............so kann das mit dem Papier ja auch nichts werden......... Datenskandal Schurkenstück beim Wettriesen „bwin“
Wirtschaft und Finanzen, 22.09.2011, Klaus Brandt
Essen. WAZ-Recherchen enthüllen Datenskandal: Zehntausende von Kundenadressen zum Kauf angeboten
Der Sportwettenanbieter „bwin“ ist die größte Online-Zockerrunde in Europa. Mit bis zu 30 000 Wetten täglich in 90 Sportarten die Nummer eins der Branche. Das „bwin“-Logo ziert die blütenweißen Trikots von Real Madrid. Doch der deutsche „bwin“-Ableger ist nach WAZ-Recherchen in einen Datenskandal verwickelt.
Zehntausende Kundenadressen werden in der Lotto- und Glücksspielszene frei zum Kauf angeboten. Das belegen Unterlagen, die der WAZ vorliegen. Sie enthüllen einen skrupellosen Handel mit geschützten Daten. Gesetze interessieren nicht. Nur Geld zählt.
„Der große Wettveranstalter bwin verkaufte seine Original-Bestellbriefe“: In einem Schreiben an Lottoläden im Ruhrgebiet bot der Adresshändler Hermes Direkt im April die Daten von „bwin“-Kunden an. Zehntausende seien vorrätig, hieß es. Die Mietpreise reichten von 170 Euro für 1000 Postmailings bis zu 700 Euro für Aktionen mit den aktuellen Telefonnummern der „bwin“-Gemeinde. „4 bis 4,5 Millionen Adressen“
Die Leute, deren Daten verhökert wurden, ahnten nichts. Das zeigen WAZ-Recherchen beim Adresshändler Hermes Direkt. Dessen Ableger in der Schweiz bietet nicht nur die Adressen von „4 bis 4,5 Millionen Leuten“ an, „die über Callcenter Geld für Glücksspiele ausgegeben haben“. Auch die Telefonnummern seien zu haben, versichert der Händler am Telefon – alles ohne gesetzlich vorgeschriebene Zustimmung der Betroffenen: „Wir haben bei diesen Callcentern keine Informationen über ein opt-in, ein Einverständnis mit Telefonmarketing. Die Callcenter behaupten zwar immer `Ja, das hat der gesagt`, aber wir können es nicht beweisen – und die Callcenter können es genauso wenig beweisen.“ Einverständnis „nicht realistisch“
Dass das Angebot illegal ist, ist egal. Klar sei, „dass es vom Callcenter her keine Adressen gibt mit opt-in“. Es heiße zwar immer, eine Einverständniserklärung liege vor, „wir wissen aber, dass das nicht realistisch ist.“ Fast wie ein Trost folgt der Hinweis: „Die Adressen mit einem opt-in sind über den Daumen dreißig Prozent teurer als die ohne opt-in.“ Und: „Die Kauffreudigen sind nicht unbedingt die, die das opt-in gegeben haben.“ Datenschützer alarmiert
„Unglaublich“, sagt Bettina Gayk, Sprecherin des NRW-Datenschutzbeauftragten. „Das ist kalkulierter Rechtsbruch.“ Adressen mit Telefonnummern ohne Einverständnis für Werbezwecke weiterzugeben, sei „definitiv unzulässig“. Dass Adresshändler „wider besseren Wissens“ dennoch entsprechende Bestäti- gungen geben, sei zunehmend „gängige Praxis“. Das Datenschutzgesetz stoße oft ins Leere. Der Nachweis, dass Händler vom fehlenden Einverständnis wussten, falle schwer. Oft sei das entscheidende Glied in der Kette plötzlich nicht mehr existent. „Das ist dann meist ausgerechnet der Betreiber des Callcenters, das die vermeintliche Zustimmung eingeholt hat.“ „bwin“ sieht sich als Opfer
Der Sportwettenriese „bwin“ stellt sich als Opfer dar. Durch ein Schurkenstück seien die eigenen Kundendaten in fremde Hände gelangt. Der Schurke wäre in diesem Fall Jürgen Wolff, Geschäftsführer der Hermes Direkt GmbH in Troisdorf. Der habe mehrfach bei „bwin“ nach „echt gelaufenen Briefumschlägen und Postkarten“ gefragt, sagt ein Sprecher. Wolffs Begründung: Man sammle Briefmarken. Ein „bwin“-Mitarbeiter habe ein Herz für Philatelisten, so seien die Kuverts mit den Adressen von Briefwettern bei Hermes gelandet. „Die Zahl der Umschläge ist nicht dokumentiert“, sagt „bwin“. In Unterlagen, die der WAZ vorliegen, ist die Rede von 110 000 Adressen, die „bwin“-Spielern gehören und heute frei zum Verkauf angeboten werden. Eine lukrative Zielgruppe: „begeisterte Wettfreunde“, „zu neunzig Prozent männlich und meist älter“, darunter viele „Mehrfachteilnehmer“. Händler: „Ware rechtmäßig erworben“
„bwin“ sagt, das Unternehmen habe die Herausgabe der Daten verlangt – vergeblich. Im Internet versichert bwin, alle Kundendaten würden „ausschließlich von der Gesellschaft erfasst“ und „bestmöglich“ geschützt. Im wahren Leben „bedauert bwin diesen Vorgang“, behauptet aber, E-Mailadressen und Telefonnummern seien „keinesfalls“ unter den abgegebenen Daten. Wolff habe sich die Adressen „unter Vorspiegelung falscher Tatsachen erschlichen“ und wolle nun „die widerrechtlich erlangten Daten zu Geld machen“. Doch der vermeintlich böse Wolff nimmt sich nichts von alledem an. „Wir möchten uns für Ware, die wir rechtmäßig vom Eigentümer selbst erworben haben, nicht nachträglich diskriminieren lassen, zumal der Lieferant selbst die vor Monaten angekündigten zivilrechtlichen Schritte bis heute wohlweislich nicht beschritten hat“, sagt er. Waschkörbeweise Briefumschläge
Wolff steckt nicht nur hinter Hermes Direkt, sondern auch hinter Firmen wie Euro-Promotion, Sammeln und Service, Solarzukunft und Adressfit. Alle befinden oder befanden sich in der Flughafenstraße 61 in Troisdorf. Von dort aus wird verkauft, vermietet und vermittelt: Adressen, Telefonnummern, Kredite, Castings, Nebenjobs, Monteurwohnungen, Immobilien und mehr. Datenschützerin Gayk kennt die Marken-Masche. Vor Jahren besuchte sie Wolffs Revier und stolperte über „waschkörbeweise Briefumschläge“. Auf Nachfrage habe es geheißen: „Nein, hier findet kein Adresshandel statt. Wir sammeln Briefmarken.“
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