Outsourcing und Jobverlagerung werden in Westeuropa immer wichtiger. In den kommenden Jahren will die Mehrheit der Unternehmen Produktion und Forschung in der Heimat deutlich senken. Das ermittelte jetzt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG unter 172 Unternehmen des Produzierenden Gewerbes. Fertigen die Befragten heute noch 48 Prozent ihrer Produkte auf dem Heimatmarkt, sollen es in drei Jahren nur noch 42 Prozent sein. Das steigende Tempo hat mehrere Ursachen. Während Unternehmen in der Vergangenheit nur einzelne Aufgaben an externe Dienstleister vergaben, entledigen sie sich heute immer öfter komplett der Personalabteilung und der Buchhaltung. Outsourcing-Dienstleister beschreiben diesen wachsenden Markt als Business Process Outsourcing (BPO).
Starkes Jahr für Megadeals
Gleichzeitig setzen viele Unternehmen wieder auf millionenschwere Outsourcing-Verträge, die Experten schon totgesagt hatten. Die WestLB unterschrieb Mitte Oktober einen 500-Mio.-$-Vertrag mit dem IT-Dienstleister Hewlett-Packard. Der wird Bürotechnik und Netzwerk der Bank übernehmen. "2004 wird ein starkes Jahr für Megadeals", sagt Peter Allen vom US-Beratungsunternehmen Technology Partners International. Bereits ein Drittel der Großverträge entfällt auf BPO-Projekte.
Die Länder, in die deutsche Arbeitsplätze abwandern, liegen immer öfter in der Nachbarschaft. Zu den aufstrebenden Regionen zählen neben China und Mexiko auch Polen und die Slowakei, ergab eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Im nahen EU-Ausland verzögert der Transport die Warenlieferung kaum. Gleichzeitig bleiben unterm Strich hohe Kostenvorteile. So zahlen Unternehmer selbst am mittlerweile teuersten osteuropäischen Standort, der Slowakei, in der Verarbeitenden Industrie nur 9 Euro pro Stunde. In Westdeutschland werden für dieselbe Arbeit mehr als 31 Euro fällig.
Angst vor Billiglohnkonkurrenz
Während die Outsourcing-Idee unter Managern immer populärer wird, fürchten Europäer, für weniger Geld mehr arbeiten zu müssen. Die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland stand bei einer Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts CSA im Herbst erstmals auf Platz eins der wirtschaftlichen Probleme. Premierminister Jean-Pierre Raffarin stellte jüngst 1 Mrd. Euro für den "Kampf gegen das Outsourcing" in Aussicht. Und Bernard Fillonneau von der französischen Metallgesellschaft sieht eine regelrechte Panik in der Bevölkerung.
Die Angst geht um vor Billiglohnkonkurrenz. Nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland wird die Jobverlagerung ins Ausland zunehmend zum Reizthema. Ursache für die Jobsorgen in den europäischen Wohlfahrtsstaaten: Längst fallen nicht mehr nur Industriearbeitsplätze dem so genannten Offshoring zum Opfer, sondern auch sicher geglaubte Stellen in Dienstleistungsberufen. Diese Entwicklung werde bald für erheblichen politischen Sprengstoff sorgen, prophezeit Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank: "Die Debatte wird mit der aktuellen Auseinandersetzung um die Verlagerung von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie vergleichbar sein", warnt der Ökonom. Walter sagt der IT-Branche in Deutschland Streiks voraus, wenn sie weiter Arbeitsplätze an billigere Standorte verlagert.
"Unpatriotischer Akt"
Bereits im Frühjahr war es zu einem öffentlichen Schlagabtausch gekommen, der die Brisanz des Themas zeigt. Ludwig Georg Braun, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), hatte in einem Zeitungsinterview gesagt: "Ich empfehle den Unternehmen, nicht auf eine bessere Politik zu warten, sondern jetzt selbst zu handeln und die Chancen zu nutzen, die zum Beispiel in der Osterweiterung liegen." Regierungspolitiker reagierten gereizt, interpretierten sie die Aussage doch geradezu als Aufforderung an deutsche Unternehmen, weitere Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter kanzelte den DIHK-Chef öffentlich als "vaterlandslos" ab. Bundeskanzler Gerhard Schröder legte nach, Brauns Aussagen seien ein "unpatriotischer Akt".
Konjunkturexperte Michael Grömling vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln sieht das Offshoring nüchterner. Er hält die zunehmende Verlagerung der Produktion nach Osteuropa für eine natürliche Folge der gewollten wirtschaftlichen Integration - mit durchaus positiven Folgen: "Am Ende profitieren beide Seiten", sagt der Volkswirt: "Die Verbraucher hier, weil sie günstiger einkaufen können. Und die Zielländer des Outsourcings durch steigenden Wohlstand. Womit dort wiederum neue Märkte für die Produkte entstehen, bei denen wir Kostenvorteile haben", erlklärt Grömling.
Prinzip der Arbeitsteilung
Letztlich verberge sich hinter Begriffen wie Jobverlagerung oder Outsourcing immer das Prinzip der Arbeitsteilung: "Unternehmen stehen ständig vor der Entscheidung, ob es sich eher lohnt, eine Leistung selbst zu produzieren oder sie einzukaufen", sagt Grömling. "Schwierigkeiten bereitet unser Wirtschaft nicht das Outsourcing, sondern der damit verbundene Strukturwandel."
Die öffentliche Debatte, die auf Deutschland zukommt, ist wie in Frankreich auch in den USA längst zum Wahlkampfthema geworden. Vor allem der demokratische Herausforderer John Kerry versucht, mit der Angst der Bürger vor dem Jobabbau im Inland zu punkten. Eine Umfrage des US-Magazins "Newsweek" belegte jüngst, dass die populistisch geführte Debatte das Wahlergebnis mit entscheiden könnte. Ganze 68 Prozent der Wähler werden sich von der Diskussion in ihrer Entscheidung beeinflussen lassen.