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BILDUNG
Einstürzende Neubauten
Die rot-grüne Innovationsoffensive droht zum Flop zu werden. Bildungsministerin Bulmahn kassiert Rückschläge in Serie. Ihr Glück: Bislang gibt es keinen geeigneten Nachfolger für sie.
Reformen im Kriechgang
Wenn Gerhard Schröder über die Innovationsoffensive der rot-grünen Regierung spricht, bemüht er gern große Worte. Es gehe um nichts weniger, als Deutschland "international auf einen Spitzenplatz" zu setzen, das Land müsse "Forscher aus der ganzen Welt" anziehen, und "wissenschaftliche Erkenntnisse" sollten in "innovative Produkte" umgesetzt werden.
Bislang hat es der Kanzler vermieden, seine Rhetorik der Praxis anzupassen. Seine im Januar bei einer Klausurtagung der SPD in Weimar mit großem Tamtam verkündete Offensive droht zum Flop zu werden. Erfolge sind nicht in Sicht, keines der lauthals angekündigten Ziele ist bislang umgesetzt worden.
Das Scheitern hat ein Gesicht: Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, 53, von Schröder mit dem Management seiner Initiative betraut, stolpert von einer Niederlage zur nächsten. Die Studienrätin, für die es auf der Karriereleiter bislang nur bergauf ging, hat sich verkämpft.
So tief und voller Fleiß hat sich die Ministerin in ihr Sachgebiet eingegraben, dass sie kaum noch in der Lage ist, ihr Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit verständlich zu machen. Immer wieder mahnte der Kanzler Erfolgsmeldungen von der Bildungsfront an. Bislang vergebens.
Sitzung des Bundesrates: Noch mehr Macht für die Länder?
Dabei wird im Bildungsministerium mit einer gewissen Genugtuung registriert, dass sich auch Schröder seine Innovationsoffensive offenbar zu einfach vorgestellt hat. Mit bahnbrechenden Bildungs- und Forschungsprojekten wollte er nach den Zumutungen der Agenda 2010 das Image seiner Koalition beim Wahlvolk aufpolieren. Anspruch und Wirklichkeit liegen bei dem rot-grünen Vorzeigeprojekt freilich weit auseinander.
Bulmahns Hauptproblem sind die Kompetenzverästelungen der deutschen Kleinstaaterei. Der Bundesbildungsministerin ist in diesem System allenfalls eine Nebenrolle zugewiesen, die eigentliche Zuständigkeit liegt bei den Ländern, und die verteidigen ihre Hoheitsgebiete mit allen Mitteln. Wichtige Reformen kommen, wenn überhaupt, nur im Kriechgang voran oder fallen gleich wieder in sich zusammen - einstürzende Neubauten:
* Der groß angekündigte Plan, in Deutschland Spitzenuniversitäten zu etablieren, liegt vorerst auf Eis. Zwar sind sich die Länder mit Bulmahn grundsätzlich einig, ein neues Fördersystem für die Hochschulen aufzubauen. Doch wie das im Einzelnen geschehen soll, ist umstritten. Nun soll bis November eine Lösung gefunden werden.
* Die flächendeckende Einrichtung von Ganztagsschulen kommt nicht voran. Angesichts klammer Kassen haben die Länder wenig Lust, das nötige Lehrpersonal für die Nachmittagsbetreuung der Kinder zur Verfügung zu stellen.
* Bei der Debatte um Studiengebühren herrscht ein heilloses Chaos. Bulmahn will sie unbedingt verhindern, doch ihr Gesetz, das Studiengebühren verbietet, könnte schon bald kippen - eine Reihe von Ländern hat dagegen Klage in Karlsruhe eingereicht.
So viel Misserfolg war selten. Ihre - vorläufig - letzte große Schlappe erlebte Bulmahn am vorigen Dienstag im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe. Mit hängenden Schultern und aschfahl im Gesicht wurde Bulmahn da von Verfassungsrichter Winfried Hassemer zurechtgewiesen - fast wie ein Schulmädchen.
Erst musste sie sich mit den anderen Verfahrensbeteiligten anhören, man möge sich doch bitte bei der Aufrufung der Verfahrensbeteiligten erheben. Dann erklärte Hassemer kühl, Bulmahns Werk zur Einführung der Juniorprofessur an Deutschlands Hochschulen sei "nichtig". Mit einem Satz brach damit ein wichtiger Teil ihrer Bildungsreform in sich zusammen.
"Diakonisse statt Päpstin": Bulmahn-Gegner Goppel
Dabei hatte sich die Ministerin alles so schön ausgedacht: Mit der Juniorprofessur wollte sie jungen Wissenschaftlern bundeseinheitlich einen schnellen Weg zum begehrten Professorentitel ermöglichen - ohne die althergebrachte und langwierige Habilitation. Bulmahns Idee: Durch die Juniorprofessur sollen Uni-Karrieren wieder attraktiver werden.
Doch für die Mehrheit der Karlsruher Richter war klar: Mit ihren detaillierten Vorschriften hat die Ministerin gegen das Grundgesetz verstoßen. Der Bund habe eindeutig seine Regelungskompetenzen überschritten, stellten sie fest und folgten damit der Argumentation der Kläger aus Bayern, Sachsen und Thüringen.
Bulmahn wollten die Richter allenfalls eine Moderatorenrolle zubilligen. Erlaubt sei ihr in der so genannten Rahmengesetzgebung die Formulierung von "Leitbildern", entschieden sie. Und: Wirklich tätig werden dürfte sie nur bei einer "Gefahrenlage" - etwa wenn ein beruflicher Wechsel zwischen den Ländern erheblich erschwert werden würde.
Nach dem Spruch triumphieren die Bulmahn-Gegner in der Union, obwohl sie die Juniorprofessur grundsätzlich befürworten - und zum Teil bereits eingeführt haben. Sie habe sich zur "Päpstin" der Bildungspolitik erheben wollen; nun stehe sie "höchstens als Diakonisse" da, höhnte Bayerns Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU). "Der Kanzler sollte sich fragen, ob er für das, was dem Bund an Restkompetenzen bleibt, überhaupt eine Bundesbildungsministerin braucht."
Und die CDU-Bildungsexpertin Katherina Reiche urteilte freudig erregt: "Für Bulmahn ist das schlicht eine Katastrophe."
Freudig erregt: Bulmahn-Gegnerin Reiche
Experten sehen nach dem Verdikt aus Karlsruhe bereits das gesamte Staatswesen in neuen Bahnen: Der Spruch bedeute eine "weitere Einengung der Befugnisse des Bundes", sagt der Münchner Staatsrechtler Peter Badura. Und das nicht nur bei der Hochschulpolitik, sondern in weiten Teilen der Gesetzgebung des Bundes - vom Wirtschafts- bis zum Umweltrecht.
In den eigenen Reihen löst Bulmahn mit ihrer Serie von Niederlagen mittlerweile nur noch eine Gefühlsregung aus - Mitleid. "Du machst das völlig richtig; wir unterstützen dich", tröstete Vizekanzler Joschka Fischer sie am Tag nach dem Urteil ungewohnt sanftmütig im Kabinett. Die anderen Minister nickten beifällig.
Doch das war's dann auch.
Öffentliche Solidaritätsadressen für die Westfälin sind Mangelware - vor allem aus dem Kanzleramt gibt es selten Zuspruch. Gerhard Schröder und seine Strategen empfinden die Innovationsoffensive trotz aller Rückschläge immer noch als Sieger-Thema, das Optimismus ausstrahlen soll - eine ewig strauchelnde Ministerin Bulmahn können sie da nicht gebrauchen.
Seit Monaten schon wird deshalb in aller Stille nach einer potenziellen Alternative gefahndet. Ein frisches Gesicht soll her, doch bislang verläuft die Talentsuche ziemlich erfolglos.
Schwan: Ideale Besetzung
Gesine Schwan galt als ideale Besetzung: Mit ihrer Popularität und Ausstrahlung hätte die knapp unterlegene Präsidentschaftskandidatin nicht nur Punkte bei den Wählern sammeln, sondern auch die störrischen Länder auf Linie bringen können, glaubte man im Kanzleramt. Doch sie widerstand dem Drängen und sagte ab.
Pech für Schröder, denn auch bei anderen Kandidaten gibt es Probleme. Der frühere hannoversche Wissenschaftminister Thomas Oppermann wird in Niedersachsens SPD dringend gebraucht - echte Talente sind dort rar.
Ähnliches gilt für Doris Ahnen, die 39 Jahre alte Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz. Sie wird zwar immer wieder von den Büchsenspannern im Kanzleramt für höhere Weihen ins Gespräch gebracht. Ob sie sich auf den Schleuderposten in Berlin einlässt, ist jedoch fraglich. In Mainz werden ihr gute Chancen eingeräumt, eines nicht mehr allzu fernen Tages den Landesvater Kurt Beck zu beerben.
Bulmahn loszuwerden dürfte für den Kanzler auch ohne solche Schwierigkeiten gar nicht so einfach sein. Die der Parteilinken angehörende Ministerin ist in der SPD immer noch beliebt. Auf Parteitagen erzielt sie stets blendende Ergebnisse. Und Bulmahn hat sich fest vorgenommen, um ihren Posten zu kämpfen.
Als einen möglichen Weg aus ihrer Krise entdeckte die Ministerin die Föderalismus-Kommission. Das Gremium unter Führung von Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber und SPD-Chef Franz Müntefering bastelt derzeit an einer Reform der deutschen Staatsordnung. Davon will auch Bulmahn profitieren. Ihr Kalkül: Die Kommission soll ihr in der Bildungspolitik mehr Kompetenzen zuschreiben, dann kommen auch die Erfolge wieder.
Ob die Rechnung aufgeht, ist indes fraglich. Denn in der Föderalismus-Kommission könnten die Themen Bildung und Hochschulen im Rahmen eines größeren Deals unter die Räder geraten. Momentan wird dort diskutiert, die Zuständigkeit für die Hochschulpolitik tendenziell noch weiter in Richtung Länder zu verschieben. Übergreifende Regeln soll es nach aktuellem Stand etwa für den Zugang zum Studium, den Studienabschluss sowie die Qualitätssicherung geben.
Bulmahn ficht das nicht an. "Ich weiß sehr präzise, was ich will und was notwendig ist", sagte sie am vorigen Donnerstag. Da saß sie zwischen Hibiskus-Sträuchern und Trimm-dich-Rad in ihrem Büro in Berlin-Mitte und gab sich kämpferisch.
Aus ihrer Sicht hat das Karlsruher Urteil auch Vorteile: Inzwischen hätten wohl alle - auch die Kritiker - erkannt, dass das Thema Innovation eine Mammutaufgabe sei.
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