Ähnliche Lage wie aus Frankfurt geschildert, nämlich ein aktuell sehr moderates Infektionsgeschehen und mangels aktueller Nachfrage Rückbau von Covidbetten. Was sagt der Funktionsoberarzt aus der Isolierstation dazu (echt lesenswert) ?
Wie passt es zusammen, dass es mehr Infizierte, aber weniger schwere Verläufe gibt? Der Arzt Cihan Çelik über die Lage auf der Covid-19-Isolierstation in Darmstadt, Risikofaktoren für junge Menschen und neue Behandlungsmethoden:
Wie passt die entspannte Lage auf Ihrer Station zu den steigenden Infektionszahlen in Hessen?
Ich berichte hier von einer einzelnen Isolierstation in einer milde betroffenen Stadt. Das Patientenaufkommen korreliert nicht immer direkt mit der landesweiten Inzidenz. Die Lage auf unserer Station kann sich entspannen, obwohl parallel die Infektionszahlen landesweit ansteigen. Umgekehrt könnte es aber trotz sinkender Infektionszahlen eine chaotische Situation auf unserer Station geben – ein lokaler Ausbruch in einem Pflegeheim kann reichen.
Es gibt es aber auch anteilig weniger schwere Covid-19-Verläufe als am Anfang der Pandemie. Woran liegt das?
Darüber wundere ich mich überhaupt nicht. Entscheidend ist nicht nur die Inzidenz, sondern auch das Durchschnittsalter der Infizierten. Aktuell liegt der Schnitt bei 32 Jahren. Zu Beginn der Pandemie lag er bei 52 Jahren. Das Alter ist ganz entscheidend dafür, ob die Symptome so schwer werden, dass eine Behandlung im Krankenhaus notwendig wird. Wir können die gefährdeten Gruppen offenbar gut schützen, darüber bin ich sehr froh. Das sehe ich als Erfolg der gesellschaftlichen Maßnahmen und der allgemeinen Anstrengung an.
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/...freich-sein-16970818.html
Einzelne Virologen und Politiker fordern, bei den Hygienemaßnahmen weniger auf die Infektionszahlen als auf die Auslastung der Krankenhäuser zu achten. Was halten Sie davon?
Zum Glück muss ich darüber nicht entscheiden. Wenn die Patienten in Massen bei uns landen würden, wäre aber vorher schon sehr viel schief gelaufen. Das Ziel sollte sein, dass es so wenig schwere Verläufe wie möglich gibt. Ich habe die Befürchtung, dass ein zu langes Warten bei der Verhängung der Maßnahmen dazu führen kann, dass wir dem Geschehen nur noch hinterherlaufen. Wenn wir darauf warten, dass die Krankenhausaufnahmen richtig ansteigen, dann könnten wir im Herbst sehr schnell in eine Situation kommen, in der wir nicht mehr handlungsfähig sind, weil die Krankenhausbetten voll und die Intensivkapazitäten erschöpft sind. Wir sind bisher sehr gut mit der Strategie gefahren, früh zu reagieren. Meiner Meinung nach sollten wir daran festhalten.
Wer wird mit Remdesivir behandelt?
Das ist ein antivirales Medikament, es ist also ganz entscheidend, dass es früh genug gegeben wird – innerhalb der ersten zehn Tage nach Symptombeginn. Es behindert die virale Replikation, also die Virus-Vermehrung. In einem späteren Status von Covid-19, in der eher die überschießende Entzündung das Problem ist, bringt Remdesivir gar nichts mehr. Außerdem hat sich gezeigt, dass es bei Multiorganversagen oder schwerer Niereninsuffizienz eher nachteilig ist.
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/...ich-sein-16970818-p2.html
Haben Sie privat mit Corona-Leugnern oder -skeptikern zu tun?
Davon sind die wenigsten von uns verschont geblieben. Man muss sich immer wieder damit auseinandersetzen. Bei Anhängern von radikalen Verschwörungsmythen, die zum Beispiel daran glauben, dass es dieses Virus gar nicht gibt, gibt es keine Grundlage für eine Diskussion. Das würde ja bedeuten, dass ich mir das alles ausdenke und jeden Tag gar nicht zur Arbeit gehe. Aber wenn es um Details geht, führe ich gerne Gespräche. Mir ist sehr daran gelegen, auch dem größten Skeptiker ganz sachlich und objektiv zu erklären, was der Unterschied zwischen der Influenza-Grippe und Covid-19 ist.
Nämlich?
Wenn man sich den Steckbrief der Covid-19-Erkrankung anschaut, die Gesamtletalität und die schweren Verläufe, bei denen sehr viel häufiger eine Beatmung notwendig wird, kommt man nicht auf die Idee, diese Krankheiten gleichzusetzen. Auch wenn es natürlich Parallelen gibt. Die Influenza ist übrigens keine leichte Erkrankung, wer das schon mal erlebt hat, wird das nachempfinden können. Gegen die Influenza gibt es aber eine Impfung und eine Grundimmunität in der Bevölkerung. Ich betreue in der Grippesaison schwer betroffene Patienten und jetzt seit ein paar Monaten Covid-19-Patienten – die Dynamik ist eine völlig andere.
Inwiefern?
Manche Covid-Patienten müssen innerhalb von kürzester Zeit plötzlich beatmet werden, es kann jüngere Patienten sehr hart treffen, und auch die blanken Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Es lohnt sich immer ein Blick ins Ausland. Wenn man sich nur auf Deutschland konzentriert, wo Covid-19 früh und gut bekämpft wurde, kann man in die Verlegenheit kommen, dass man mit den reinen Zahlen nicht argumentieren kann. Aber ein Blick nach Amerika zeigt ganz deutlich, wie viel ansteckender, gefährlicher und tödlicher Sars-CoV-2 ist.
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/...ich-sein-16970818-p2.html ----------- relativism is vulgar materialism, thought disturbs the business
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