FTD - Das Kapital Wie der US-Zinsgipfel erodiert
Ähnlich, wie es früher geheißen hat, dass die Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland ständig steigt, scheint der Zinsgipfel in den Industrieländern von Zyklus zu Zyklus zu erodieren. Weitere Themen in diesem Kapital: das System und seine Anfälligkeit.
Dass der US-Leitzins im laufenden Aufschwung seine Spitze erreicht hat, ist wegen der Inflationsrisiken zwar noch nicht ganz ausgemacht. Aber die Fed hat sich zumindest die Möglichkeit einer Zinssenkung eröffnet.
Legt man den zweifelhaften, aber beliebten Vergleich mit der Jahresveränderungsrate des Kerndeflators für den privaten Konsum zugrunde, beträgt der reale Leitzins in den USA derzeit knapp drei Prozent. Vor der Rezession Anfang der 90er war er auf bis zu 5,5 Prozent gestiegen, und selbst im Vorfeld des Konjunktureinbruchs in den frühen 2000er-Jahren hatte er fünf Prozent touchiert. Bereinigt man den nominalen Leitsatz mit dem Preisdeflator der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften oder mit alternativen Maßstäben wie dem Lohnanstieg oder den Inflationserwartungen der Verbraucher, erscheint die US-Geldpolitik derzeit sogar eher expansiv. Einen ähnlichen Schluss lassen inflationsgekoppelte US-Anleihen zu, die Anfang 2000 über alle Laufzeiten mit gut vier Prozent rentierten, derzeit hingegen kaum mehr als zwei Prozent einbringen.
Nimmt man generös drei Prozent an, entspricht der reale Leitzins gerade dem üblicherweise geschätzten US-Trendwachstum. Wieso also fängt die Wirtschaft schon vier, fünf Jahre nach der Erholung zu stottern an? Und wird die Schwäche - ähnlich wie Mitte der 90er - bald vorbeigehen, wie die Märkte glauben?
Das System ...
Die gute Verfassung der US-Firmen sowie die bisher solide Arbeitmarktentwicklung und das damit einhergehende Wachstum der Lohnsumme, die zuletzt nominal um 5,1 Prozent über dem Vorjahr lag, sprechen dafür.
Das Dumme ist nur, dass die Verbraucher 2006 ein Finanzierungsdefizit von 6,4 Prozent des verfügbaren Einkommens aufwiesen. Sie sind also auf Kredite angewiesen, wenn sie die Konsum- und Bauausgaben in etwa im Einklang mit den Lohnerhöhungen ausweiten wollen. Bloß werden die Banken angesichts steigender Kreditausfälle zusehends knauserig. Fürs Erste mag das auf Hypotheken minderer Bonität beschränkt sein. Jedoch sind die Kreditrisiken generell gestiegen, nachdem der Schuldendienst inzwischen 18,2 Prozent des Einkommens von Hauseigentümern absorbiert, was auch angesichts der ungleichen US-Einkommensverteilung beträchtlich anmutet.
Unterdessen sind die US-Hauspreise ausgereizt, nachdem sie allein seit Ende 2000 um 40 Prozentpunkte schneller gestiegen sind als das nominale Pro-Kopf-Einkommen. Stagnierende oder fallende Hauspreise erschweren aber nicht nur die Hypotheken- Kreditvergabe zusätzlich. Auch werden die entsparenden Verbraucher wieder einen Teil ihres Einkommens zurücklegen müssen, um Vermögen aufzubauen, das seit 2000 netto - also abzüglich zusätzlicher Schulden von 5816 Mrd. $ - um sagenhafte 14.248 Mrd. $ zugenommen hat.
Steigt aber die Endnachfrage der Verbraucher, die drei Viertel des BIP ausmacht, langsamer als die Lohnsumme, ist es auch um die Verfassung der Firmen bald schlecht bestellt. Denn die Lohnsumme ist ja dreimal so hoch wie der Vorsteuergewinn der Firmen (nicht börsennotierte inklusive). Entlassungen wären nur eine Frage der Zeit, die die Verbrauchernachfrage noch zusätzlich schwächten.
... und seine Anfälligkeit
Eine auf Vermögenspreisinflation und Kreditexpansion angelegte Wirtschaft braucht, kurzum, eben ständig Nachschub - in Form noch höherer Vermögenspreise und dauernd neuer Kredite. Das dürfte der Hauptgrund sein, warum die US-Wirtschaft trotz relativ niedriger Zinsen ins Trudeln gerät.
Und es ist zu bezweifeln, ob eine reale Leitzinssenkung von ein, zwei Prozentpunkten den nötigen Nachschub liefern könnte, da Schulden und Hauspreise ja bereits dermaßen hoch sind; dass die US-Geldpolitik über diesen Transmissionsmechanismus der Wirtschaft noch mal einen so großen Impuls verleihen kann wie nach dem Platzen der IT-Blase, ist jedenfalls schwer denkbar, zumal auch Aktien erneut blasenartige Symptome aufweisen.
Da zudem der Spielraum der Fiskalpolitik bei einem gesamtstaatlichen Budgetdefizit von geschätzten 3,2 Prozent begrenzt ist, wird auch der Dollar noch mal deutlich abwerten müssen - was die US-Wirtschaft in einem Abschwung zusammen mit fallenden Rohstoffpreisen zusätzlich stabilisieren könnte. Legt die Fed es allerdings neuerlich auf Kreditausweitung an, ist jetzt schon vorhersehbar, dass der US-Zinsgipfel weiter erodiert. Wie außer den Japanern auch Ben Bernanke weiß, sind dann früher oder später unkonventionelle Mittel in großer Dosis gefragt. Dass die Aktienanleger diese Aussicht zum Jubeln finden, deutet indessen darauf hin, dass zumindest sie auf einem Gipfel der Glückseligkeit schwelgen.
Quelle: FTD
|