Valneva-Chef: "Die Impfstoffe sind alle suboptimal" Konzernchef Thomas Lingelbach über Impfmüdigkeit, falsche Erwartungen über die Wirksamkeit und warum das eigene Covid-Vakzin viel zu spät auf den Markt gekommen ist
von Anita Staudacher
27.11.2022, 17:00
TEILEN Der österreichisch-französische Biotechkonzern Valneva muss mangels Nachfrage nach seinem Covid-Impfstoff die Produktion wieder einstampfen und Personal abbauen. Konzernchef Thomas Lingelbach erläutert im KURIER-Interview, wie es dazu kam, warum er nach wie vor an den Totimpfstoff glaubt und warum er sich eine Produktion in Österreich vorstellen kann.
KURIER: Ist die Pandemie schon vorbei? Thomas Lingelbach: Auch wenn Politiker sie schon für beendet erklärt haben und sie ihren Schrecken etwas verloren hat, ist sie aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht immer noch da. Das Virus zirkuliert nach wie vor und es besteht die Gefahr von gefährlichen Varianten.
Es gibt eine große Impfmüdigkeit. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Da gibt es sicherlich viele. Die Menschen waren gewohnt, dass sie sich nach einer Impfung nicht mehr infizieren. Aber die Covid-Impfung schützt nicht vor einer Infektion, sondern zumindest vor einem schweren Verlauf. Die Impfstoffe sind alle in irgendeiner Form suboptimal, sie halten nicht lange, müssen aufgefrischt werden. Da gibt es natürlich große Skepsis und Unsicherheit in der Bevölkerung. Dazu kommt, dass jetzt andere Dinge wieder in den Vordergrund rücken.
© Bild: REUTERS/LISI NIESNER Wurden falsche Versprechungen bezüglich der Impfstoffe gemacht?
Man hatte am Anfang keine Erfahrungswerte mit SARS-COV-2. Stand der Wissenschaft war, dass eine Infektion auch vor einer Infektion schützt. Wir haben erst mit der Zeit gelernt, dass es nicht so ist. Man darf nicht vergessen, dass die Impfstoffentwicklung im Normalfall zehn Jahre dauert. Es war für alle ein Learning by Doing.
Haben Sie damit gerechnet, dass ein völlig neuer mRNA-Impfstoff als erster in der EU zugelassen wird und damit das Rennen macht?
Nein. Die bis dahin vorliegenden Daten bezüglich der mRNA-Technologie als Impfstoff waren wenig überzeugend. Daher gab es eine initiale Skepsis. Es war ein großes Glück, dass diese Technologie für Covid geliefert hat. Wie sie sich in Zukunft für andere Impfstoffindikationen bewähren wird, wird man sehen. Ein weiterer Meilenstein werden die mRNA-Studien bei Influenza sein.
DAS BIOTECH-UNTERNEHMEN VALNEVA
Impfstoff-Spezialist Das auf Impfstoff-Entwicklung spezialisierte Wiener Biotech-Unternehmen Intercell wurde 2013 mit der französischen Vivalis zu Valneva fusioniert und notiert seither an der Börse Paris. Valneva beschäftigt 750 Mitarbeiter in 6 Ländern, davon 250 in Wien. Produziert wird in Schottland und Schweden.
Verluste In den ersten neun Monaten hat Valneva die Erlöse von 69,8 auf 249,9 Mio.Euro mehr als verdreifacht. Unter dem Strich reduzierte sich der Verlust auf 99,1 Millionen Euro nach einem Minus von 227,6 Millionen Euro.
Thomas Lingelbach Der gebürtige Deutsche war bereits Intercell-CEO und ist seit 2013 Vorstandsvorsitzender von Valneva.
Impfstoff-Pipeline Schwerpunkt sind Impfstoffe gegen Reisekrankheiten wie Cholera oder jap. Enzephalitis. Einer gegen das Chikungunya-Virus wurde zur Zulassung in den USA eingereicht.
Warum hat Valneva nicht auf die mRNA, sondern auf die konventionelle Impfstoff-Technologie gesetzt?
Wir hatten keine Expertise im Bereich mRNA. Als kleines Unternehmen konnten wir das Risiko einer neuen Covid-Impfstoffentwicklung nicht eingehen. Die britische Regierung hat uns dann für die inaktivierte Ganzvirustechnologie (auch „Totimpfstoff“ genannt, Anm.) ausgesucht, weil wir in Schottland schon Produktionsanlagen für inaktivierte Virusimpfstoffe haben. Es gab ja schon den ersten inaktivierten Ganzvirsuimpfstoff aus China und wir wollten das Design des chinesischen Impfstoffes deutlich verbessern und modifizieren.
Valneva kam mit seinem Impfstoff dann aber viel zu spät auf den Markt...
Ja, das muss man ganz klar so sagen.
Der "Totimpfstoff" von Valneva © Bild: APA/AFP/JUSTIN TALLIS Als kleines Unternehmen konnten wir das Risiko einer neuen Covid-Impfstoffentwicklung nicht eingehen.
Thomas Lingelbach Was waren die Gründe für die Verzögerungen?
Erstens dauert es einfach länger mit dieser Technologie, weil wir ja anfangs mit einem Lebendvirus arbeiten und es dafür hohe biologische Sicherheitsanforderungen an Betriebsstätten gibt und wir diese zunächst entsprechend umbauen mussten. Im Unterschied zu China hatten wir auch keine entsprechenden Labors und Produktionsstätten, die dafür schon ausgerüstet waren. Zweitens verlangte unser Finanzierungspartner Großbritannien, dass wir die wesentlichen Studien in England machen und auch dort alle staatlichen Einrichtungen nutzen. Die Priorität verlagerte sich dort aber auf die Vektorimpfstoffe, die ja schon früher in die Zulassung kamen. Die britische Regierung ist dann ausgestiegen, weil sie schon genug Dosen hatte. Dann haben wir viel Zeit verloren, bis wir mit der EU einen Vertrag geschlossen haben. Und letztlich hat dann der EMA Zulassungsprozess viel länger gedauert als gedacht.
Ist das Covid-Impfstoff-Match jetzt gelaufen, oder ist mit neuen, besseren Impfstoffen zu rechnen, die den Markt aufmischen werden?
Die am Markt befindlichen Impfstoffe werden verbessert, aber wirklich Revolutionäres sehe ich da nicht. Wir als Valneva haben nicht mehr die Ressourcen, weiter in Covid zu investieren, deshalb haben wir die Produktion und mögliche Weiterentwicklungen unseres eigenen Impfstoffes eingestellt. Ich würde den Impfstoff aber nicht komplett abschreiben, weil er eine gute T-Zellantwort generiert. Das könnte sich noch als Vorteil gegenüber anderen Impfstoffen herausstellen. Es könnte also eine Renaissance unserer Technologie geben.
Sie haben noch 10 Millionen Impfstoff-Dosen auf Lager. Was passiert damit?
Sie sind relativ lange haltbar, im Moment 18 Monate., geplant sind mindestens 24 Monate. Wir versuchen Zulassungen in Asien und Mittleren Osten zu bekommen, um den Impfstoff dort zu verkaufen. Wenn die Covid-Impfstoffe dann irgendwann auch frei verkäuflich werden, könnte er in ganz Europa erhältlich sein.
© Bild: REUTERS/LISI NIESNER Es könnte eine Renaissance unserer Impfstoff-Technologie geben
Thomas LIngelbach War das Covid-Abenteuer in Summe ein Verlustgeschäft?
Gute Frage. Im Moment können wir das noch gar nicht sagen, weil noch nicht alle Studien abgeschlossen sind. Wir sitzen noch auf Inventar. Gelingt es nicht, es zu verkaufen, würden wir sicher mit einem Verlust aussteigen. Im Verhältnis zu den Gesamtkosten ist es aber ein nicht großer Prozentsatz. Ein Großteil der Covid-Kosten wurden von der britischen Regierung und der EU-Kommission getragen.
Sie bauen 20 bis 25 Prozent der Belegschaft ab. Wissen Sie schon, wie viele Mitarbeiter es in Wien trifft?
Wir sind im Restrukturierungsprozess mit Sozialplan, daher kann ich keine konkreten Zahlen nennen. Wir haben in Wien über die Covid-Zeit mehr als 100 Leute zusätzlich eingestellt. Davon werden wir uns von einigen wieder trennen müssen. Aber wir werden nach wie vor mehr Personal haben als vor Corona.
WIRTSCHAFT
Valneva bleibt in Österreich nach Personalabbau größer als vor Covid Wirkt sich der Sparkurs auf andere Bereiche aus?
Nein, da sparen wir nicht. Wir haben ja zwei weitere Impfstoffprogramme, etwa den zur Zulassung in den USA eingereichten Impfstoff gegen das Chikungunya-Virus oder jenen gegen Borreliose, den wir gemeinsam mit Pfizer entwickeln, in einer Phase-3-Studie.
Valneva forscht und entwickelt in Wien. Können Sie sich auch eine Produktion in Österreich vorstellen?
Ja, durchaus. Wien ist nach wie vor unser operatives Headquarter, F&E-Zentrum und Qualitätssicherungsstandort. Hier werden alle unsere Produkte getestet und freigegeben. Wir werden daher je nach Fortschritt unserer Produkte am Standort weiter ausbauen. Sollten wir neue Produktionsstätten planen, kommt Österreich definitiv in die engere Wahl. Die Biopharmazie hat eindeutig an Stellenwert gewonnen und es gibt gut ausgebildetes Personal hier.
Deutschland hat Biontech bei der Impfstoff-Entwicklung massiv gefördert. Hätten Sie sich mehr Unterstützung von der österreichischen Regierung erwartet?
Ja, natürlich hätten wir auf eine stärkere Zusammenarbeit wie in Deutschland gehofft. Österreich hat uns dann später aber durch eine proportional höhere Impfstoff-Bestellung unterstützt.
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