - Schach statt Ritalin
Aus dem Spanischen übersetzt von Nadja Wittmann (ChessBase)
Eine Studie in Spanien hat ergeben, dass Schach als Medikament ohne Nebenwirkungen im Kampf gegen ADHS, das sogenannte "Aufmerkskeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom" eingesetzt werden kann. Die drei auffälligsten Symptome dieser Störung sind:
- Impulsivität - Ablenkung - Hyperaktivität
In Collado Villalba, bei Madrid (Spanien), haben der Psychater Hilario Blasco und der Schachspieler Luis Blasco, Präsident des Schachclubs Club 64 Collado Villalba, ein Experiment mit 44 Kindern beiden Geschlechts aus der Altersklasse 8 bis 16 Jahre durchgeführt, bei denen ADHD diagnostiziert worden war. Die Kinder bekamen drei Monate lang eine Stunde Schachunterricht pro Woche erteilt, mit einem System, das speziell für sie entwickelt wurde und das dazu dienen sollte Rechenfähigkeit, Erinnerungsvermögen, Aufmerksamkeitsfähigkeit, die Fähigkeit Entscheidungen zu fällen und das fotografische Gedächtnis zu verbessern.
Außerdem spielten viele der Kinder auch zu Hause oder in der Schule Schach und bekamen weiteren Unterricht im Club. Es scheint, dass die Besserung proportional eintritt: je mehr Schach die Kinder spielen, desto schneller und besser der Fortschritt der Genesung.
Eine weitere Studie beweist, dass das Schachspiel nicht allein die "pure Intelligenz" verbessert, sondern auch diverse psychologische Qualitäten, ein neuartiger Aspekt. Außerdem wurde festgestellt, dass die Unterschiede der Fähigkeiten zwischen Kindern die Schach, Fußball oder Basketball gespielt hatten, viel größer wurde, nachdem sie den Schachkurs besucht hatten.
Erklärungen zum Projekt aus Collado Villalba
1. Es handelt sich um ein Pionierprojekt weltweit.
2. Es deutet sich an, dass das Schachspiel nicht nur als rein pädagogisches, sondern bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHD) an dem ca. 3 - 5 % aller Kindern in der Welt leiden und das sich in Form von Impulsivität, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität äußert, sogar als therapeutisches Mittel eingesetzt werden könnte.
3. Diese Kinder sind meist überdurchschnittlich intelligent, scheitern aber trotzdem häufig im schulischen Umfeld und auf sozialem Niveau und zeigen ein erhöhtes Risiko im Bezug auf die Bereitschaft zu gefährlichen Handlungen (Drogenkonsum, verfrühte sexuelle Aktivitäten, Risikosportarten, etc.)
4. Das Projekt nennt sich "Jaque Mate al TDAH" ("Schachmatt dem ADHS") und steht unter der Leitung des Psychiaters Hilario Blasco Fontecilla, Kinder- und Jugendpsychiater im Gesundheitszentrum und Luis Blasco, Präsident des Schachclubs Club 64 de Ajedrez de Villalba.
44 Kinder im Alter von 8 bis 16 Jahre bekamen Schachunterricht, eine Stunde pro Woche, drei Monate lang. Es dauerte nicht lange, bis die ersten positiven Resultate zu verbuchen waren:
-Keines der Kinder hat das Projekt abgebrochen. In den Studien mit Medikamenten und Psychotherapie hat es immer Fälle von vorzeitigem Abbruch der Therapie gegeben, beim Schach nicht.
-Die Besserungen wurden nicht nur von den Kindern selbst festgestellt, sondern auch von Eltern, Lehrern und den beiden Experimentleitern (Psychiater und Schachlehrer).
-Verbesserungen der Situation zu Hause, in der Schule und in der Sprechstunde
-Sowohl subjektive als auch objektive Verbesserungen
-Schach hat, im Gegensatz zu Medikamenten, keine unerwünschten Nebenwirkungen und ist viel preisgünstiger als Psychotherapie
-Bei den Ergebnissen dieser Studie handelt es sich um vorläufige Resultate, es müssen weitere Studien durchgeführt werden, um Schach wirklich als therapeutisches Mittel offiziell einsetzen zu können, aber es sieht alles sehr positiv aus.
-Bei den Kindern, die am meisten Schach gespielt hatten, wurde die größte Besserung im Bezug auf die ADHS-Symptome festgestellt. (Das heißt, man kann vom sog. "Dosis-Wirkungs" Effekt sprechen.)
Ein paar Zitate von Kindern und Eltern die am Experiment teilnahmen:
"Ich fühle mich besser."
"Ich kann die Hausaufgaben schneller erledigen."
"Er macht jetzt von selbst seine Hausaufgaben."
"Er ist viel artiger geworden."
"Wir bekommen keine Klagen mehr über sein Verhalten aus der Schule."
"Ich bin ohne mich anzustrengen besser in Mathe geworden". Usw.
Die Ergebnisse werden beim XVI Congreso Nacional de Psiquiatría (Nationaler Psychiatrie-Kongress) präsentiert werden, der zwischen dem 25. und dem 28. September in Bilbao stattfinden wird. Außerdem werden sie ebenfalls bei den Primeras Jornadas de Ajedrez "Educación, Sociedad, y Psicopatología, die vom 8. - 11. November in Navacerrada stattfindet, in Zusammenarbeit mit Leontxo García vorgestellt werden.
Zusammenfassung
Einleitung
Das Schachspiel ist ein klassisches Brettspiel mit einfachen Regeln, aber es erfordert die Anwendung kognitiver und komplexer Strategien. Es wird zunehmend deutlich, dass Schachspielen eine mögliche Strategie sein kann, um gestörte Lernfähigkeiten bei Patienten mit Schizophrenie oder Demenz wieder in Gang zu bekommen. Außerdem wurde bei mehreren Patienten, die unter dem Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) leiden, eine Verbesserung bezüglich ihres Verhaltens und ihrer Impulsivität festgestellt, nachdem sie Schachtraining bekommen hatten. Allerdings wurde bisher noch keine empirische Studie bezüglich des Schachspiels als klinisches Mittel zur Verbesserung der Funktionalität und für eine positive Prognose für Kinder, die an ADHS leiden durchgeführt.
Ziele
Das Hauptziel ist es, zu beweisen, dass Schach sich als therapeutisches Mittel zur Behandlung von ADHS eignet.
Zu beweisen wären die folgenden zwei Hypothesen:
Hypothese 1: Schach ist ein wirksames Heilmittel für die Behandlung von Kindern, die an ADHS leiden und vorher noch keine Behandlung bekommen haben.
Hypothese 2. Schach ist ein Mittel, dass die Wirkung herkömmlicher Behandlungseisen verbessern kann (TAU; Treatment As Usual) von Kindern die an ADHD leiden und sich bereits in Behandlung befinden (Methode der Potenzierung).
Methode
Erste Phase: Naturalistische und beschreibende Studie. Studienobjekte: 44 Kinder und Teenager im Alter von 6 bis 16 Jahren mit der klinischen Diagnose ADHS (DSM-IV).
Auswertung: Es wurde ein Adhoc Protokoll verwendet, das u. a. die Conners Skala beinhaltete (Lehrer und Eltern), SNAP-IV (Eltern), und CPT-II (Kinder). Es wird eine vorab Bewertung vorgenommen, und nachfolgend eine Auswertung jeweils nach den ersten sechs Wochen, nach 3 Monaten und nach einem Jahr. Die Statistiken der Analyse werden erstellt mit SPSS v.20 für MacIntosh.
Ergebnisse
Beschreibend: 70,5% der Probandengruppe sind Jungen und 29,5% Mädchen. Durchschnittsalter 11,3 +/- 2,6 [Altersgruppe: 6 -16 Jahre]. Durchschnittliche Teilnahme: (mehr als 10 Schachstunden): 6,13 +/-1,9 Stunden.
Analytisch: Obwohl nicht alle Studienobjekte bis zur Hälfte der Studie gelangt sind, wurde eine signifikative klinische Abnahme auf der Skala SNAP-IV festgestellt (vor der Behandlung: 2,2 +/-0,5; nach der Behandlung: 1,8 +/-0,5), und auf der Conners Skala (Eltern) (vor der Behandlung: 17,2 +/- 6,5; nach der Behandlung: 13,6 +/- 4,6).
Qualitative Analyse: Sowohl die Kinder selbst, als auch Eltern und Lehrer haben eine klinische Verbesserung festgestellt was die Funktionalität anbelangt, im Besonderen im Bezug auf Konzentrationsfähigkeit, Unruhe, die Bereitschaft dazu, Hausaufgaben zu erledigen, bessere Ergebnisse im Fach Mathematik und allgemeine Verhaltensverbesserung.
Außerdem konnte eine Verhältnismäßigkeit zwischen Dosis und Wirkungseffekt festgestellt werden. (Es wurden besonders bei den Kindern Verbesserungen festgestellt, die besonders viel und auch zu Hause Schach gespielt hatten.)
Schlußbetrachtung
Schach scheint ein wirksames Heilmittel gegen ADHS zu sein. Diese vorläufigen Ergebnisse müssen jedoch noch durch klinische Studien bestätigt werden, die über ein noch solideres methodologisches Design verfügen (Fälle-Kontrolle, aleatorisches Design). http://de.chessbase.com/home/TabId/176/PostId/313142
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