19. März 2008 Kölnische Rundschau Interview mit Gregor Gysi, dem Vorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag
Gregor Gysi ist Fraktionschef der "Linken" im Bundestag. Mit ihm sprach Sandro Schmidt über den Aufstieg der Partei im Westen.
Herr Gysi, in Umfragen liegt "Die Linke" bundesweit bei bis zu 14 Prozent. Erstaunt Sie der fulminante Aufstieg nur neun Monate nach der Vereinigung von PDS und WASG? Ich glaube, dass ein qualitativer Sprung vor allem in den alten Bundesländern passiert ist. Weil die WASG und Oskar Lafontaine dazugekommen sind, haben wir nicht mehr den Ruf, reine Ostpartei zu sein.
Was hat sich geändert? Thematisch verändern wir den Zeitgeist. Wir schieben Dinge an, die es ohne uns nicht gegeben hätte: egal, ob es um die Debatte über den gesetzlichen Mindestlohn, die Verlängerung des Arbeitslosengelds I oder um die Rentenerhöhung geht. Die Leute sagen, je stärker die Linke ist, desto mehr korrigieren die anderen ihre Politik.
Überrascht Sie das? Ich habe immer gedacht, je mehr wir im Westen zulegen, desto mehr verlieren wir im Osten. Das ist überhaupt nicht der Fall, im Gegenteil. Diejenigen, die uns im Osten gewählt haben, weil wir ostdeutsch waren, gehen nicht weg. Aber es kommen die hinzu, die uns wählen, weil wir jetzt auch bundespolitisch etwas zu sagen haben. Das hat mich überrascht. Das macht mich relativ optimistisch für künftige Wahlen.
Liegt Ihre Stärke nicht am desolaten Zustand der SPD? Eine Stärke, die immer nur mit der Schwäche anderer zu tun hat, ist zu wenig. Ich glaube schon, dass wir die richtigen Themen verfolgen. Aber natürlich haben Sie recht. Der Zustand der SPD ist desolat. Sie besteht aus zwei Parteien. Der rechte und der linke Flügel haben sich ja nichts mehr zu sagen. Sie wollen verschiedene Bündnisse, unterschiedliche Politik. Zudem fehlt eine starke Führung. Die SPD ist in Teilen neoliberal geworden und diese Teile setzen sich in ihr politisch durch. Mit dem einen Flügel könnten wir etwas anfangen, mit dem anderen nicht. Deshalb ist es so schwer, sich näher zu kommen. Die Linke ist auch im Westen so erfolgreich, weil die SPD aufgehört hat, eine sozialdemokratische Partei zu sein.
Ist "Die Linke" im Westen salonfähig geworden? Das sind wir immer. Es ist erstaunlich, dass die Linke in Europa gerade wegbröselt. Aber in der alten Bundesrepublik, die ja Jahrzehnte zutiefst anti-kommunistisch war, so dass eine Partei links der SPD keine Chance hatte, gewinnt sie an Akzeptanz. Da hat sich ein Wandel vollzogen.
...weil die SPD nach rechts gerutscht ist? Sie hat durch die neoliberale Politik Schröders am linken Flügel Platz gemacht. Die SPD hat Konzerne stark entlastet und sagt Arbeitslosen, wir haben für euch leider nicht genügend Geld, oder Kranken, ihr müsst immer mehr zuzahlen. Das verstehen die Leute nicht.
Strebt Ihre Partei künftig in den westlichen Bundesländern auch Regierungsbeteiligungen an oder fühlen Sie sich wohler in der Rolle der kapitalismuskritischen Opposition? Ich versuche immer, meiner Partei zu erklären, dass es nicht darum geht, wo sie sich wohler fühlt, sondern dass man Aufträge von Wählern zu akzeptieren hat.
Das versteht "Die Linke" auch? Na ja. Sie sind dabei, es zu lernen. Man geht nicht in die Politik, um es bequem zu haben. Man geht auch nicht in die Politik, um die reine Lehre durchzusetzen. Sondern man geht in die Politik, um Gesellschaft zu verändern. Wenn es also die Möglichkeit gibt, mit einem Partner solche Veränderungen herbeizuführen, für die wir kämpfen, mit ein paar vertretbaren Kompromissen, dann müssen wir das selbstverständlich machen.
"Die Linke" ist ein buntes Gemisch aus SED/PDSlern, enttäuschten Sozialdemokraten und Gewerkschaftern, ehemaligen Mitgliedern kommunistischer Splittergruppen. Ist mit einer ideologisch so disparaten Truppe Sachpolitik möglich? Das geht, wenn man begreift, dass die ganzen Schubladen des 20. Jahrhunderts heute nicht mehr passen. Wir müssen versuchen, die neue moderne Linke zu werden, die die Fragen des 21. Jahrhunderts beantwortet. Historische Aufarbeitung sollten wir zwar auch betreiben, aber politisch müssen wir den Blick nach vorne richten.
Würden Sie sich noch als Kommunisten bezeichnen? Nein. Auch, weil jeder etwas anderes darunter versteht.
Kölnische Rundschau, 19. März 2008
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