Junge Männer, die sich mit ihren Autos Wettrennen liefern und schwere Unfälle verursachen, sorgen seit einiger Zeit für Aufsehen. Im Kanton Zürich können Raser zusätzlich zu einer Strafe zu einem Trainingsprogramm verpflichtet werden. Die Kurse, die eine Verhaltensänderung bewirken sollen, sind derzeit voll ausgelastet. Autofahren bedeutet für sie die grosse Freiheit, und für ein schnelles Fortkommen riskieren sie Kopf und Kragen: Raser nehmen in Kauf, durch ihr Verhalten auf der Strasse sich und andere zu gefährden. In der jüngsten Vergangenheit ist es auch im Kanton Zürich zu einer Häufung von Raserunfällen mit Todesopfern und Schwerverletzten gekommen. Die Polizei und die Justiz versuchen, mit Kontrollen und Sanktionen präventiv zu wirken. Die Erfahrung zeigt, dass eine Strafe allein oft nicht genügt, um bei Rasern eine langfristige Besserung zu erreichen und einen Rückfall zu verhindern.
Vorwiegend junge, männliche Autofreaks Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich geht deshalb neue Wege: Vor vier Jahren hat die Dienststelle Bewährungs- und Vollzugsdienste ein «Trainingsprogramm für risikobereite Verkehrsteilnehmer» erarbeitet, das sich speziell an Raser richtet, die wegen einer groben Verkehrsregelverletzung verurteilt wurden. Die Raser werden zusätzlich zur ausgefällten Strafe verpflichtet, das Programm zu durchlaufen. Mit dieser Massnahme soll eine Verhaltensänderung erzielt und die Gefahr eines Rückfalls gemindert werden. Zuweisende Stellen sind die Bezirksanwaltschaften und die Gerichte im Kanton Zürich.
Kursleiter Kurt Keller und der Autor des Programms, Klaus Mayer, sind beide im Amt für Justizvollzug tätig. Ihre Klienten sind bis heute ausschliesslich männlich. Eine Frau wurde dem Trainingsprogramm bis anhin nicht zugewiesen. Im Durchschnitt sind die Teilnehmer 25 Jahre alt. Die Mehrzahl gehört der unteren Mittelschicht an. Auffallend ist laut Keller und Mayer, dass viele der Klienten im Autogewerbe tätig sind, als Lackierer, Händler oder Mechaniker zum Beispiel. Das Auto sei für die Mehrzahl von ihnen mehr als nur ein Hobby. Am Steuer fühlten sie sich frei und unabhängig. Bei manchen sei der Hang zum Schnellfahren mit einer Drogensucht vergleichbar. Bei einem kleinen Teil der Teilnehmer, rund zehn Prozent, handelt es sich um Herren im Alter zwischen 35 und 40 Jahren, die nicht dem Bild des klassischen Rasers entsprechen. Diese seien in der Regel beruflich recht erfolgreich und im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit häufig unterwegs. Bei ihnen stehe nicht das schnelle Auto als Statussymbol, sondern das rasche Fortkommen im Vordergrund.
Das Trainingsprogramm ist einmalig in der Schweiz. Aufgenommen werden Delinquenten, die eine Eignungsabklärung bestanden haben. Dabei wird geprüft, ob genügend Sprachkenntnisse und die Fähigkeit zum Reflektieren vorhanden sind. Die meisten Kursteilnehmer wurden erwischt, als sie zu schnell fuhren, den Sicherheitsabstand zum vorderen Fahrzeug nicht einhielten oder auf der Autobahn rechts überholten. Keller und Mayer berichten von einem Klienten, der mit 196 km/h auf der Autobahn geblitzt wurde und im Kurs beteuerte, er fahre in Zukunft «bloss» noch 150 km/h. Ein anderer vollführte auf der Autobahn einen Schikanestopp bis zum Stillstand, um einen anderen Verkehrsteilnehmer auszubremsen. Dabei hatte der Rowdy seine Frau und sein Kind mit im Auto.
Schuld sind immer die anderen Das Programm umfasst zehn Kursabende à zwei Stunden, die jeweils von einer Gruppe mit zehn Personen besucht werden. Derzeit werden sogar zwei Kurse parallel geführt. Ist ein Kurs zu Ende, finden nach drei, sechs und neun Monaten Einzelgespräche mit Nachbesprechungen statt. Im Programm setzen sich die Teilnehmer auf verschiedenen Ebenen mit sich und ihrem Verhalten auseinander. Sie sollen Mechanismen erkennen, die sie in bestimmten Situationen zum Rasen bewegen. Viele risikobereite Autofahrer machen laut Keller und Mayer alle anderen, aber nur nicht sich selber für ihr Verhalten verantwortlich. Sprüche wie «ich fühlte mich provoziert», «ein anderer Autofahrer hat mich herausgefordert», «diese Verkehrsregeln sind eine Zumutung» oder «ich fühle mich schon provoziert, wenn ich das 80er- Schild nur sehe» seien häufig zu hören.
Der Bedarf an dem Trainingsprogramm ist ausgewiesen; die Zahl der Zuweisungen übersteigt gegenwärtig die Platzzahl der angebotenen Kurse. Über den Erfolg des Trainingsprogramms lässt sich laut Keller und Mayer noch wenig aussagen. Das Programm werde zwar evaluiert, mit den Resultaten sei indes erst im Herbst 2005 zu rechnen. Der Autor und der Kursleiter schätzen, dass rund die Hälfte der Teilnehmer ihr Verhalten nachhaltig ändern. Grundsätzlich sind die beiden aber der Meinung, dass die Sanktionen gegen Raser und andere rücksichtslose Verkehrsteilnehmer noch viel weiter gehen sollten. Am schmerzhaftesten sei wohl nicht der Entzug des Führerausweises, sondern der Entzug des Autos.
Regierungsrat sieht keine neuen Massnahmen gegen Raser Es wird bereits getan, was möglich ist - so lautet die Antwort des Regierungsrats auf Forderungen aus dem Kantonsrat, den Kampf gegen die Autoraser zu verstärken. Konkret verlangt Stefan Dollenmeier (edu., Rüti) in einer Motion eine Aufstockung der Polizeikräfte. Bernhard Egg (sp., Elgg) fordert mit einem Postulat, bei Verkehrsdelikten vermehrt Fahrzeuge zu konfiszieren. Wie Regierungssprecherin Susanne Sorg am Freitag vor den Medien versicherte, nimmt die Kantonsregierung das Problem der Raser und die Befürchtungen in der Bevölkerung zwar sehr ernst. 13 der 54 tödlichen Unfälle des letzten Jahres seien auf Raserei zurückzuführen. Eine klare Zunahme der Raserei in letzter Zeit habe der Regierungsrat aber nicht feststellen können. Auch bei der Kantonspolizei habe die Bekämpfung der Raserei schon seit langem einen hohen Stellenwert. So hätten die Zürcher Polizeien kürzlich eine vielbeachtete Kampagne durchgeführt. Zudem würden im ganzen Kanton verstärkt Geschwindigkeitsmessungen und technische Kontrollen vorgenommen. Welche Bedeutung diesen Kontrollen beigemessen werde, ergebe sich aus der Zahl der Verzeigungen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, die sich von 205 000 im vorletzten Jahr auf 240 000 im letzten Jahr erhöht habe. Immer wichtiger werden laut Sorg die sogenannten Nachfahrmessungen. Zudem werde bei technischen Kontrollen ein besonderes Augenmerk auf «getunte» - aufgemotzte - Fahrzeuge gelegt, da Raserunfälle sich oft mit solchen Fahrzeugen ereignen. Der Personalbestand für diese Aufgaben ist bei der Kantonspolizei in den Augen des Regierungsrats ausreichend, dies obwohl der Sollbestand von 1727 Personen derzeit nicht ganz erfüllt ist. Zentral sei die jährliche Durchführung von Polizeischulen, um die Abgänge zu ersetzen.
Als administrative Massnahme gegen Raserei steht den Behörden auch das Mittel des vorsorglichen Führerausweisentzugs zur Verfügung, das allerdings nicht nur bei Rasern angewandt wird, sondern auch bei alkoholisierten Autofahrern und solchen, die aus anderen Gründen für das Lenken eines Motorfahrzeugs nicht geeignet sind. Letztes Jahr wurden insgesamt 778 Fahrausweise an Ort und Stelle entzogen. Für andere Massnahmen gegen Raser wie Lernprogramme für Personen, die zu einer bedingten Strafe verurteilt worden sind (siehe Artikel oben), und den Entzug des Fahrzeugs seien hingegen die Gerichte zuständig, erklärte Susanne Sorg. Der Regierungsrat habe darauf keinen Einfluss. Weitere Verbesserungen erwartet der Regierungsrat von Gesetzesänderungen, die nächstes Jahr in Kraft treten, wie etwa die Einführung des Führerausweises auf Probe oder die Erhöhung der Mindestentzugsdauer des Ausweises. Neue Massnahmen für den Kanton drängten sich zurzeit nicht auf, sagte Sorg.
Kontrolle getunter Autos In der Nacht auf Freitag hat die Kantonspolizei Zürich während zweier Stunden gezielte Kontrollen von jungen Autolenkern und getunten Autos durchgeführt. Getunte Autos sind technisch oder optisch veränderte Fahrzeuge. Die Veränderungen müssen vom Strassenverkehrsamt abgenommen werden. Neun Fahrzeuge wurden gemäss Angaben der Kantonspolizei im Rahmen der Kontrolle im Sihltal genau untersucht. Bei praktisch allen wurden technische Mängel festgestellt; fünf mussten dem Strassenverkehrsamt zur Nachprüfung gemeldet werden. Bei einem Auto war die Auspuffanlage dermassen laut, dass der Fahrzeugausweis entzogen wurde. Die Kontrollschilder wurden konfisziert. Die kontrollierten Automobilisten waren im Alter zwischen 18 und 30 Jahren.
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