Ostseezeitung vom 20.04.2010 Hansas Absturz reißt die Region mit runter Nicht nur die Fans zittern vor einem Abstieg des Fußball-Zweitligisten Hansa Rostock in die 3. Liga. Unternehmer, Touristiker und Politiker sind sich einig: Die Liga drei bringt für MV wirtschaftliche und Image-Verluste.
In Mecklenburg-Vorpommern geht die Abstiegsangst um. Nach der1:2-Heimniederlage gegen den direkten Konkurrenten FSV Frankfurt am vergangenen Sonnabend droht dem FC Hansa Rostock der sportliche Absturz in die dritte Fußball-Liga. Auch die finanziellen Einbußen für den Verein und die wirtschaftlichen Folgen für die Region wären gravierend: Die TV-Einnahmen des Vereins würden von jetzt knapp fünf Millionen Euro auf nur noch 800 000 Euro pro Saison sinken. Tausende Fans würden wegbleiben und damit Zehntausende Euro an Ticket-Einnahmen. Nach Angaben einer Studie der Universität Rostock gibt jeder Hansa-Anhänger durchschnittlich 23 Euro in der Stadt aus. Bei Drittliga-Spielen in Rostock ist mit weit weniger Stadionbesuchern zu rechnen. Das schlägt bis in die Gastronomie durch: „Je tiefer die Klasse, desto weniger geben die Anhänger aus“, erklärt Uwe Barsewitz, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes in MV. Das gilt in Menge und Güte sowohl für Essen und Trinken als auch für Übernachtung. „Der Abstieg in die 3. Liga wird einer ganzen Region wehtun“, befürchtet Barsewitz. Mit einem Abstieg der Mannschaft verliere das Land einen überregionalen Werbeträger, erklärt Heinz Kopp, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Nordost. „Es wird auch zu Einbußen bei Fan-Artikeln im Sportfachhandel kommen“, prophezeit er. Die Anzahl der Kurzurlauber,die ein Hansa-Heimspiel mit einem Einkaufsbummel verbinden, werde sinken. So sieht es auch der Landestourismusverband. „Mit einem Abstieg verlieren wir einen Magneten, der zusätzlich Gäste an die Ostseeküste zieht“, meint Geschäftsführer Bernd Fischer. Bis zu 15 Prozent der jährlich rund 500 000 Besucher von Sportveranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern würden bisher auf Hansa entfallen. Auch der Verlust von finanzstarken Sponsoren ist nicht auszuschließen. Bei Hansas aktuellem Hauptsponsor, dem Firmenverbund „Windstärke 11“, will man sich nicht zu Konsequenzen eines Abstiegs äußern. „Die Fans sollten jetzt zusammen für Hansa stehen“, appelliert Koordinator Markus Heinicke. „Die noch ausstehenden drei Endspiele kann man ja auch gewinnen.“ Daran glaubt auch Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling: „Hansa kann und muss es schaffen! Aus eigener Kraft ist es über die Relegation möglich.“ Alles andere ist für den OB unvorstellbar. Natürlich sei eine Mannschaft in der 1. oder 2. Bundesliga ein toller Werbeträger. Auch bei der Landesregierung in Schwerin hofft man weiter. „Wenn Verein, Spieler und Fans jetzt zusammenstehen, wird die Kogge auch nicht untergehen“, sagt Innen- und Sportminister Lorenz Caffier (CDU). Ein Abstieg in Liga drei würde nicht nur bitter für Fans sein. Auch Wirtschaft und Tourismus hätten zu leiden. Caffier ist sich sicher: „Die Menschen hier identifizieren sich über Hansa mit unserem Bundesland.“ von Bernhard Schmidtbauer
Kommentar
Letzte Minute entscheidet
Jedem Fan des FC Hansa Rostock blutet in diesen Tagen das Herz: Der Klub stürzt der 3. Liga entgegen. Die Kicker von der Küste verloren gerade zu Hause in letzter Minute 1:2 gegen den Tabellennachbarn Frankfurt. Die blamable Vorstellung zeigte: So gehört Hansa nicht in die 2. Bundesliga. Nun ist diese Situation für treue Anhänger nichts Neues. Sie durchleben gerade ein Déjà-vu der brutalen Art. Wie vor einem Jahr ist die Hansa-Kogge erneut in den Abstiegsstrudegeraten. Monatelang haben die Fans damals gezittert. Am Ende hat es gereicht: Die Rostocker Fußballer feierten den Klassenerhalt. Gelingt das jetzt erneut?
Nun könnte jeder außerhalb der Anhänger-Schar sagen: Mein Gott, es ist doch nur Fußball. Und ob Hansa nun in der 2. oder der 3. Liga spielt – egal. Der Ball ist doch überall rund. Nein, so ist es eben nicht. Der sportliche Niedergang des letzten nordostdeutschen Spitzenklubs wirkt sich wirtschaftlich und finanziell auf die ganze Region aus. Weniger Zuschauer. Dadurch weniger Einnahmen für Karten, Essen, Getränke, Übernachtungen, Fanartikel und Einkäufe nebenher. Nur ein Beispiel: Pro Spiel werden in der DKB-Arena im Schnitt 4500 Bratwürste und 10 000 Liter Bier an die Fans verkauft. Ein Abstieg würde vor allem auch die millionenschweren TV-Einnahmen und Sponsorengelder für den Verein dramatisch reduzieren.
Damit ist klar: Ein Absturz in die Drittklassigkeit träfe Hansa ins Mark. So ließen sich auch die Infrastruktur rund ums Stadion und die erstklassige Nachwuchsförderung kaum noch finanzieren. Der Klub würde vor dem Offenbarungseid stehen: Hansa ist mit rund neun Millionen Euro verschuldet. Auf der Gehaltsliste stehen mehrere beurlaubte Trainer und Funktionäre. Seit Monaten brandmarken die Fans diese und andere Zustände. Verständlich.
Nur: Jetzt gilt es allein, das Gespenst Liga drei zu verjagen. Wollen wir Hansa wirklich gegen Jena, Erfurt oder Dresden spielen sehen? Das sind zwar gute alte Bekannte aus der letzten ostdeutschen Oberliga-Saison 1990/91. Wirtschaftlich jedoch wäre das für Rostock eine Katastrophe. Deshalb heißt es jetzt: Nach vorn schauen, Kraft schöpfen für die letzten Spiele dieser unglückseligen Saison. Denn erst in der allerletzten Minute des letzten Spieles – und sei es in der Relegation – wird Hansas Schicksal entschieden.
von Bernhard Schmidtbauer
Bei Drittliga-Absturz regiert der Rotstift in Rostock
Bei einem Abstieg müsste der FC Hansa radikal abspecken. Nur neun Profis haben einen Drittliga-Vertrag, der Etat würde sich halbieren, Jobs stehen auf der Kippe.
In seiner 55-jährigen Geschichte ist der FC Hansa (früher SC Empor) Rostock achtmal abgestiegen. Doch noch nie war es so bedrohlich wie jetzt. Der Klub steht am Abgrund. Vor zwei Jahren noch 1. Bundesliga, droht dem Koggen-Klub nun zum ersten Mal in der Vereinshistorie der Absturz in die Drittklassigkeit. Nach dem verlorenen Schlüsselspiel gegen den FSV Frankfurt (1:2) nimmt dieses Horrorszenario drei Runden vor Schluss immer deutlicher Gestalt an. Ein erneuter Abstieg hätte tiefgreifende finanzielle, strukturelle und personelle Folgen.
MANNSCHAFT
Im Spielerkader droht der radikalste Umbruch seit 20 Jahren. Von den aktuell 27 Profis haben nur neun einen Vertrag, der auch für die 3. Liga gilt. Darunter Akteure wie Marcel Schied, Enrico Neitzel, Stephan Gusche und Ersatztorhüter Andreas Kerner. Auch ein Verbleib von Kai Bülow, Tobias Jänicke und Jörg Hahnel ist wahrscheinlich. Dagegen werden Profis wie Tim Sebastian, Martin Retov, Alexander Walke oder die in der Winterpause verpflichteten Skandinavier Gardar Johannsson, Helgi Danielsson und Andreas Dahlén nicht mehr zu finanzieren sein und den Verein verlassen. Denn der rund 12 Millionen Euro teure Lizenzbereich müsste radikal abgespeckt werden.
FINANZEN
Der aktuelle Etat von 15 Millionen Euro soll bei Klassenerhalt ohnehin auf geschätzte 13 Mio. Euro heruntergefahren werden. In der 3. Liga würde sich der Haushalt im Vergleich zu jetzt halbieren und auf nur noch rund 7,5 Millionen Euro eingedampft werden. Allein die Fernsehgelder schrumpfen dramatisch: von derzeit knapp 5 Mio. auf nur noch 800 000 Euro. Schwer zu stemmen für einen Verein, der zudem noch mit rund neun Millionen Euro in der Kreide steht. In der 3. Liga würde sich Hansa noch unter dem Etatniveau von Dynamo Dresden bewegen, das diese Saison mit rund 9 Mio. Euro plant. Zum Vergleich: Rot-Weiß Erfurt hat nur 4,5 Millionen Euro zur Verfügung.
SPONSOREN
Von ihnen wird aufgrund des Einbruchs der TV-Gelder in der 3. Liga mehr denn je das Wohl des Vereins abhängen. Immerhin ist mit dem Recyclingunternehmen „Veolia“ bereits der Trikotpartner für die kommenden zwei Jahre gebunden. Die Firma wird den Klub bei Zweitliga Verbleib mit geschätzten 800 000 Euro pro Saison unterstützen.
NACHWUCHS
Im erneuten Abstiegsfall bliebe auch der gut ausgebaute Amateur- und Nachwuchsbereich des Klubs nicht vom Rotstift verschont. Derzeit fließen jährlich 1,5 Millionen Euro in die Talentförderung. Die zweite Mannschaft würde wahrscheinlich aus derRegionalliga (4. Liga) in die Oberliga (5. Liga) zurückgezogen werden. Von den 22 Trainern im Nachwuchsbereich sind sechs fest angestellt. Diese Zahl könnte sich Hansa im Fall der Fälle wohl kaum noch leisten.
VEREINSFÜHRUNG
Ein Neuanfang steht bevor. Interims-Klubchef Jörg Hempel amtiert nur noch bis Saisonende, scheidet dann auch aus dem Vorstand aus. Ob sich der Verein in der 3. Liga noch einen vierköpfigen hauptamtlichen Vorstand leisten kann, ist fraglich. Zum Führungsgremium gehören derzeit auch noch René Rydlewicz (Manager), Juri Schlünz (Nachwuchs) und Dirk Grabow (Finanzen).
STADION/GESCHÄFTSSTELLE
60 Mitarbeiter sind in der Geschäftsstelle und über die Stadion-Gesellschaft für den Verein angestellt. Eine Reihe von Jobs sind in Gefahr. Denn bei einem Großteil sind die Arbeitsverträge an der Liga-Zugehörigkeit gekoppelt.
Noch sind die Würfel über Klassenerhalt oder Abstieg nicht gefallen. Doch ganz gleich, wo in der kommenden Saison der Ball rollt – dazu braucht der Verein erst einmal grünes Licht von der DFL. Noch in dieser Woche sollen die Vereine ihre Bescheide im Lizenzierungsverfahren erhalten – für die 2. und die 3. Liga.
von Kai Rehberg http://www.fc-hansa.de/index.php?id=132&oid=11872
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