Ich denke nicht (und nach den Prognosen, die mir zur Verfügung stehen, auch kein Wirtschaftswissenschaftler), dass die EU in 2015 in eine Rezession schlittern wird. Die Prognosen gehen vielmehr von einem Wachstum für die Gesamtwirtschaft zwischen 0.5% und 1.6% aus.
Das heißt sicher nicht, dass alle Teilwirtschaften in der EU damit positives Wirtschaftswachstum aufweisen dürften. Insbesondere teile ich deine, Aledebarans, Einschätzung, dass gerade Frankreich weit hinterherhinkt, was Reformen angeht. Italien ist derzeit ganz schwer einzuschätzen (und könnte in der Tat zu noch geringerem Wachstum führen, vor allem wenn die aktuelle Regierung destabilisiert werden sollte). Spanien würde, so es politisch stabil bleibt, nach derzeitigen Prognosen ein recht solides Wirtschaftswachstum einfahren und die Niederlande und Deutschland sowieso. Insgesamt sehe ich das Wirtschaftswachstum somit weit weniger pessimistisch.
Ich denke, dass hier die meisten zustimmen werden, dass man ein im kleinen erfolgreiches Wirtschaftsmodell (sei es die Schweiz oder auch Deutschland) nicht 1:1 auf größere Gebilde übertragen kann. Simple Skalierungen führen meist in eine Sackgasse. Daraus kann man zwei unterschiedliche Folgerungen ableiten:
1. Der Euro kann nicht funktionieren.
2. Die Wirtschaft im Euroraum kann nur anders funktionieren, als in den jeweiligen separaten nationalen Wirtschaften.
Ich neige zur zweiten Meinung.
Kleine (zumeist, aber nicht ausschließlich) nationale Wirtschaften haben den Vorteil größerer Flexibilität (was man durchaus an der Schweiz sieht und was vor allem in Krisenzeiten hilfreich ist), aber den Nachteil einer weit größeren Abhängigkeit von größeren Wirtschaften. Insbesondere wird der Schweizer Franken nie eine Weltleitwährung werden können (ob man das wollen würde, steht auf einem anderen Blatt). Aber genau das Verhältnis dieser Großwährungen zueinander liefert einen (den wichtigsten?) Baustein für die Währungsschwankungen zueinander - hinzu kommt meiner Meinung nach noch ein Beitrag durch Spekulationen, die ohne wirtschaftlichen Hintergrund Kurse bewegen. Historisch lässt sich jedoch klar ableiten, dass ein einmaliges wirtschaftliches Erfolgsmodell fix wieder out sein kann, insbesondere wenn nicht genug Geld für Innovationen bereit gestellt werden kann. Dies könnte man, wenn man diesem Ansatz folgt, als wichtigstes Argument gegen die soziale Marktwirtschaft und für liberalere Marktwirtschaft sehen, weil in letzteren mehr Geld für Innovationen aufgewendet werden kann (mehr dazu weiter unten). Gleichzeitig sagt dies aber auch aus, dass auf Dauer kleinere Volkswirtschaften eigentlich nur zwei Möglichkeiten haben: wachse oder werde einverleibt. Im Falle der schweizer Wirtschaft ist das gesamtwirtschaftliche Potential (unabhängig davon, wie wirtschaftlich die einzelnen Betriebe selbst sind) begrenzt, einfach weil der inländische Markt verhältnismäßig klein ist. Ich denke, dass die Schweiz daher gut beraten wäre, sich langfristig enger an den Euro-Raum zu binden und dass die Schweiz insbesondere kein Interesse daran haben kann, dass der Euro auseinanderbricht.
Ich denke auch nicht, dass der Euro eine Totgeburt ist. Es braucht zweifellos mehr als eine Generation, bis stark inhomogene Wirtschaftsräume zusammenwachsen. Aber das ist nicht grundsätzlich unmöglich, wie die USA und China zeigen. Allerdings haben auch diese eine Weile gebraucht. Die USA hat mit Ihrer Währung erst in den 20iger des letzten Jahrhunderts gezündet (nachdem die vormalige Leitwährungsnation, England, durch Probleme in den Kolonien und dem 1. WK wirtschaftlich ziemlich abgebaut hat). Vorher hat England Frankreich beerbt (da noch eher im europäischen Kontext), vor allem durch den Aufbau des Kolonialsystems und einem unglaublichen Innovationsschub in der Mitte des 19. Jh. Und so kann man sich von Nation zu Nation zurückhangeln über Frankreich, England/Holland/Frankreich, Spanien/Habsburg bis hin zu Persien, dem römischen Reich, Ägypten oder Mesopotamien (oder in Asien das alte China, oder in Südamerika die Maya)...
Was ich damit meine: im Euro ist ein wirtschaftlich großer Raum zusammengefasst. Genau wie die Nord- und Südstaaten, wird auch der Euro viele Jahre brauchen, bis er sich in den Köpfen und in der Wirtschaft fix verankert hat. Man denke nur daran, dass es selbst heute noch große Unterschiede zwischen den ehemaligen Nord- und Südstaaten in den USA gibt.
Historisch neu dürfte sein, dass gleichzeitig drei recht unterschiedliche und doch irgendwo vergleichbare Systeme (da letztlich alle eine Marktwirtschaft betreiben) miteinander in Konkurrenz stehen: die USA, China und Europa. Die USA stehen für das, was man am ehesten mit dem Schlagwort "freie Marktwirtschaft" beschreiben könnte, China meiner Meinung nach für eine freie Marktwirtschaft, wobei der Einfluss einer nicht weiter hinterfragten politischen Partei (der KPC) legislativ verankert ist und das System in Europa kann man wohl am ehesten als "soziale Marktwirtschaft" beschreiben. Ich sehe im Moment das Pendel zu keiner dieser drei Wirtschaftsformen ausschlagen, vor allem weil diese in der derzeitigen Ausprägung alle drei relativ jung sind (USA: ca. 35Jahre, China: dito, Europa einerseits jünger wenn man nur den Euro anschaut, andererseits mit etwas älteren Erfahrungen auf Seiten der Einzelstaaten - ich würde meinen ca. 45 Jahre).
Historisch gesehen glaube ich, dass die freie Marktwirtschaft kein stabiles System darstellt, da es auf eine Monopolisierung der Wirtschaft, nicht selten mit polarisierenden Auswirkungen auf die Politik hinausläuft (siehe die Entwicklung vieler europäischer Staaten Anfang des 20. Jh, in den 30iger Jahren des 20. Jh - hier war die USA teilweise ausgenommen, wegen der Rooseveltschen Reformpolitik der sozialen Marktwirtschaft oder aber einigen Entwicklungen in den USA seit knapp 15 Jahren, teilweise schon seit knapp 35 Jahren). Das ist der Hauptgrund, warum ich persönlich zu dem in Boomzeiten weniger attraktiven, aber in Krisenzeiten stabileren System der sozialen Marktwirtschaft neige.
Aber selbst wenn man sich diesen Rahmen steckt, kann man immer noch fleißig diskutieren, ab wie vielen Sozialleistungen das System an sich wieder unsozial wird (ein zuviel ist wie die Beispiele des ehemaligen Ostblocks klar zeigen, nicht unbedingt wirtschaftsfördernd und auch nicht unbedingt hilfreich für den sozialen Frieden :o)
Zusammenfassend: ich sehe derzeit keine Rezession für den Euro-Raum (und damit auch keine Gefahr eines Überschwappens in die Schweiz). Ich denke, bevor man den Euro totredet, sollte man ihm erst einmal die Zeit geben, sich zu entwickeln. Und ich sehe gespannt den Zeiten entgegen, in denen sich zwischen den USA, Europa und China entscheidet, welcher politisch/wirtschaftliche Weg die nächsten 50 Jahre bestimmen wird.
Dass die wirtschaftliche Entwicklung allein jedoch nicht bestimmt, wie eine Währung dasteht, sieht man schön an China, das ja seine Währung auch künstlich schwach gehalten hat um Wirtschaftswachstum (aber mit hoher Inflation) zu generieren - ich halte diesen expansiven Weg für überhaupt nicht zeitgemäß!
Ich denke insgesamt, dass der Euro vor allem durch die Politik der EZB, weniger durch das zu erwartende Wirtschaftswachstum geschwächt wird. Ob dich die SNB hinreißen lässt, dagegen zu halten, ist meiner Meinung nach offen. Insgesamt sehe ich nicht, dass sich die Schweiz der Wirtschaftsentwicklung im Euroraum wird entziehen können und daher denke ich, dass der Euro mittelfristig wieder gegenüber dem Franken stark aufwerten wird. Dabei erwarte ich insgesamt ziemliche heftige jedoch kurzzeitige Kursausschläge (eher nach unten, als nach oben). Auf Sicht des nächsten Jahres erwarte ich nicht, dass der Euro-Frankenkurs wesentlich unter 1.04 fällt, aber auch schwerlich über 1.08 ansteigt. Wenn, dann werden diese Ausschläge nach meiner Einschätzung eher kurzfristig (also auf Wochenskale) sein.
Viele Grüße
P.S. Kann mit jemand sagen, wie ich meinen Namen hier im Forum ändern kann? Hier laufen mir zu viele stksat rum :o)
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