Redakteure und Reporter würden bei Kriegen "schon fast instinktmäßig" eine patriotische Haltung an den Tag legen und den offiziellen Sprechern die Informationen förmlich aus der Hand fressen, statt die Mitteilungen zu hinterfragen. "Die Medien bemühen sich in Krisensituationen stets, Militäraktionen zu rechtfertigen und übernehmen kritiklos das Narrativ der Regierung oder der Offiziere," sagt Be'er. So sei es auch dieses Mal in Gaza gewesen.
Jeder Zweite will keinen Waffenstillstand
Ruhe, es wird geschossen: Mit diesem Befehl rechtfertigen Israelis das Schweigen während des Kriegs. Doch den Bürgern steht auch danach der Sinn nicht nach kritischen Fragen. Nachdem eine erdrückende Mehrheit den dreiwöchigen Krieg gegen die Hamas im Gaza-Streifen ohne Wenn und Aber unterstützt hat, sind jetzt viele enttäuscht, dass die Regierung einen einseitigen Waffenstillstand verkündet hat. Es sei dazu viel zu früh, meint derzeit jeder zweite Israeli.
Über die Hälfte der Bürger glaubt laut einer Umfrage nämlich nicht daran, dass im Süden Israels Ruhe einkehren werde: Das Ziel des Kriegs sei noch nicht erreicht, die Hamas immer noch gefährlich. Sie würden deshalb wohl bald wieder nach Gaza zurückkehren müssen, "um die Arbeit zu beenden", sagen Soldaten vor laufenden Kameras, während sie Waffen und Munition abgeben.
"Yedioth Achronot", die einflussreichste Zeitung im Lande, hat während des Krieges immer wieder mit großen Lettern einer Ausdehnung der Militäraktion das Wort geredet, und gleichzeitig das Leiden der Palästinenser auf die hinteren Seiten verdrängt – so also ob letzteres irrelevant wäre. Israelische Medien haben das Geschehen in Gaza durchweg anders gewichtet als westliche Zeitungen und TV-Sender. Über den Beschuss der UNRWA-Schule erfuhren die Leser von Yedioth Achronot zum Beispiel erst auf Seite sieben. In europäischen und amerikanischen Medien wurde darüber hingegen ganz prominent berichtet.
"Alle sind wieder einmal gegen uns"
Während die Welt jetzt Israel anklagt und mit Prozessen wegen Kriegsverbrechen droht, blicken Israelis entsetzt auf das sich anbahnende juristischen Kesseltreiben gegen ihre Minister und Offiziere. "Alle sind wie gewohnt wieder einmal gegen uns", sagen sich viele – und verstehen nicht, was man von ihnen will. 82 Prozent der israelischen Bürger meinen in Umfragen, Israel habe in Gaza nicht unverhältnismäßig viel Gewalt eingesetzt. Sie begreifen deshalb nicht, dass die Bilder und Berichte, die aus Gaza kommen, weltweit Empathie mit den Palästinensern und Empörung über Israel auslösen können.
Statt darüber zu reflektieren, ob sich die Zahl der 1300 Toten moralisch rechtfertigen lasse, fordern sie die Freilassung von Gilad Shalit, des Soldaten, der im Sommer 2006 von Terroristen nach Gaza entführt wurde und seither verschollen ist. "Der Kampf ist nicht zu Ende, bevor Gilad wieder zu Hause ist", sagen Offiziere, die soeben aus Gaza zurückgekehrt sind.
Die Gleichgültigkeit gegenüber den Palästinensern sei das Resultat eines langen Prozesses, sagt Blatiansky, der früher Sprecher von Ehud Barak war. Man habe viele verwerfliche gesellschaftliche Phänomene toleriert – so zum Beispiel auf dem Fußballplatz rassistische Schlachtrufe wie "Tod den Arabern".
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Pierre Heumann ist Nahost-Korrespondent der Schweizer "Weltwoche"