Winnenden im FernsehenSo was ist hier noch nie passiertVon Jörg Thomann 11. März 2009 Gleich nach der Werbung, sagte Katja Burkard im RTL-Magazin „Punkt 12“, werde man wieder zurück sein und „alle neuen Informationen“ zum Amoklauf in Winnenden liefern: „Dort soll es mindestens zehn Tote gegeben haben, und der Täter . . .“ Weiter kam sie nicht. Stattdessen kam Oliver Geissen, fläzte sich auf einem roten Sofa, und es wurde der Senderslogan „Mein RTL“ eingeblendet, um den Werbeblock einzuläuten. Dumm gelaufen, doch so funktioniert nun mal das kommerzielle Fernsehen. Aber immerhin: Es funktioniert. Von der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz, namentlich der ARD, konnte man das an diesem Mittwoch nicht sagen. Man muss sich das einmal vorstellen: Es wird ein verheerendes Blutbad in einer deutschen Schule angerichtet, die Nachrichtenagenturen melden zehn, zwölf, sechzehn Tote, die meisten von ihnen Minderjährige, der Attentäter ist in diesem Moment noch flüchtig, die Fernsehsender von CNN über n-tv bis RTL berichten live – und das Erste Deutsche Fernsehen zeigt ein Skirennen. Ski-Weltcup, Abfahrt der Herren. Und während auf den anderen Kanälen die Reporter in Winnenden mit der Frage kämpften, wie so etwas geschehen konnte, fragte der ARD-Reporter den früheren Skiläufer Markus Wasmeier: „Ist es die richtige Entscheidung, den Start etwas nach unten zu verschieben?“ Auf die Idee, das Programm zu ändern, kam die ARD nicht. Schließlich hat sie in die Sportrechte ja teure Gebührengelder gesteckt.  Übertragungswagen nahe der Albertville-Realschule Routine und Leidenschaft Tragödien wie jene von Winnenden beleuchten schlagartig den Zustand des Fernsehens. CNN berichtete früh und ausführlich, in jener Mischung aus professioneller Routine und empathischer Leidenschaft, die für deutsche Sender unerreichbar scheint. Bei einem solchen Drama schlägt die Stunde von Reportern, die nur deshalb vor der Kamera auftauchen, weil sie den kürzesten Anfahrtsweg hatten – und nicht jeder zeigte sich der Aufgabe gewachsen. Das ZDF hatte mit Andreas Linke immerhin frühzeitig einen Korrespondenten am Ort, der auch die unbeholfensten Fragen der „Drehscheibe Deutschland“-Moderatorin („Ist es so, dass viele jetzt erschütterte Bemerkungen gemacht haben, dass sie sich das nicht vorstellen können?“) gelassen beantwortete. Die RTL-Reporterin Sarah Jovanovic hingegen schien geradewegs dem Kinderfunk entsprungen: „Es war Wahnsinn, überall standen die Rettungswagen rum“, berichtete sie, die Helfer freilich seien „superschnell“ vor Ort gewesen. „Ein Chaos vom Feinsten“ beobachtete sie vor der Schule. Minuten später tauchte sie auch bei n-tv auf, wo sie „ein Großaufgebot vom Feinsten“ registrierte. Jovanovics Fazit: „So was ist hier noch nie passiert.“ Ein alter Amoklauf Der Totalausfall der ARD hätte wettgemacht werden können durch Phoenix oder den regional zuständigen Südwestrundfunk. Um Viertel vor zwölf, als CNN oder n-tv das aktuelle Geschehen kommentierten, lief auch beim Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix etwas zum Amoklauf – und zwar zu dem von Emsdetten vom November 2006. Kurzerhand hatte Phoenix einen alten Beitrag über Amokläufe ins Programm gehoben, zur völligen Verwirrung aber rechts oben „Amoklauf in Winningen“ eingeblendet. Die aktuellen Informationen tauchten nur in einem Laufband auf. Phoenix – ein Dokumentations-, aber gestern gewiss kein Ereigniskanal. Und der SWR? Der zeigte, unverdrossen und ohne Laufband, seine Zoo-Sendung „Eisbär, Affe & Co.“. Gegen halb eins war kurz Zeit für einen dreiminütigen Nachrichten-Flash. Gleich danach ging’s dann wieder zurück zum „Steinböcklein“, das im Stuttgarter Zoo auf die Waage gehoben wurde.
Text: F.A.Z. Bildmaterial: ddp
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