Warum ist Reichtum keine Sünde?
Von Ulrich van Suntum
Reiche Wohltäter: Warren Buffett und das Ehepaar Gates 01. August 2006 Wer reich ist, hat es schwer mit der Anerkennung in unserer Gesellschaft. Schon in der Bibel heißt es: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher das Himmelreich erlangt.“ Ehrliche Arbeit und ein bescheidener Lebenswandel, das sind schon immer die traditionellen Werte der christlichen Welt gewesen.
Eine Ausnahme machte hier nur der Calvinismus, der im irdischen Wohlstand ein Zeichen für das Wohlwollen Gottes sah. Dementsprechend versuchten die Anhänger dieser Lehre, durch Fleiß, Geschäftstüchtigkeit und Sparsamkeit die sogenannte „Gnadengewißheit“ zu erlangen. Nach Max Weber haben sie dadurch wesentlich zur Entstehung des Kapitalismus und zum ökonomischen Aufschwung des Abendlandes beigetragen. Wie entscheidend der Glaube dabei wirklich war, ist jedoch historisch umstritten. Schließlich hat es auch im erzkatholischen Florenz der Medici im 16. Jahrhundert ein blühendes Bank- und Kaufmannswesen gegeben. Klar ist aber, daß die christlichen Sympathien bis heute vor allem den Mühseligen und Beladenen gelten.
Reichensteuer wird kaum noch hinterfragt
Es kommt auch nicht von ungefähr, daß die Kirchen in ökonomischen Streitfragen oft an der Seite der Gewerkschaften und der Sozialpolitiker stehen. Wer möchte schon Anwalt der Privilegierten sein, als welche die „Besserverdienenden“ und „Vermögenden“ wie selbstverständlich bezeichnet werden? Einen Minderheitenschutz können sie für sich nicht reklamieren, auch wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen. Denn als gerecht gilt in unserer Gesellschaft meist das, was sozial ist. Und sozial ist es im Zweifel, wenn man den Reichen nimmt und den Armen gibt, und nicht etwa umgekehrt.
Derartige, tief verwurzelte Grundeinstellungen einer Gesellschaft haben durchaus konkrete ökonomische Folgen. Kaum noch hinterfragt wird etwa die progressive Einkommensteuer, die gerade erst durch die - in dankenswerter Klarheit so bezeichnete - Reichensteuer verschärft wurde. Dabei ist es eigentlich alles andere als selbstverständlich, daß man bei doppelt so hohem Einkommen weit mehr als das Doppelte an Steuern zahlen soll. Immerhin wird auf diese Weise mehr als die Hälfte des Aufkommens an Einkommensteuer von nur zehn Prozent der Steuerpflichtigen aufgebracht (siehe Grafik).
Reichtum als Beweis von Arbeit, Klugheit und Erfolg
Auch die Erbschaftsteuer wird immer mehr zu einer Sondersteuer auf große Privatvermögen. Kleine Erbschaften - und demnächst auch Unternehmen - sind von ihr kaum betroffen. Deswegen regt sich auch kaum jemand darüber auf, daß es sich im Grunde um eine Steuer auf bereits vorher voll versteuerte Einkommen handelt, deren künftige Erträge natürlich auch wieder - progressiv - besteuert werden. Es trifft ja nur die Reichen, die mit den „breiten Schultern“, die schließlich „auch ihren Beitrag leisten sollen“.
Diese abschätzige Attitüde gegenüber den Wohlhabenden hat es nicht immer gegeben, und es gibt sie in dieser Form auch heute nicht in allen Ländern. Im Merkantilismus, dem Zeitalter der Sonnenkönige, galt die Schaffung von Reichtum als gesellschaftlich erstrebenswert. Die Anhäufung und Verausgabung von Geld wurde als nützlich für die gesamte Wirtschaft angesehen. Selbst der zügelloseste Luxuskonsum hatte noch sein Gutes, spornte er doch den „faulen und liederlichen Pöbel“ dazu an, sich anzustrengen, um möglichst daran teilzuhaben. Eine vergleichsweise positive Sicht des Reichtums findet man heute noch in den angelsächsischen Ländern, namentlich in den Vereinigten Staaten. Anders als in Kontinentaleuropa zeigt man dort auch gerne, was man hat. Denn Reichtum gilt dort viel weniger als bei uns als unverdientes Privileg, sondern als Beweis von harter Arbeit, Klugheit und Erfolg.
Warren Buffett spendet Milliarden
Aus ökonomischer Sicht ist privater Reichtum unverzichtbar für den Wohlstand eines Landes. Schließlich stecken die Milliardenvermögen der Flicks, Mohns und Gettys zum allergrößten Teil in ihren Unternehmen, das heißt unmittelbar in den Arbeitsplätzen. Privat leben viele von ihnen vergleichsweise bescheiden, anders als manche Pop- und Fußballstars, denen wir ihren Wohlstand meist viel weniger neiden.
Am Ende eines erfolgreichen Kapitalistenlebens fließt das Geld zudem oft in gemeinnützige Stiftungen; so hat der erfolgreiche Spekulant Warren Buffett vor kurzem den Großteil seines Privatvermögens in Höhe von mehr als 30 Milliarden Dollar der Stiftung von Bill Gates geschenkt, die damit unter anderm gegen Hunger und Aids in Afrika kämpft (siehe auch: Buffett will 85 Prozent seines Vermögens spenden).
Zu wenig, nicht zu viel Reichtum
Selbst diejenigen Reichen, die privat im Luxus schwelgen, geben anteilmäßig von ihrem Einkommen in aller Regel viel weniger für den Konsum aus als die Masse der Bevölkerung, vom Staat ganz zu schweigen. Würde man sie enteignen, so wäre das Kapital daher sehr rasch verbraucht und mit ihm die Arbeitsplätze. Alle historischen Experimente in dieser Richtung wie etwa die jugoslawische Arbeiterselbstverwaltung haben das immer wieder bewiesen.
Die soziale Katastrophe während der industriellen Revolution wurde nicht wegen zu viel, sondern wegen zu geringem Reichtum in der Gesellschaft verursacht. Es fehlte, ähnlich wie heute in vielen Entwicklungsländern, einfach an genügend Kapital, um die rasch wachsende Bevölkerung mit Arbeitsplätzen zu versorgen. Nicht die Gewerkschaften, sondern der aufblühende Kapitalismus mit seinen riesigen Investitionen hat das Problem schließlich gelöst. Sicher entstanden dabei riesige Privatvermögen, auch Prunk und Protz waren oft dabei. Aber verglichen mit den ungeheuren Werten, die in dem Produktivkapital steckten, waren das nur Peanuts. Wer sich sein Hauspersonal nicht mehr leisten konnte, um dessen Firma und ihre Arbeitsplätze mußte es schon schlecht stehen.
Ein großer Teil des Vermögens ist „unsichtbar“
Auch der heutige Mittelständler lebt materiell sicher besser als seine Beschäftigten. Dafür hat er allerdings viel weniger Freizeit und meist jede Menge Sorgen. Während für die Mitarbeiter Freitagnachmittag das Privatleben anfängt, grübelt der Chef am Wochenende oft noch über Kalkulationen und Bilanzen. Wer so betrachtet wirklich reicher ist, läßt sich darum nicht einfach sagen. Zumal der materielle Wohlstand besteuert wird, die Freizeit aber nicht.
Im übrigen ist ein großer Teil des Vermögens heutzutage gleichsam „unsichtbar“. Es besteht nämlich gerade für den Normalbürger nicht zuletzt in seinen Ansprüchen an die Renten- und Krankenversicherung, die sich leicht auf sechsstellige Beträge addieren können. Zudem wird eine andere, ebenfalls oft übersehene Vermögensart immer wichtiger, nämlich die Ausbildung und das Wissen der Menschen. Dieses Humankapital ist im Zweifel viel wertvoller als etwa ein geerbtes Häuschen.
Egalitäre Wirtschaftsordnungen letztlich gescheitert
Die moralische Beurteilung des Reichtums hängt nicht zuletzt auch davon ab, was man mit seinem Wohlstand anfängt. So haben es jedenfalls ethisch sensible Ökonomen wie etwa John Stuart Mill gesehen. Es ist darum auch kein Zufall, daß in den Ländern mit niedriger Einkommensteuer das private Mäzenatentum meist hoch im Kurs steht. Auch die katholische Kirche war den Reichen gegenüber meist deutlich milder gestimmt, wenn diese reichlich spendeten. Denn auf diese Weise konnte selbst der Kaufmann nicht nur sündlos, sondern sogar gottgefällig handeln.
Die Vorstellung, man müsse nur das Geld der Wohlhabenden anders verteilen, damit es allen bessergeht, ist dagegen überaus naiv. Eher ist das Gegenteil der Fall: Nur wo privates Vermögen gebildet werden kann, entstehen in der Regel Wirtschaftswachstum und Wohlstand auch für die Masse.
Alle egalitären Wirtschaftsordnungen sind dagegen letztlich gescheitert, und zwar sowohl ökonomisch als auch moralisch. Die Menschen haben in ihnen weder mehr Wohlstand noch mehr Gerechtigkeit gefunden, sondern letztlich nur neue Herren, die sie unterdrückt und die sich auf ihre Kosten bereichert haben. Man sollte deshalb vorsichtig sein, gedankenlos den Reichtum als ein Schandmal des Kapitalismus anzuprangern. Im übrigen gehören nicht nur Völlerei und Geiz zu den sieben Todsünden, sondern auch der Neid.
Ulrich van Suntum lehrt Volkswirtschaft an der Universität Münster.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.07.2006, Nr. 30 / Seite 44 Bildmaterial: F.A.Z., picture-alliance/ dpa
|