Der Artikel liest sich wie eine Zusammenfassung der Themen meiner beiden Bären-Threads (dieser und der "Doomsday"-Thread) seit Oktober 2006.
Der Aktienkrach kommt noch von Lucas Zeise, FTD
Alan Greenspan hält eine Rezession in den USA für möglich. Er irrt: Sie ist wahrscheinlich.
War's das? Mit Sicherheit noch nicht. Die wichtigsten Aktienindizes der Welt sind vergangene Woche unter ihren Stand vom Jahreswechsel gefallen. Bisher haben die beiden Abwärtsschübe nur die Volatilität und Nervosität erhöht, nicht aber die Überzeugung vieler Investoren gebrochen, es gehe doch noch weiter aufwärts.
Diese optimistische Grundhaltung hat eine Ursache in den Erfahrungen des letzten Jahres. Von Mai bis in den Sommer hinein herrschte Nervosität an den Kredit- und Aktienmärkten. Fundamental machten den Investoren das langsamer werdende Wachstum in den USA und die hohe Verschuldung des Landes Sorgen. Die meisten waren dann überrascht von dem gloriosen Kursaufschwung, der an Fahrt gewann und bis zum Februar dieses Jahres dauerte.
Ähnlich könnte es jetzt wieder laufen, denkt der aus Erfahrung klüger gewordene Investor: Mag sein, dass ein weiterer Zitteranfall die Aktienmärkte heimsucht, der ihre Verluste auf 10 oder 15 Prozent ausweitet. Dann aber könnte, vom ermäßigten Niveau aus, der gute alte Aufwärtstrend sich wieder durchsetzen.
Reichlich Opfer im Finanzsektor
Der analoge Schluss von einer Korrektur zur nächsten wirkt auch plausibel, weil die grundlegende Sorge, die den Aktienmarkt erzittern ließ, damals wie heute dieselbe war: Wie schwach wird die US-Wirtschaft? Gibt es eine weiche Landung oder eine Rezession?
Als vor drei Wochen der frühere Chairman der US-Notenbank, Alan Greenspan, eine Rezession in Amerika öffentlich für möglich erklärte, stürzten chinesische Aktien ab. Vorige Woche sorgte die Fast-Pleite einiger im amerikanischen Immobilienmarkt tätiger Finanzinstitute für fallende Kurse. Es schien, dass sich die Immobilienpreisblase in den USA nicht harmlos zurückbilden, sondern mit lautem Zischen auflösen und dabei reichlich Opfer im Finanzsektor fordern würde.
Der Immobilienmarkt gilt schon seit Jahren als die Sollbruchstelle der US-Konjunktur. Seit 2001 hat er in den USA eine neue Rolle übernommen: Er dient als Kredit- und Geldschöpfer für das breite Publikum. Die von der Notenbank auf Rekordtiefe gedrückten Zinsen ermöglichten es ganz neuen Schichten, das eigene oder das erst zu erwerbende Haus zu beleihen. Das trieb die Hauspreise hoch, sorgte dabei dafür, dass die Sicherheiten für neue Kredite stiegen, und versetzte die Amerikaner in die Lage, ihren Konsum deutlich stärker zu erhöhen als ihre Arbeitseinkommen. Der Konsumrausch war möglich, ohne dass die Unternehmen nennenswert höhere Löhne zahlen mussten, und er ist bis heute wichtigste Triebkraft der US-Konjunktur.
Leider kann man aus der Tatsache, dass der Immobilienmarkt sich bisher nur etwas verschlechtert hat und dass sich bisher die Schwierigkeiten der Hypothekenfinanzierer auf das Segment schlechter Bonitäten beziehen, nicht schließen, dass dem Markt die Gesundschrumpfung erspart bleibt. Eher kann man Sonderfaktoren dafür anführen, warum der Immobilienboom länger anhielt, als eigentlich zu erwarten war. So blieben die Marktzinsen in den USA trotz der restriktiver werdenden Geldpolitik der Fed erstaunlich billig - dank der stetig hohen Kapitalzufuhr aus Asien und den Opec-Ländern.
Das Wachstum in den USA beruht in erheblichem Maß auf steigenden Immobilienpreisen und Kreditwachstum. Das Ende dieses Booms scheint nun erreicht. Es ist schwer vorstellbar, dass anspringende Investitionen oder plötzliche Exporterfolge die auf Pump basierende Konsumnachfrage als Triebkraft in der US-Wirtschaft ersetzen können. Greenspan hätte wohl besser gesagt, die Rezession in den USA sei nicht nur möglich - sondern wahrscheinlich.
Gegen ein solches Szenario wird der Aktienmarkt keinen Kursaufschwung zuwege bringen. Sogar die Analysten reagieren. Sie nehmen die Gewinnschätzungen für US-Unternehmen in rasantem Tempo zurück. Das ist eine typische Erscheinung, wenn die Kurse wackeln oder sinken, und deutet auch darauf hin, dass die Unternehmen schwächere Nachfrage und Preissetzungsmacht für sich selbst erwarten.
Kurswechsel der Notenbank
Doch haben Konjunktur und Aktienmarkt einen starken Verbündeten. Es ist die US-Notenbank. Wenn die Lage brenzlig wird, wird sie wie weiland 2001 nicht zögern, die Zinsen zu senken.
Noch machen sich die Notenbanker offiziell mehr Sorgen um die Inflation als um eine drohende Rezession. Das kann sich rasch ändern. Viele Strategen erwarten einen Kurswechsel der Fed noch vor Jahresende. Vermutlich haben sie recht, wenn sie annehmen, dass der heutige Fed-Chairman Ben Bernanke ebenso wenig zögern wird wie Greenspan, mit billigem Geld die Konjunktur vor dem Kollaps zu bewahren. Weniger sicher ist, wie gut die Medizin wirkt. Volkswirtschaften sind keine Maschinen, sondern reagieren wie menschliche Patienten. Auch da nutzen sich Aufputschmittel mit der Zeit ab.
Ein Wort noch zur angeblich gelungenen Abkopplung Europas von der Konjunkturentwicklung in den USA: Das wird sich als leeres, hoffnungsfrohes Gerede erweisen. Wenn die US-Nachfrage tatsächlich zusammenbricht, gibt es viele Wirkungskanäle, die Europa tangieren. Das ist das Bedauerliche an Multiplikatoren: dass sie auch im Abschwung funktionieren. Ein Wirkungskanal ist schon sichtbar. Es ist das Engagement hiesiger Banken und Versicherungen am US-Kreditmarkt. Die Aktien von UBS und Deutscher Bank haben bereits erheblich gelitten, weil sie am US-Kreditmarkt engagiert sind.
Der zweite Wirkungskanal ist das Verhalten hiesiger Manager und Finanzinvestoren. Sie richten sich, wie man am Aktienmarkt sehen kann, an den Verhältnissen in den USA aus. Wenn die Investitionsneigung dort wegen einer Nachfrageschwäche zusammenbricht, rutscht sie auch in Europa ab.
Dritter und bedeutendster Wirkungskanal: Die wichtigsten Lieferanten der USA sind für Europa wichtige Kunden. An den Exportländern Asiens wird ein Ende des US-Verbraucherbooms nicht spurlos vorübergehen. Ihre plötzlich fehlende Nachfrage nach Maschinen wird man auch in Stuttgart spüren.
Lucas Zeise ist Finanzkolumnist der FTD.
FTD, 20.3.07
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