FTD
Kolumne: Vier Gründe für Hartz IV Von Christian Schütte
Eine heikle Rede, die der Kanzler vielleicht einmal halten wollte, aber dann irgendwie vergaß.
Die Hinweise verdichten sich, dass am Kommunikationsgau der Regierung in Sachen Hartz IV nur die übereifrigen Reinigungskräfte schuld sind: Spaziergänger haben am Berliner Spreebogen einen Abfallsack mit entsorgten Papieren aus dem Kanzleramt gefunden, die der FTD exklusiv vorliegen. Wir können leider nicht alles ausbreiten, was in dieser Tüte steckte, aber eines dürfen wir der Öffentlichkeit nicht vorenthalten: den Rohentwurf einer Rede, die bislang nirgendwo gehalten wurde.
Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge des Manuskripts, auch wenn dessen Echtheit alles andere als erwiesen ist. Hier die ehrliche Begründung von Hartz IV, die Gerhard Schröder vielleicht einmal geben wollte - aber aus bislang ungeklärter Ursache nie gegeben hat:
Dateiname 4MalHartz4.2004.doc
"Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
es ist wahr: Wir haben uns auf den Weg gemacht, Anfang 2005 die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen. Wir werden Langzeitarbeitslose nur noch im Fall von nachgewiesener Bedürftigkeit unterstützen. Und wir werden von ihnen verlangen, dass sie jede legale Arbeit annehmen, die ihnen angeboten wird. Es wird Grenzen des Zumutbaren geben, aber die werden sehr viel strenger sein als bisher.
Das ist, auf den Punkt gebracht, die Reform, die Sie unter dem Namen Hartz IV kennen.
Viele von Ihnen fragen sich nun: Warum machen die das? Warum knapsen die denen etwas ab, die doch wirklich nicht viel haben?
Ich könnte dazu großspurig sagen: Das hat damit zu tun, dass wir heute in einer globalisierten Welt leben. Dass es deshalb auch bei uns keine Tabus mehr geben darf. Und dass es auch überhaupt keine Alternative mehr gibt.
Sie würden das, meine Damen und Herren, aber ziemlich oberflächlich finden. Mit Recht.
Ehrlich gesagt: Wir können lange darüber streiten, warum unsere Arbeitslosigkeit so hoch ist. Ich selbst weiß die Patentlösung jedenfalls nicht. Eine Zeit lang habe ich gedacht, ich könnte das Problem aus der Welt schaffen, indem ich Wirtschaft und Gewerkschaften zu mir einlade und ein ,Bündnis für Arbeit‘ vermittle. Das hat leider nicht geklappt. Inzwischen ist die Lage so dramatisch, dass ich beschlossen habe, für den Rest meiner Amtszeit dem Rat einiger Ökonomen zu folgen. Ich hoffe, dass es wirkt.
Hier, meine Damen und Herren, sind unsere vier wirklichen Gründe für Hartz IV:
Erstens, natürlich: das Geld. Wir wollen künftig mehr investieren und die Defizite senken. Dazu sparen wir jetzt bei Sozialausgaben.
Ehrlich gesagt sind diese Einsparungen aber nicht das Wichtigste. Sparen könnten wir auch anderswo, bei Subventionen etwa. Wir könnten auch auf Steuersenkungen verzichten, um die Kasse zu füllen. Wir machen Hartz IV nicht, um den Haushalt zu sanieren. Wir wollen den Arbeitsmarkt umkrempeln! Dafür geben wir sogar viel neues Geld aus.
Der zweite Grund für Hartz IV ist schon wichtiger: Wir wollen erzwingen, dass Arbeitslose jede, ich betone: jede Suchanstrengung unternehmen, um schnell einen Job zu finden. Um sie dabei zu fördern, rüsten wir die Arbeitsvermittlung stark auf. Je kürzer Menschen arbeitslos sind, desto besser.
Viele sagen mir, dass die Arbeitslosen sich doch schon heute bemühen. Und dass es keine Jobs gibt. Das stimmt, zumindest in den allermeisten Fällen. Aber wir machen Hartz IV, weil wir glauben, dass es eben doch noch andere Fälle gibt: Arbeitslose, die erst einmal durchschnaufen oder ihre Wohnung renovieren, ehe sie sich wieder um einen Job bemühen. Die wollen wir fordern. Konsequent.
(Hinweis für den Redner: Buh-Rufe wahrscheinlich. Gegenhalten!)
Weniger Lohn
Die große, noch unbeantwortete Frage bleibt natürlich, wie wir neue Arbeitsplätze schaffen. Ich habe mich für Folgendes entschieden: Wir wollen und werden die effektiven Löhne in Deutschland senken! Wir haben das in der Agenda 2010 begonnen, indem wir mehr Eigenleistung bei Rente und Gesundheit verlangen. Das alles belastet die Beschäftigten, aber es entlastet Arbeitgeber.
Das Hartz-IV-Paket schließt direkt daran an: Unser dritter Grund für diese Reform ist, dass Arbeitslose künftig auch Jobs für deutlich weniger Geld annehmen sollen. Ihre Lohnerwartungen werden sinken.
Das wird dann, hoffentlich, noch weitere Folgen für den gesamten Arbeitsmarkt haben. Der vierte und langfristig vielleicht wichtigste Grund für Hartz IV betrifft nämlich die Tarifpolitik. Den Gewerkschaften geben wir das klare Signal, dass hohe Lohnforderungen künftig für ihre Mitglieder sehr riskant sind. Der Verlust des Arbeitsplatzes wird für die Beschäftigten schließlich noch schmerzlicher sein als bisher. Dem Kollegen Jürgen Peters von der IG Metall sage ich deshalb, ..."
Hier bricht die ungehaltene Kanzlerrede leider ab. Angeheftet findet sich bloß noch ein leicht zerknitterter Vermerk aus der SPD-Parteizentrale: "Wenn wir das wirklich so machen, dann können wir die Konsumnachfrage erst einmal vergessen. Dieses Risiko müssen wir vielleicht eingehen. Aber wenn wir das wirklich so sagen, dann gehen unsere Leute erst recht auf die Straße. Der Text gehört deshalb SOFORT in den PAPIERKORB!"
Vermutlich lag dieser Zettel obenauf, als die Putzfrau ins Kanzlerbüro kam. Das würde jedenfalls erklären, wieso die Rede am Spreeufer und nicht im Bundestag gelandet ist.
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