Achtung, Ladung könnte kippen Von Jens Hartmann Und Jan Hildebrand, Mitarbeit: Frank Seidlitz 2. Dezember 2008, 01:42 Uhr Das Herzogenauracher Familienunternehmen Schaeffler könnte sich mit dem Kauf des Dax-Konzerns Continental verhoben haben. Der Konjunktureinbruch bringt die Finanzierung der Milliardenübernahme ins Wanken Eines Tages gab es sie nicht mehr. Abgeschafft, ersatzlos gestrichen. Beim Familienkonzern Schaeffler ließen Abteilungsleiter die Kekse, die bei Managementtreffen in Herzogenaurach sonst stets gereicht wurden, vom Tisch verschwinden. Die Sparmaßnahme mutet skurril an bei einem Unternehmen, das in diesem Jahr 9,5 Milliarden Euro umsetzt und ein Ergebnis von etwa einer Milliarde Euro einfahren dürfte. Aber sie passt zur kritischen Stimmung in Mittelfranken.
Dabei schien es vor kurzem noch, als ob Firmeneignerin und Multimilliardärin Maria-Elisabeth Schaeffler, ihr Sohn Georg F.W. und ihr Geschäftsführer Jürgen Geißinger alles richtig gemacht hätten. Sie entschieden die größte Übernahmeschlacht des Jahres für sich. Wer kannte schon Schaeffler, den verschwiegenen Konzern aus der Turnschuhstadt Herzogenaurach, wo Adidas und Puma sitzen, bis der es wagte, den drei Mal größeren Automobilzulieferer Conti zu attackieren?
"Wir hatten nicht einmal Zeit, uns eine dicke Zigarre anzustecken", erinnert sich ein hochrangiger Mitarbeiter von Schaeffler an den Tag, als der Übernahme nichts mehr im Wege stand. Es war nicht die Zeit der Siegergesten. Es waren die Tage, als die US-Bank Lehman Brothers Pleite ging und die Weltrezession ihren Anfang nahm. Schaeffler wurden 82,41 Prozent der Conti-Aktien zum Preis von 75 Euro je Aktie angedient. Mit einem bereits erworbenen Paket saß Maria-Elisabeth plötzlich auf 90 Prozent der Conti-Papiere.
Anders ausgedrückt: auf einem gigantischen Schuldenberg von zehn Milliarden Euro. Eigentlich wollte Schaeffler nur 30 Prozent der Conti-Aktien erwerben und dann schrittweise günstig weitere Anteile zukaufen. Die Operation lief durch die hohe Annahmequote aus dem Ruder: Schaeffler braucht viel mehr Geld als einmal geplant, um das Geschäft zu finanzieren.
Der aktuelle Conti-Kurs liegt bei nicht einmal mehr 36 Euro. Und die Übernahme fällt in eine Zeit, da die Autoindustrie in die Krise rutscht. Die Zulieferer leiden mit. Schaeffler und Conti sind zusammen hinter Bosch und Denso der drittgrößte Automobilzulieferer der Welt. An einigen Schaeffler-Standorten, vor allem solchen, die viel für die US-Autobauer produzieren, ist von einem Auftragsminus um 40 Prozent die Rede. Ein Schaeffler-Manager berichtet von einem strikten "Trainingsprogramm" im Konzern. Die Investitionen etwa, die in den vergangenen Jahren jeweils 800 Millionen Euro betrugen, werden 2009 auf 530 Millionen Euro zurückgefahren.
Trotzige Zuversicht
"Die wirtschaftliche Lage macht sich bemerkbar. Spätestens ab Februar brauchen wir zumindest in Teilbereichen Kurzarbeit", sagt Thomas Mölkner, Betriebsratsvorsitzender in Herzogenaurach. "Natürlich gibt es Ängste. Keiner weiß, wie es weitergeht", sagt Mölkner. Schaeffler ist ein Imperium mit 180 Standorten auf der ganzen Welt und 70 000 Beschäftigten, davon 29 000 in Deutschland.
Grauer Marmor dominiert das Foyer des Stammsitzes in Herzogenaurach. Wilhelm und Georg Schaeffler, die Brüder, die das Imperium begründeten, sind in Öl gemalt. Mit Wälz- und Kugellagern sind sie reich geworden. Ein Werbefilm wird vorgeführt. Autos stehen still, Maschinen haben ausgedient, selbst der Zahnarztbohrer stoppt seine Drehungen. So sähe die Welt ohne Schaeffler aus, lautet die Botschaft. Doch der Konzern macht inzwischen viel mehr. Er ist Hightech-Zulieferer für Autokonzerne, für Luft- und Raumfahrt. 60 Prozent des Umsatzes macht Schaeffler mit Autoteilen. Etwa mit Fiat tüftelt man an neuen Sprit sparenden Motoren und Kupplungssystemen. Schaeffler bringt die Mechanik mit, Conti die Elektronik. Mit zusammen mehr als 200 000 Beschäftigten würden die beiden 35 Milliarden Euro umsetzen.
"Wir sind dieser Übernahme in jeder Hinsicht gewachsen und werden nicht daran scheitern", sagt Schaeffler-Boss Geißinger. Der Gesamtbetriebsrat fragte schon: "Schaeffler quo vadis?" "Allein die finanziellen Risiken, vor dem Hintergrund der Finanzkrise und der ursprünglich nicht geplanten Übernahme von jetzt 90 Prozent des Kapitals, machen Sorgen", hieß es in einem Schreiben. Gesamtbetriebsratsvorsitzender Norbert Lenhard sagt, man habe von Anfang an auf ein "Finanzierungsrisiko" hingewiesen. "Ich schätze schon, dass die Übernahme die Lage für Schaeffler verschärft", sagt der Gewerkschafter.
Der Zähler tickt. Schaeffler hat bei den sechs Banken Royal Bank of Scotland, Dresdner, Commerzbank, HypoVereinsbank (HVB), Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und UBS um einen Kredit von 16 Milliarden Euro nachgesucht. Aus dem Umfeld der Kreditgeber erfuhr die WELT, dass die Banken mit Argwohn auf das Verhältnis von Schulden zum Ebitda, also dem Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen, schauen. "Bei Schaeffler haben wir eine stark gestiegene Schuldenlast und einen sinkenden Ertragswert. Wünschenswert wäre ein Verhältnis von 4 zu 1. Hier ist das weitaus ungünstiger", sagt ein Banker. Das Unternehmen, das vor dem Conti-Deal mit drei Milliarden Verbindlichkeiten als grundsolide galt, dürfte im Januar, wenn es die Aktien für die Übernahme bezahlen muss, Schulden in Höhe von 13 Milliarden Euro in den Büchern haben.
Sollte Schaeffler die Ertragskraft nicht steigern, steigt die Gefahr, dass Kredite nicht bedient werden. Nach Informationen der WELT haben große Tranchen der Kreditlinie eine Laufzeit von unter drei Jahren. "Für die Turbulenzen auf den Märkten ist das Konstrukt der Conti-Übernahme nicht ausreichend gesichert", sagt ein Insider. Aus dem Umfeld der Banken ist zu hören, dass der Milliardenkredit steht. Es ist schwer vorstellbar, dass die Übernahme in letzter Minute platzt. Doch Schaeffler muss dringend frisches Kapital in sein System speisen.
Schon sprießen Gerüchte, das Familienunternehmen werde sich einen Geldgeber ins Haus holen. "Wir können Ihnen versichern: An diesen Spekulationen, dass ein Investor an der Schaeffler KG beteiligt wird, ist nichts dran!", dementierten die Schaefflers in einem Brief an die "Lieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter". Ein Investmentbanker glaubt indes, im Schaefflerschen Firmenkonstrukt gebe es durchaus noch Stellen außerhalb des Nukleus "Schaeffler KG", über die frisches Kapital hineinkommen könnte. "Das muss nicht ganz oben sein, sondern kann auch weiter unten geschehen", etwa bei einer Tochter. Man hätte zwar Wort gehalten, müsste jedoch die Macht mit Fremden teilen.
Analyst Aleksej Wunrau von der BHF-Bank hält die Gefahr für erheblich, dass sich Schaeffler mit Conti überhoben hat. Für ihn ist die entscheidende Frage, "ob der Deal von Frau Schaeffler mit genug Eigenkapital unterlegt ist". Wunraus Rechnung: "Mit einem Eigenkapital von weniger als fünf Mrd. Euro dürfte Frau Schaeffler nicht in der Lage sein, die Zinsen für die Übernahme zu bedienen." Das Vermögen der Schaeffler-Familie wird vom Magazin Forbes auf 8,5 Mrd. Dollar veranschlagt. Die Schaefflers riskieren Haus und Hof.
Schaeffler betont immer wieder, den Conti-Kauf ausschließlich mit eigenen Kräften zu stemmen und nicht bei den Hannoveranern in die Kasse greifen zu wollen. Dabei gäbe es zwei Möglichkeiten: der Verkauf von Conti-Aktien oder der Verkauf der Gummisparte "Rubber Group", Contis Herzstück.
Schaeffler garantiert in einer Investorenvereinbarung, zumindest vier Jahre lang den Aktienanteil an Conti nicht über 49,99 Prozent zu bringen. Das bedeutet, dass die übrigen Aktien, über die Schaeffler verfügt, 40 Prozent also, zur Disposition stehen. Geißinger kündigte bereits an, Interessenten Conti-Aktien in Paketen von zehn bis 20 Prozent anzubieten. Doch der Preis, den Investoren zu zahlen bereit sind, dürfte deutlich niedriger sein als die 75 Euro, die Schaeffler pro Aktie aufbringt. Für Schaeffler dürfte es darum gehen, mittelfristig Conti zu beherrschen, um einen Gewinnabführungsvertrag zu erwirken, glaubt Analyst Wunrau. "Was soll denn ein Familienunternehmen mit einer solchen Minderheitsbeteiligung? Klar wollen die die Mehrheit." Da könne ein Rückkaufrecht für die Aktien jenseits der 49,99 Prozent hilfreich sein.
Doch wie wird Conti in Zukunft aussehen? "Wir haben immer gesagt, dass es das Beste ist, Conti als Ganzes zu erhalten", sagt Geißinger. Und ergänzt vielsagend: "Aber wir haben eine neue Situation durch die Marktlage, die Banken- und Wirtschaftskrise." Aus seinem Umfeld ist zu hören, dass man einen Verkauf der Reifensparte "mittragen" würde.
Heftige Gefechte
Das Conti-Management ist jedoch gegen eine Zerschlagung. Contis Aufsichtsratschef Hubertus von Grünberg war anfangs ein Verfechter der Übernahme. Während der Abwehrschlacht hatte er sich vehement für Schaeffler stark gemacht. Die Franken seien stabile Investoren. "An Frau Schaeffler schätze ich die konsequente Unternehmerschaft, den Mut, die Standhaftigkeit", hat er auch noch heute Komplimente für sie parat. Bei Conti gilt sie als "pragmatisch und teamorientiert". Zwischen Grünberg und Geißinger soll es hingegen heftig knallen.
Der Schaeffler-Geschäftsführer leide unter "komplettem Realitätsverlust", heißt es aus dem Conti-Umfeld. Und: "Geißinger geriert sich als Conti-Chef." "Wir wollen alles zusammenhalten. Man kann doch nicht jeden Tag alles auf den Kopf stellen", sagte Grünberg Mitte vergangener Woche und dementierte damit entschieden einen Ausverkauf bei Conti. Damit dürfte der Verkaufsprozess der Gummisparte in weite Ferne gerückt sein. Die Gummisparte ist mit ihrem hohen Kapitalmittelzufluss für den Schuldendienst von Conti wichtig. Conti muss einen Kredit von 10,8 Milliarden Euro aus der 2007 getätigten Übernahme des Zulieferers Siemens VDO bedienen.
Schaeffler rechnet damit, dass die EU-Wettbewerbsbehörde bis zum 19. Dezember die Freigabe für die Übernahme erteilt. Im Januar bekämen dann die Conti-Aktionäre endlich ihr Geld - und Schaeffler bekäme Conti. In Herzogenaurach ist von Vorfreude wenig zu spüren. Weihnachten wird weder für die Beschäftigten, die um ihre Jobs zittern, noch für die Schaefflers, die um ihr Unternehmen bangen, ein Fest der Besinnlichkeit. Die Weihnachtsfeiern im Betrieb wurden abgesagt. Die 20 Euro, die Frau Schaeffler den Mitarbeitern für die Feier gewöhnlich zahlte, werden gespart
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