ZUWANDERUNGSGESETZ Grün gegen alle Von Yassin Musharbash
Am Montag kommt es im Vermittlungsausschuss zum Showdown über das seit vier Jahren umstrittene Zuwanderungsgesetz. Ob ein Kompromiss zwischen Regierung und Opposition gelingt, ist offen. Für den Fall des Scheiterns fordern die Grünen bereits Einzelgesetze. Doch dagegen stemmt sich Innenminister Schily.
Berlin - Es könnte eine lange Nacht werden am Montag in der Saarländischen Landesvertretung in Berlin. Das Gastronomiepersonal wurde bereits informiert, dass das Sitzungsende offen ist. Die Servicekräfte werden "auf Stand-by bleiben", um den sieben Verhandlungsführern von Regierung und Opposition im "Raum Saarland" notfalls auch spät in der Nacht noch zur Verfügung zu stehen. Am Ende könnte ein historisches Ergebnis stehen: Der Abschluss eines mittlerweile fast vier Jahre währenden Kampfes um ein deutsches Zuwanderungsgesetz. Es könnte aber auch alles im Sande verlaufen. Ein Scheitern gilt, vor allem bei den Grünen, keineswegs als ausgeschlossen. Als "vollständig unakzeptabel" bezeichnete der Verhandlungsführer der kleineren Regierungspartei, Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck, noch Mitte der Woche die Position des saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller, der am Montag für die CDU in den Ring steigt. Die CDU versuche, so Beck, bereits bestehende rechtliche Regelungen als Fortschritt zu verkaufen. Allein die Grünen hätten es in der Hand, ob man sich einige, verlautet derweil aus der Union. Man selbst habe schon genügend Flexibilität gezeigt.
Hauptstreitpunkt ist die Arbeitsmigration
Konfliktträchtig zwischen Grünen und Schwarzen sind die rot-grünen Vorstellungen zur Arbeitsmigration: Zuwanderungswillige sollen demnach auch ohne vorherige Arbeitsplatzgarantie nach Deutschland kommen dürfen. Vorgesehen ist ein Punktesystem, wie es in anderen Einwanderungsländern bereits besteht. Potenzielle Arbeitsmigranten würden nach bestimmten Kriterien - zum Beispiel Alter, Ausbildung und Familienstand, einen Punktewert bekommen, über den die Migration geregelt werden könnte. Die Grünen erklärten die Arbeitsmigration frühzeitig zum "Kernstück" und "modernen, zukunftsweisenden Element" des Gesetzes. Auf keinen Fall wollen sie sich das von den Konservativen wieder nehmen lassen.
Die CDU lehnt solche Ideen angesichts der hohen Zahl von Arbeitslosen allerdings vehement ab. Sie will höchstens solche Arbeitsmigranten ins Land lassen, die bereits einen Vertrag in der Tasche haben. Dass eine Kommission der Union, ausgerechnet unter Vorsitz von Peter Müller, vor wenigen Jahren eine vergleichbare Lösung vorgeschlagen hatte, interessiert heute nicht mehr. Mittlerweile, drei Tage vor dem möglichen Showdown, verdichten sich die Anzeichen, dass zumindest die Punkteregelung in ihrer ursprünglichen Version wohl den Verhandlungen zum Opfer fallen wird. Konfliktstoff bleibt trotzdem reichlich: Das Ausmaß der Zuwanderung muss dann nämlich über ein Ende oder eine noch weitergehende Aushöhlung des seit 1973 offiziell geltenden Anwerbestopps geregelt werden. Der wiederum ist für die Union ein bedeutendes Symbol.
Drohungen von der grünen Basis
Auf anderen umstrittenen Gebieten ist eine Einigung zwischen Grünen und Union unterdessen wahrscheinlicher. Was die von Rot-Grün vorgeschlagenen Änderungen im humanitären Bereich - zum Beispiel beim Flüchtlingsschutz - angeht, zeichnet sich eine vorsichtige Verhandlungsbereitschaft bei der Union ab. Zumal, da vergleichbare Regelungen europäischer Standard sind. Auch bei den Maßnahmen zur Integration bereits in Deutschland lebender Migranten könnten sich Grüne und Union wohl verständigen. Die Verhandlungen am Montag stehen und fallen also höchst wahrscheinlich mit der Frage der Arbeitsmigration. Die Grünen stehen hier auch unter dem Druck ihrer Basis, die unbedingt ein Zuwanderungsgesetz möchte, das Einwanderung möglich macht - und keines, dass sie faktisch verhindern würde. Jedes Mal, wenn ein Spitzengrüner - zuletzt Parteichef Reinhard Bütikofer - ein Kompromisssignal in dieser Frage an die Gegenseite aussandte, wurde er von der Basis umgehend kritisiert. Drohungen, ein solchermaßen entkerntes Kompromissgesetz im Bundestag scheitern zu lassen, machten schnell die Runde.
Liebäugeln mit Einzelgesetzen
Eine Lösung "um jeden Preis" werde es aber auch nicht geben, erklärt immer wieder Verhandlungsführer Beck, der als einziger Grüner an dem Gespräch in der saarländischen Landesvertretung teilnehmen wird. Er will "lieber kein Gesetz als ein schlechtes". Sollte man sich nicht einigen können, gebe es ja schließlich auch noch die Möglichkeit, Einzelgesetze zu verabschieden. Für die bräuchte man die Zustimmung des Bundesrates und damit der Union nicht. "Spielend", erklärte Beck Mitte der Woche in Berlin, ließe sich etwa der Daueraufenthalt Hochqualifizierter auf diese Weise regeln. Wäre ein Scheitern der Verhandlungen also auch eine Chance? Der migrationspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Josef Winkler, betont zwar, dass man "schon am liebsten ein Gesetzespaket" hätte und auch "ernsthaft verhandeln" werde. Aber: "Als Regierung sind wir durchaus auch in der Lage, das anders zu regeln." Im Bundesvorstand der Grünen kursieren ähnliche Vorstellungen. Selbst Parteichef Bütikofer dachte am vergangenen Wochenende laut über Einzelgesetze nach.
Rot-grüne Verwerfungen
Doch die grüne Fantasie vom zustimmungsfreien Rettungsboot stößt beim Koalitionspartner SPD auf wenig Gegenliebe. Bütikofers Äußerung führte umgehend zu einer scharfen Reaktion aus dem Bundesinnenministerium: "Bedauerlich" seien die Äußerungen Bütikofers, ließ Innenminister Otto Schily (SPD) seinen Sprecher erklären. Ein rot-grüner Alleingang sei ausgeschlossen. Diese Auseinandersetzung am Rande wirft ein erhellendes Licht auf die koalitionsinternen Verwerfungen, die ebenfalls am Montag eine Rolle spielen dürften - und die Chancen auf eine Einigung nicht unbedingt erhöhen. Denn dass die Grünen sich kaum noch vom rot-grünen Entwurf fort und auf die Union zubewegen können, liegt auch daran, dass die SPD sie schon bis an den Rand des Vertretbaren gedrängt hat. So haben die Grünen hinnehmen müssen, dass auch Regelungen aufgenommen wurden, die sie als Verschlechterung empfinden - zum Beispiel die Möglichkeit, "Ausreisezentren" einzurichten. Für die Grünen, von denen ein nicht unerheblicher Teil vor Abschiebeeinrichtungen demonstriert hat, eine fette Kröte.
Hart an der Grenze zur Trickserei
Kein Grünen-Politiker hängt deshalb mit Herzblut am zur Diskussion stehenden Gesetzentwurf der Koalition. Innenminister Schily hingegen will auf gar keinen Fall Einzelgesetze, weil er lieber noch ein letztes großes, umfassendes Gesetz durchbringen möchte, das man auch ihm zuschreiben würde. Wenn es nach Schily allein ginge, hätte er sich möglicherweise schon lange über die Köpfe der Grünen hinweg mit der Union geeinigt. Doch noch gilt eine Koalitionsvereinbarung, den Kompromiss gemeinsam abzulehnen oder anzunehmen.
Was Wunder, dass in dieser vertrackten Situation die einzige Kompromisslinie, die sich bislang andeutet, hart an Trickserei grenzt: Man könnte doch, so heißt es unter maßgeblichen SPD-Abgeordneten, eine Regelung zur Arbeitsmigration schaffen, die den Grünen zusagt - und diese für die nächsten Jahre gleich wieder auf Eis legen. Die Grünen hätten sich in diesem Fall symbolisch durchgesetzt, die CDU faktisch. Und Otto Schily wäre auch zufrieden. So weit das Kalkül. Vielleicht aber ist das nichts als ein Wunschtraum der SPD. Kein Abgeordneter der Grünen oder der Union hat sich bisher öffentlich zu dieser Linie bekannt. Und so droht nach wie vor ein Scheitern der Gespräche am Montag. In dem Fall stehen viele weitere lange Nächte ins Haus, allerdings in viel größerem und unübersichtlicherem Kreis. Denn ein weiteres Treffen der Siebener-Runde - es handelt sich um eine Arbeitsgruppe einer Arbeitsgruppe des Vermittlungsausschusses - ist vorerst nicht vorgesehen.
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,289208,00.html
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