12.04.2002
D I E M A L I K - K O L U M N E
Aus Japans Fehlern lernen
Von Fredmund Malik
Das einstige Musterland der Manager versinkt in einem deflationären Morast. Schuld daran ist der Verlust eherner Tugenden und wirtschaftlicher Grundprinzipien.
Vor zwölf Jahren, am letzten Handelstag des Jahres 1989, begann das Ende des japanischen Wirtschaftswunders. Das war zunächst nicht ohne weiteres erkennbar. Die Meldungen zur Lage hätten nicht besser sein können: Man glaubte, am Beginn einer neuen Ära zu stehen; der allgemeinen Auffassung zufolge waren sowohl die Inflation besiegt als auch der Konjunkturzyklus. Meine Skepsis zu Japan und seinem Wunder ist in einem Buch des Jahres 1990 publiziert; die meisten der heutigen Kritiker haben damals als Consultants das Loblied japanischen Managements gesungen - und viele Manager haben andächtig gelauscht.
Von Japan kann und sollte man in mehrfacher Hinsicht lernen:
erstens, wie man von Null zu einer wirtschaftlichen Weltmacht wird;
zweitens, wie man das alles wieder kaputt machen kann, in dem man eherne, wenn auch langweilige Prinzipien des Wirtschaftens aufgibt und sie dem modischen Glamour der Finanzwelt opfert;
drittens, wie wenig man noch tun kann, wenn man so gewirtschaftet hat
und viertens, dass man nicht auf Gurus, New Paradigm-Apostel und Wunderrezeptverkäufer hören darf. Japan spielt ein Deflationsszenario fast lehrbuchhaft vor - die Entstehung der Deflationsursachen ebenso wie die Abwicklung einer Deflation.
Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit
In der ersten Phase entstanden die soliden, weil aus harter Arbeit und robusten Strategien resultierenden, realwirtschaftlichen Nachkriegserfolge, die Japan zur erst ignorierten, dann belächelten und zuletzt gefürchteten Weltmarktkonkurrenz machten. Die Ursachen des Erfolges waren einfach und leicht erkennbar, außer für jene, die vor lauter fernöstlicher Infantil-Mystik die wirtschaftlichen Tatsachen nicht sehen konnten:
lange Arbeitszeiten,
kompromisslose Kundenorientierung,
Maximierung der Marktstellung,
hohe Ersparnisse für produktive Investitionen und niedrige Zinsen.
Anders hätten die Japaner aus dem Debakel der totalen Kriegszerstörung gar nicht herauskommen können.
In der zweiten Phase wurde die Realwirtschaft zuerst ergänzt und dann verdrängt durch die Geldwirtschaft. Mittel wurden zu Zwecken - Kredit um des Kredites willen; Akquisition um der Akquisition willen; Sparen nicht für Investition, sondern für Spekulation.
Dazu kamen außerwirtschaftliche Zwecke: Größen, Werte, Summen - immer alles im Superlativ - für die Ego-Trips imperialistischer Manager und Politiker. Immer bestaunt, heroisiert, mystifiziert und als vorbildlich dargestellt durch eine wachsende Zahl serviler, westlicher Hofberichterstatter, abgesegnet durch wallfahrende Manager aus dem Westen - und endend in der zweitgrößten Casino-Wirtschaft der Geschichte.
Bewertungsexzesse, Hyperspekulation in Aktien, Immobilien, Kunst und was man sonst noch traden kann, scheinbar endlose Bull-Markets - in Wahrheit war alles nichts anderes als eine auf dem Kopf stehende Pyramide fauler Kredite, die unvermeidbar selbst die beste Realwirtschaft in den Strudel der Deflation reißt.
Zwölf Jahre Deflation
Der Anfang vom Ende und die dritte Phase begann - ohne Vorwarnung, unspektakulär, scheinbar ohne Ursache und daher völlig unbemerkt und bis heute nicht richtig interpretiert - am 30. Dezember 1989 bei einem Nikkei-Stand von rund 39.000 Punkten, die selbstredend nur als Vorstufe für Nikkei 40.000, 60.000 und 100.000 angesehen wurden. Die Börsenkapitalisierung Tokios war größer als die in London und New York.
Wahrheit war es der Beginn der Talfahrt. Was danach kam, wurde interpretiert als "milde Korrekturen ..., "gesunde Verschnaufpausen ...", "die letzten günstigen Kaufgelegenheiten ...", "ein Markt für langfristig denkende Investoren ...", "retirer pour mieux sauter ...", "sit and wait ...".
Wie lange kann man sitzen und warten, wenn man bei Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 30, 50 und 70 zwar gekauft ("it`s a new economy" ), aber nicht bezahlt ("it`s a new paradigm" ), sondern per Kredit finanziert hatte ?
Heute ist die japanische Wirtschaft noch immer in größten Schwierigkeiten und versinkt, egal welchen Maßstab man nimmt, in einem deflationären Morast. Der Staat hat schon bisher - das ist japanische Tradition - getan, was er konnte, und das war nicht wenig. Damit konnte zwar bisher ein Kollaps verhindert werden, die Probleme wurden aber nicht gelöst.
Inzwischen werden die Gelder der staatlichen Pensionsversicherung eingesetzt, um die Finanzinstitutionen zu retten. Noch vor wenigen Jahren fanden sich unter den zehn weltgrößten Banken acht japanische; heute sind es noch zwei, und ob sie überleben werden ist fraglich, denn sie haben vor allem faule Kredite in ihren Bilanzen.
Nikkei bei 4000?
Die stillen Reserven, für welche die Japaner weltberühmt waren und mit denen sie nach gängiger Meinung allem Unbill trotzen konnten, sind weitgehend aufgebraucht. Sobald die momentane Erholung der Börse zu Ende geht, werden sie vollständig aufgezehrt.
Die letzten Reserven der Japaner sind ihre über Jahre aufgestockten Bestände an US-Staatspapieren. Sie sind die Schneewechten über den Lawinenhängen der US-Treasury-Märkte.
Japan hat noch weitere und in manchen Gebieten überhaupt erstmals Maßnahmen zu ergreifen, bis man vom Einsetzen einer nachhaltigen Gesundung ausgehen kann. Bevor der Nikkei auf einen Stand von 4000 oder 5000 Punkten gesunken ist, dürfte die Sache kaum ausgestanden sein.
Und was tun heute eigentlich die Autoren der Erfolgsbücher über japanisches Managen und Wirtschaften? Sie schreiben Erfolgsbücher über amerikanisches Managen und Wirtschaften. Genauso falsch, aber man liest sie und glaubt ihnen, genauso naiv.
Von Japan lernen heißt Siegen lernen..... ;-) Machen wir es, oder spielen Anerika und Europa die Szenarien nach?
|