Eigentlich müsste der Kern der Diskussion, der sich im wesentlichen um die Sinnhaftigkeit von Chartanalysen im Allgemeinen und von Ultra-Langfrist-Chart-Analysen im Besonderen dreht, klar zum Ausdruck gekommen sein.
Aufgrund zahlreicher Rückfragen dazu allerdings noch ein paar Anmerkungen:
Nicht jeder, der sich Analyst nennt, ist ein Analyst. In diesem Segment gibt es eine Menge Scharlatane, die quasi in einer Gesetzeslücke agieren. Bei WO wimmelt es bekanntlich nur so von Hobby-Feierabend- und Fernlehrgangsanalysten. Es ist fast schon so wie beim Fußballbundestrainer, in dessen Tätigkeitsfeld bekanntlich jeder zweite Deutsche qualifiziert mitreden möchte.
Das Problem liegt darin, dass der Beruf des Analysten weder eine Zugangsbeschränkung kennt, noch der Begriff des Analysten substantiiert definiert ist. Die einfache Anzeige einer solchen Tätigkeit an die BaFin genügt. Eine qualitative Überwachung findet nur rudimentär statt.
Zwar schreibt die sog. „Finanzanalyseverordnung“
http://www.bafin.de/verordnungen/finanv.htm einige Eckpunkte der Analystentätigkeit fest, indem sie z.B. eine sachgerechte Erstellung von Analysen und die Angabe möglicher Interessenkonflikte, z.B. bei eigenen Investments oder bei personellen Beziehungen zum analysierenden Unternehmen verlangt.
Jedoch liegt die Crux darin begraben, dass diese Sachgerechtigkeit nur sehr vage definiert und der Geist der Verordnung eher an dem orientiert ist, was die Wissenschaft, und damit auch die Juristen, von denen die BaFin dominiert wird, als Finanzanalysen bezeichnet. Das was der Privatanleger als Finanzanalyse versteht, ist, wie bereits die Postings in diesem Thread zeigen, etwas ganz anderes.
Wie der ausführliche Artikel unter Nr. 26 bereits beschrieb, ist die technische Analyse wissenschaftlich nicht anerkannt, weil sie bislang nicht als fundiert validiert werden konnte. Im institutionellen Bereich findet sie daher, wenn überhaupt, auch nur im Bereich von sehr kurzfristigen Handelsbuchaktivitäten Anwendung. Das Investmentbanking bspw. wird, insbesondere im Geschäftsfeld Unternehmensübernahmen, eindeutig von (fundierten) DCF-Modellen dominiert.
Noch eindeutiger ist die Situation in Bezug auf langfristige Chartanalysen. Diese gelten eindeutig als Chartesoterik und werden regelmäßig als vollkommen unseriös abgelehnt (siehe auch die Stellungnahme eines bekannten Chart-Analysten unter Nr. 108). Sie sind daher eher dem Bereich der Börsenastrologie zuzuordnen und ihre Verkünder damit keine Analysten sondern Astrologen.
Daraus folgt, dass zumindest diejenigen, die eher einer astrologischen als einer analytischen Tätigkeit nachgehen, schon per se nicht den Analysten zuzuordnen sind. Für sie gelten m.E. auch nicht die Vorschriften der Finanzanalyseverordnung.
Die entscheidende Frage, die für mich diesbezüglich offen bleibt, ist diejenige, ob man sich durch einen solchen Klamauk - besser Hokuspokus - bewusst oder unbewusst aus der Finanzanalyseverordnung herausdefinieren kann.
Niemand sollte sich also in der Gewissheit wiegen, dass Fehlentwicklungen im Finanzgewerbe schon „irgendwie“ von der Finanzmarktaufsicht gestoppt würden. Ein gesundes Misstrauen ist also angezeigt.
Wären manche so erfolgreich mit ihren „Analysen“ wie sie in diesem oder anderen Boards vorgeben, wären sie nicht hier und würden sich auch nicht mit einer Aktie befassen, die man nicht in nennenswertem Umfang handeln kann.