Ein solcher Absturz aus der Mediengunst ist selten: Gestern war er noch unser «Joschka» Fischer Superstar - nun schreibt selbst die linksalternative «TAZ»: «Fischers Visum läuft ab.» Die hilflosen Versuche der Berliner Regierung und der sie tragenden Parteien, die öffentliche Kritik am deutschen Aussenminister zu einer Medienkampagne einschlägig verdächtiger Finsterlinge zu erklären, die jetzt erneut den «populärsten deutschen Politiker» stürzen wollen, gehen ins Leere. Anders als 2001, als Fischers Vergangenheit als «Strassenkämpfer» zur Diskussion stand, der mit ein paar Komplizen einen Polizisten zusammengeschlagen haben soll, machen heute nicht nur die konservativen Blätter fast täglich mit neuen Nachrichten über die Visa- Affäre auf, sondern alle Medien.
Sehr sachlich und mit der Liebe zum Detail kann man sich unterrichten, wie Indolenz, Unfähigkeit und leichtfertiges, vielleicht ideologisch imprägniertes Wegsehen zu reichlich unerfreulichen Verhältnissen bei der Einreise von Osteuropäern nach Deutschland geführt haben. Welches Gewicht die verschiedenen Elemente dieser Mischung haben und wie deshalb das Gesamturteil auszufallen hat, darüber wird jetzt und in der nächsten Zeit noch gestritten. Klar ist nur, dass hier jemand seinen Job schlecht gemacht hat.
Genau das steht im Vordergrund der Berichterstattung. Angesichts der assoziationsstarken Zutaten zu dieser «Story» ist es erstaunlich, wie zurückhaltend selbst Boulevardmedien hier skandalisieren. Die von interessierter Seite ausgestreute Insinuation, die scharfe Medienschelte sei Rache der Schreibknechte für die vielen Demütigungen, die der allzu selbstsichere Minister ihnen früher zugefügt habe, mag für die Affektlage mancher Journalistenseele zutreffen, findet aber keinen Beleg in Form und Inhalt der Berichte. Sonst könnten die ohnehin nur zaghaften Versuche einzelner Oppositionspolitiker, erneut einen Kulturkampf gegen 1968 und die Folgen zu inszenieren, nicht so folgenlos bleiben.
So zeigt insgesamt der Medienspiegel der Fischer-Affäre bisher vor allem, dass Presse, Radio und Fernsehen heute ihre Wächterfunktion geradezu mustergültig wahrnehmen. Die ideologischen Lager haben unter Journalisten offenkundig ihre Bindekraft verloren, so dass die professionelle Rolle des kritischen Beobachters in bemerkenswerter Unabhängigkeit übernommen werden kann.
Überraschend ist allerdings die Rolle des «Spiegels». Das Nachrichtenmagazin, das nach dem kolportierten Spruch seines Gründungsherausgebers ein «im Zweifel linkes Blatt» sein soll, gebärdet sich in der Causa Fischer so, wie man es früher von der Springer-Presse erwartet hätte: Nicht nur hat man der Affäre in den wenigen Wochen schon zwei Titelgeschichten gewidmet. In dieser Woche rührt das Blatt alle Reizthemen der Geschichte zusammen: «Wie Huren, Dealer und Schwarzarbeiter mit Reiseschutzpässen nach Deutschland kamen».
Wer es nicht schon bei der «Spiegel»-Berichterstattung über die Massenimmigration und über ökologische Fragen gemerkt hat, dem muss spätestens jetzt klar geworden sein: Bürgerlich konservative Leser haben eigentlich keinen Grund mehr, Stefan Austs «Spiegel» zu verschmähen, sie werden dort gut bedient.
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