Indien ist attraktivster Standort Kostensenkung allein sollte kein Grund für das Verlagern von Arbeitsplätzen sein Berlin - Die Senkung von Kosten sollte nicht alleiniger Grund für das Verlagern von Arbeitsplätzen ins Ausland sein. "Unternehmen, die nur den Kostenaspekt im Blick haben, übersehen wesentliche Chancen, aber auch Risiken des Offshoring", sagt Michael Träm, Europa-Chef der Unternehmensberatung A.T. Kearney. Die ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen sowie die Qualifikation der Arbeitskräfte im Zielland seien genauso zu berücksichtigen. "Hier zeigt sich bei vielen Unternehmen jedoch erheblicher Nachholbedarf", konstatiert Träm.
In ihrem "Offshore Location Attractiveness Index" (OLAI), der WELT am SONNTAG exklusiv vorliegt, hat A.T. Kearney 25 Zielländer nach diesen Kriterien untersucht. Dabei tragen die Arbeitskosten zu 40 Prozent zum Gesamtergebnis bei, das wirtschaftliche und politische Umfeld sowie die Qualifikation der Arbeitskräfte machen je 30 Prozent aus. Attraktivstes Land für die Auslagerung von Unternehmensprozessen ist mit großem Abstand Indien. Es bietet die günstigsten und gleichzeitig die am besten ausgebildeten Arbeitskräfte. Stark im Kommen ist China, das von Platz elf im Vorjahr auf Position zwei kletterte. Sowohl das wirtschaftliche Umfeld als auch die Fachkenntnisse der Arbeitskräfte haben sich der Studie zufolge in der Volksrepublik entscheidend verbessert. In den Top Ten folgen Malaysia, die Tschechische Republik, Singapur, die Philippinen, Brasilien, Kanada, Chile und Polen.
Von marginalen Abweichungen abgesehen, deckt sich der OLAI-Index mit den tatsächlichen Zielländern der Unternehmen. So haben nach einer vertiefenden Studie von A.T. Kearney 67 Prozent von weltweit 115 befragten Unternehmen bereits Arbeitsplätze nach Indien verlagert. Allein in der indischen IT-Industrie soll der Umsatz von ausgelagerten Geschäftsprozessen von derzeit 2,2 Milliarden Euro bis 2006 auf rund 17 Milliarden Euro steigen. Auch China (35 Prozent), Mexiko (23 Prozent) und Brasilien (20 Prozent) sind begehrte Offshoring-Ziele - vor allem aus Kostengründen.
Die deutschen Unternehmen verlagern fleißig mit. VW, Opel und Co. bauen inzwischen jedes zweite Auto in Osteuropa, Lateinamerika oder Asien (siehe Seite 34), die Post-Tochter DHL errichtet ein Rechenzentrum in Prag, die Software-Schmiede SAP beschäftigt bald 1300 Menschen im indischen Bangalore. "Im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung wird dieser Trend immer weitergehen", sagt Unternehmensberater Träm. 80 Prozent der deutschen Unternehmen denken laut A.T. Kearney darüber nach, Geschäftsprozesse ins Ausland zu verlagern. Nach einer Umfrage des Fraunhofer-Instituts haben 46 Prozent der hiesigen Firmen bereits konkrete Pläne, in den kommenden drei Jahren Arbeitsplätze zu verlegen. Dadurch könnten allein in der IT-Branche bis 2008 rund 130 000 Jobs verloren gehen. Kein Wunder, kostet doch eine Entwicklerstunde in Deutschland 80 Euro, in Indien nur 20, in China höchstens zehn Euro. Weitere 100 000 Arbeitsplätze, schätzt A.T. Kearney, stehen bis 2008 bei Finanzinstituten in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Disposition.
"Vor allem bei personalintensiven Funktionen wie Rechnungswesen, Datenverarbeitung, IT oder Callcentern besteht erhebliches Kostenpotenzial", sagt A.T.-Kearney-Chef Träm und verweist zugleich auf die positiven Effekte des Offshoring: "Wird etwa die Erfassung von Spesenbelegen durch ,billigere" Arbeitskräfte in Offshore-Regionen erledigt, können sich die ,teuren" Arbeitskräfte auf Wert schöpfende Tätigkeiten konzentrieren." Auf Dauer könnten es sich keine Volkswirtschaft und kein Betrieb leisten, urteilt er, Aufgaben, die anderswo besser oder billiger erledigt werden, im eigenen Land oder im eigenen Unternehmen zu halten. Alle Artikel vom 11. April 2004
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