DIE ZEIT, 15.01.2009 Nr. 04 [http://www.zeit.de/2009/04/Konsum]
Konjunktur Verkannte Wesen Von Gunhild Lütge
Trotz düsterer Prognosen ließen sich viele Konsumenten ihre Kauflust bisher nicht nehmen. Das könnte so bleiben – wenn Ölpreis und Arbeitslosigkeit nicht wieder deutlich steigen Sind die Deutschen verrückt geworden? Da prognostizieren Wirtschaftsexperten die schlimmste Krise seit Langem. Da schnürt die Regierung ein Rettungspaket nach dem anderen – und die Bundesbürger gehen shoppen. Das Weihnachtsgeschäft lief bereits besser als erwartet. Und auch für 2009 sind viele Händler zuversichtlich – trotz rabenschwarzer Prognosen von Chefvolkswirten und Konjunkturexperten in Banken und Forschungsinstituten. Nur zwei Dinge könnten den Konsum bremsen: wieder steigende Ölpreise und eine deutlich wachsende Arbeitslosigkeit.
Hubertus Pellengahr ärgert vor allem eines: die »ständig neuen Horrormeldungen« über einen kommenden Absturz der Verbraucherausgaben. Die seien die größte Gefahr für den Konsum, sagt der Geschäftsführer des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels. Die Ansicht teilt Steffen Jobst, Chef des Textilverbandes: »Die Konsumlaune ist besser als die Stimmung. Darum dürfen wir sie nicht so schlechtreden.«Während ein Untergangsszenario das nächste jage, habe die Konjunkturdelle die Kassenzone der eigenen Märkte bislang nicht erreicht, versichert Markus Mosa, Vorstandsvorsitzender der Edeka AG: »Wir starten mit Zuversicht und Augenmaß ins neue Jahr.« Konkurrent Alain Caparros, Chef von Rewe, gibt sich ebenfalls optimistisch: »Die Konsumnachfrage im Lebensmittelbereich wird hoch bleiben, sich aber weiter in Richtung Discount verlagern.« Auch Stefan Herzberg, Arcandor-Vorstand und zuständig für das Warenhausgeschäft, klingt nicht gerade verzweifelt: »Wir planen natürlich vorsichtig, aber ich sehe derzeit noch keine signifikante Eintrübung.« Deutschlands Modehändler sind mit einem überraschenden Umsatzsprung von 18 Prozent ins neue Jahr gestartet.
Das vergangene Jahr verlief allerdings nicht so gut wie erhofft. Zwar liegen endgültige Zahlen noch nicht vor, aber erste Schätzungen des Statistischen Bundesamtes ergeben, dass der Umsatz der Einzelhändler – im günstigsten Fall – stagnierte. Weil es trotz der Finanzmarktkrise 2008 nicht noch schlimmer kam, sind aber viele erleichtert. Und auch für 2009 »ist eine Konsumflaute längst nicht ausgemacht«, sagt Verbandsmanager Pellengahr.
Die Unsicherheit hat ihren Grund. Konsumenten sind verkannte Wesen. Selbst den Handel überraschen sie immer wieder. Mal kaufen sie, wie im Dezember, obwohl in fast jeder Zeitung steht, dass schlechte Zeiten drohen. Mal geizen sie, wie in den Monaten zuvor, obwohl der Presse zu entnehmen ist, wie gut sich die Beschäftigung entwickelt. Das aber zeigt vor allem eines: Offensichtlich lassen sich die Verbraucher weniger durch düstere Prognosen als durch einen Blick auf ihr Konto leiten. Viele Marktauguren irrten, als sie für 2008 mehr privaten Konsum prognostizierten. Sie glaubten, mehr Beschäftigung und Lohnzuwächse würden die Menschen zum Kaufen animieren. Schließlich aber explodierten die Öl- und Rohstoffpreise. Das machte auch Lebensmittel teurer. Die Inflation fraß die Gehaltszuwächse auf. Offensichtlich übersahen die Forscher zudem, dass der Aufschwung bei vielen gar nicht ankam. Immer mehr Menschen müssen ihr Arbeitseinkommen mit Sozialleistungen aufbessern, weil sie gering beschäftigt, schlecht bezahlt oder Alleinverdiener sind. Das Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen beziffert die Zahl dieser sogenannten Aufstocker im Juli 2008 auf 1,35 Millionen. Einen Inflationsausgleich gab es für Empfänger von Arbeitslosengeld II nicht.
Der Handel konkurriert mit jeder Tankstelle
Dass das Weihnachtsgeschäft nicht zum Desaster wurde, liegt vor allem an der Entwicklung der Preise von Öl und Benzin. Der Handel steht im Wettbewerb mit jeder Tankstelle. Was dort in die Kassen fließt, ist für Schuhhändler, Baumärkte und Warenhäuser verloren. »Ich denke, dass die Finanzkrise bei den Konsumenten nicht die große Rolle spielen wird, die manche befürchten«, sagt Matthias Händle, Vorsitzender der Geschäftsführung beim Schuhfilialisten Reno: Die günstige Entwicklung der Ölpreise sei für die Verbraucher viel wichtiger.
Fabienne Riefer, Konjunkturexpertin bei der Postbank, hat ausgerechnet, dass die Haushalte in der vergangenen Weihnachtssaison deutlich über eine Milliarde weniger für Öl und Benzin ausgeben mussten. Verharrten die Benzin- und Dieselpreise auf aktuellem Niveau, würden die Aufwendungen im laufenden Jahr um rund neun Milliarden geringer ausfallen als im Jahr zuvor, so die Forscherin.
Zusätzlich erwarten viele Bundesbürger noch eine Überweisung vom Finanzamt. Etwa 7,5 Milliarden Euro bringen jene Steuererstattungen ein, die sich aus dem Urteil des Verfassungsgerichts zur Pendlerpauschale ergeben. Alles in allem könne der private Konsum in Deutschland damit »zu einem stabilisierenden Faktor in der Konjunkturentwicklung werden«, so Riefer. Und das trotz verschlechterter Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.
Allerdings: Den Ölpreis fürs laufende Jahr zu prognostizieren traut sich so recht niemand. Denn es ist nach wie vor umstritten, warum Öl im vergangenen Jahr innerhalb weniger Monate auf 150 Dollar pro Fass anstieg, um dann auf 40 Dollar abzusacken. Mussten für einen Liter Benzin im Juli um die 1,50 Euro gezahlt werden, meldete die Münchner Abendzeitung am 30. Dezember auf der Titelseite: »Sprit für 98 Cent«.
Ebenso unsicher wie Benzinpreisprognosen sind Vorhersagen über die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Zwar meldete der Chef der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, Frank-Jürgen Weise, jüngst einen Anstieg der Arbeitslosenzahl im Dezember um 114.000 gegenüber dem Vormonat und wachsende Kurzarbeit. Aber die Frage, wie viele Jobs die Finanzmarktkrise am Ende tatsächlich fordern wird, ist noch offen.
Schwarzmalerei scheint populärer als Optimismus Aus der Industrie kommen derweil unterschiedliche Signale. Sorgen bereiten vor allem einige Autobauer und ihre Zulieferbetriebe. Außerdem gingen im November – neuere Zahlen gibt es noch nicht – Export, Produktion und Auftragslage in weiteren Branchen zurück. Allerdings warnen die Maschinenbauer, eine der größten Branchen Deutschlands, vor »Panik«. Die Bauindustrie fürchtet zwar, dass ihr kurzer Aufschwung beendet sein könnte. Massenentlassungen wie früher stünden aber nicht bevor, heißt es im Bauhauptverband. Die Branche rechnet mit mehr Aufträgen der öffentlichen Hand.
Selbst die bereits von Absatzeinbrüchen gebeutelte Stahlindustrie glaubt, »mittelfristig auf Wachstumskurs« bleiben zu können, so Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Die große Hoffnung ist, von den Konjunkturprogrammen anderer Länder und deren Plänen zum Infrastrukturaufbau zu profitieren. Auch im überwiegenden Teil der Familienunternehmen gehe man davon aus, »die Krise in den Griff zu bekommen«, sagte Patrick Adenauer, Präsident des Verbandes der Familienunternehmer, im Deutschlandfunk. Man habe genug Eigenkapital gebildet, um eine längere Durststrecke überstehen zu können.
Doch Schwarzmalerei scheint populärer zu sein als Optimismus. Warum das so ist, erklärt Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts: »Pessimisten gelten als kritische Mahner.« Wenn das Jahr dann besser ausfiele, nähme niemand die schlechten Prognosen übel, da sich alle nur noch über die positive Entwicklung freuten. Inzwischen aber sei die Konjunkturforschung unter Druck geraten. »Wir haben alle versagt«, räumt Straubhaar ein.
Allerdings braucht die Politik verlässliche Prognosen. Denn wie viel die deutschen Verbraucher konsumieren, ist nicht nur für den Handel entscheidend. Weil der Anteil des privaten Konsums am Bruttoinlandsprodukt fast 60 Prozent beträgt, hängt die gesamte Konjunktur davon ab. Vor allem dann, wenn – wie in jüngster Zeit – die Ausfuhren schrumpfen und ein weltweiter Abschwung droht. Eine Exportnation wie Deutschland trifft das ganz besonders hart – es sei denn, die Nachfrage im Inland steigt und kann den Ausfall kompensieren. Genau darauf hofft die Bundesregierung. Zu Beginn der Woche einigten sich die Spitzen der Koalition auf ein zweites Konjunkturpaket.
Damit den Deutschen die Kauflust nicht vergeht, können sie schon bald mit staatlicher Stütze rechnen. Lange stritten die Parteien, auf welche Weise sie den Geldsegen konkret verteilen sollten – und vor allem, an wen: Eher an Einkommensschwache über direkte Zuwendungen oder an die Mittelschicht, deren Steuerlast sinken könnte? Herausgekommen ist ein Mix von Maßnahmen, der noch den Bundesrat passieren muss.
Stimmen die Bundesländer zu, wird es einmalig einen Bonus von 100 Euro für jedes Kind geben. Einkommensstarke Familien werden davon genauso profitieren wie einkommensschwache. Außerdem sind Steuersenkungen geplant. Allerdings wird die Hälfte aller Haushalte gar nichts davon haben, weil deren Einkommen so niedrig sind, dass sie keine Steuern zahlen müssen. Dafür entlastet die Senkung der Beiträge an die Krankenversicherung zumindest auch die Rentner.
Alles in allem aber kommen Menschen, bei denen eine finanzielle Unterstützung am ehesten kaufkraftwirksam würde, eher schlecht weg. Das Konjunkturpaket brächte den Armen nur Almosen, kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband.
Ganz unten dürfte sich der Konsum damit also eher verhalten entwickeln. Aber auch ganz oben sind Veränderungen bemerkbar – selbst hier prägt der Blick aufs Konto neuerdings das Kaufverhalten. Der Handel bekam das bereits zu spüren: »Bei Geschenken jenseits von 10.000 Euro wurde es dünn«, sagt Hubertus Pellengahr. Das hinterließ auch bei einigen Herstellern längst Spuren. Die Aktien von Konzernen wie LVMH (mit den Marken Moët & Chandon, Louis Vuitton, Fendi oder Dior) sind empfindlich eingebrochen
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