"Generation nett" hasst nur eines: Den Generationskonflikt
Sie wollen Karriere machen, sie mögen ihre Eltern und den Kapitalismus. Die neue Shell-Jugendstudie präsentiert eine Jugend voller "Ego-Taktiker", HyperRealisten und Ultrapragmatiker Von Sonja Banze Wie lange ist das her? Start-ups in Kinderzimmern, neue Geschäftsideen auf dem Schulhof. Jeder seine eigene Firma. Junge Jungs, die über Monitoren brüteten, in Jeans und T-Shirt Millionen akquirierten. Frisch von der Uni weg, vielleicht auch ohne Uni. Im Strudel der Gegenwart scheint diese jüngste Vergangenheit samt ihrer jugendlichen Zuversicht bis zur Unkenntlichkeit abgetaucht.
Nur: Der Stimmungswechsel scheint in der Jugend nicht angekommen zu sein. Börsenkrise, Pleitebuden, arbeitslos - Depression? Bei den Zwölf- bis 25-Jährigen ist davon keine Spur: "Die Jugendlichen sehen ihre Zukunft so optimistisch wie lange nicht", sagt Klaus Hurrelmann, der im Auftrag von Shell den Zustand der Jugend erforscht hat. Morgen stellt der Ölkonzern seine neueste Jugendstudie vor. Ein Standardwerk, für das im Mai und Juni 2500 Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 25 Jahren befragt wurden. Ein 400-Seiten-Porträt. Wie denkt, wie fühlt die junge Generation. Worauf hofft sie? Wovor hat sie Angst?
Die Antworten sind überraschend: Die junge Generation reagiere nicht "hektisch auf die immer noch ungünstige Arbeitsmarktsituation, sondern ist verhältnismäßig stabil und widerstandsfähig". Von einer "gewissen Geduld" ist zu lesen und von einem "grundsätzlichen Optimismus, mit dem die Jungen ihre Perspektiven sehen".
Zwar werde "selbstverständlich" registriert, dass es Schwierigkeiten gibt, einen Job zu finden, das führe aber nicht zu Angstmentalität, Unsicherheit oder gar Verzweiflung. Hurrelmann: "Die Mehrzahl ist nicht existenziell beunruhigt. Sie geht davon aus, dass man sich schon durchboxen werde, und dass der, der etwas erreichen will, das auch tun kann". Typisch: "eine auf die eigene Kraft und Fähigkeiten orientierte freundliche Zukunftsperspektive".
Etwas erreichen wollen sie. Das, was die Eltern auch haben. Leben in Wohlstand mit eigenem Haus, Auto, Geld genug für alles, was man will, Zusammenleben in einer "liebevollen Beziehung", Kinder - Jugendforscher Hurrelmann: "Die Eltern sind soziale Muster. Man findet das gut, wie die das gemacht haben und stellt sich das eigene Leben auch so vor."
Die haben sich das verdient, die Eltern. Hurrelmann sieht nach der Shell-Studie eine "erstaunliche Befriedung in den Generationsbeziehungen". Wurden früher gerne und oft die Privilegien der Elterngeneration attackiert, gelten sie jetzt als interessant und vorbildlich. Der blockierte Arbeitsmarkt, die Schlagseite in der generationsvertraglich finanzierten Rente - all das werde "wahrgenommen, aber nicht als bedrohlich eingeschätzt". Die Eltern, so finden die Kinder, hätten sich ihre Privilegien erarbeitet und folglich zu Recht. Mit der - angesichts der objektiv gegebenen Schwierigkeiten - "erstaunlichen Geduld" könnte es nach Ansicht der Jugendforscher erst dann vorbei sein, "wenn die Benachteiligung über längere Zeit anhält und junge Leute auch in den nächsten Jahren keinen Zugang zum Arbeitsmarkt finden und sie nicht das umsetzen können, was sie auf dem Kasten haben."
Denn das ist ihnen das Wichtigste, den Jugendlichen: das eigene Vorankommen. Keine Generation der Aufbrüche und Proteste, gar ideologisch unterfütterter, sondern: Karriere. Die schnell gemachten Millionen der vergangenen Jahre, die Traumjobs mit Traumgehalt, der Porsche als incentive für den 19-jährigen Web-Designer - geblieben davon ist eine Jugend, die viel erreichen will, aber mit "erstaunlichem Realitätssinn", keine "überzogenen Vorstellungen", die noch weiß, dass sie dafür hart arbeiten muss und die dazu auch bereit ist. Diagnose: "Leistungsbereitschaft und Motivation außerordentlich, Prinzip der Leistungsgesellschaft verinnerlicht." Die Phantasie hört beim Passat auf.
Lernen, leisten, sich anstrengen, Chancen suchen, sondieren, durchsetzen. Was bedeutet das für mich, was habe ich davon, mache ich das, mache ich das nicht? "Es wird taktiert zum eigenen Vorteil, das Ego ist dabei der Dreh- und Angelpunkt", sagt Hurrelmann. "Ego-Taktiker", nennt er die jungen Menschen von heute, meint das aber nicht böse. Im Gegenteil: Der Soziologe aus Bielefeld sieht einen "sehr sympathischen Menschen", einen, der "etwas machen und bewegen will", zu seinem eigenen Vorteil, aber auch wieder nicht zum Nachteil anderer. Selbstbezogen und selbstbewusst ja, aber auch kein karrieresüchtiger Egoist. "Eine sehr konstruktive Mentalität, aber keine, bei der man um sich schlägt oder bei der man irgendwo scharf angreift", aber auch wieder kein langweiliger Opportunist. Generation nett.
Frauen wie Männer. "Deutlicher denn je" zeigt die Shell-Studie in diesem Jahr zudem, dass die Frauen mit den Männern gleichziehen: "Diese Frauengeneration ist eine richtige Aufsteigergeneration, sie will es wissen", erläutert Jugendforscher Hurrelmann. Auszug aus der Statistik: Seit zwei Jahren machen mehr Mädchen Abitur als Jungs, sie waren schon immer stärker in der Realschule, lassen sich dagegen in den Hauptschulen nicht mehr sehen, während der Anteil der Jungs dort um die 60 Prozent liegt, und seit zwei Jahren fangen genauso viel Frauen an zu studieren wie Männer. "Die Frauen kommen mit hoher Leistungsmotivation und werden bald eine richtige Konkurrenz für die jungen Männer sein." Denn: Jede Frau will arbeiten und bloß nicht gleich Mutter werden.
Kinder? Auf jeden Fall, aber der berufliche Erfolg soll dafür höchstens kurzfristig unterbrochen werden. Das alles zu vereinbaren wird als reines "Managementproblem" gesehen, bei dem die Frauen "ahnen, dass sie am Ende die ganze Verantwortung tragen werden", was sie aber, so Hurrelmann, "in ihrer Lebensplanung noch bewusster macht, während die Männer das so auf sich zukommen lassen".
Ossis wie Wessis. Auch die Unterschiede zwischen Ost und West schmelzen, so die Studie, langsam dahin zum gerade noch Graduellen. Hurrelmann: "Es ist den ostdeutschen Jugendlichen nicht entgangen, dass die Entfaltungschancen in Ost immer noch schlechter sind." Daraus folgt: Die Zukunftsperspektiven werden etwas trüber gesehen, nicht ganz so positiv wie im Westen, und die Ossi-Jungs und -Mädels neigen eher zu rechtsextremen Protesthaltungen. In drei bis fünf Jahren dürften sich diese Differenzen aber erledigt haben.
Die Jugend, so scheint es, hat ihren Frieden gemacht mit Leistungsgesellschaft und Kapitalismus, auch wenn der gerade mal tief in der Krise steckt. Die Shell-Studie sieht keine Anzeichen für ein in Krisenzeiten typisches Ausweichen nach Rechts oder Links, von einer "aggressiven Bekämpfung des Systems". Jugendforscher Hurrelmann entdeckt nur ein "ganz kleines Potenzial" von Rechtsextremen sowie eine "kleine, sehr engagierte und kompakte" Anti-Globalisierungsbewegung, die sich um die Organisation Attac schart. Beides sei aber nicht typisch für große Gruppen der jungen Generation.
Denn die große Gruppe findet Globalisierung gut: "Im Hinblick auf die Globalisierung gibt sich Jugend pragmatisch und offen", steht in der Shell-Studie. Nur 13 Prozent sehen im Globalen eher Nachteile. 23 Prozent finden eher Vorteile, 48 Prozent sehen Chancen und Risiken. Die Jugendlichen sähen im Ausland neue Möglichkeiten für Studium und Karriere und finden, dass das Leben durch die Globalisierung "interessanter und vielfältiger" werde. Einziger Haken: Die verstärkte Zuwanderung und der damit mögliche Verlust von Arbeitsplätzen.
Neue Chancen für sich finden die Jugendlichen auch in Europa. Im Gegensatz zur Europagleichgültigkeit bis -skepsis der älteren Generation mögen die Jugendlichen die Europäische Union und hegen keine nationalstaatlichen Vorbehalte. 47 Prozent von ihnen sprechen sich sogar dafür aus, dass die EU sich zu einem eigenen Staat entwickeln soll. Ähnliches gilt für die bei anderen auch nicht so gern gesehene Osterweiterung der Union. 44 Prozent finden die "gut", 32 Prozent finden die "nicht so gut" und "nicht so gut" ist nicht so schlimm.
Weniger Scheu als die Alten haben die Jungen auch, was die Rolle Deutschlands in der Welt angeht. 42 Prozent finden, dass Deutschland seine Interessen in der Welt derzeit "gerade richtig wahrnimmt", 31 Prozent finden, die Deutschen sollten noch viel selbstbewusster auftreten, gerne auch im Verbund mit den USA. 36 Prozent finden die deutsch-amerikanische Kooperation so, wie sie gerade ist, gut, 21 Prozent finden, es dürfte ruhig noch ein bisschen mehr sein. Weniger eng: 23 Prozent.
Und so sind denn auch 46 Prozent der Jugendlichen für eine Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Einsätzen. 29 Prozent sind dagegen, 25 Prozent unschlüssig. Die Zustimmung in den alten Ländern ist mit 49 Prozent höher als im Osten (38 Prozent). 48 Prozent der Jugendlichen wollen allerdings lieber eine Berufsarmee als allgemeine Wehrpflicht. Klar, zwölf Monate beim Bund halten auf beim Karrieremachen.
Bundeswehr gut, Globalisierung gut, Europa gut, Deutschland gut, USA gut. Alles gut. Weil: im Grunde alles egal. Denn in Wahrheit interessiert sich, zu diesem Ergebnis kommt die Shell-Studie, nur ein Drittel der Jugendlichen überhaupt noch intensiv für Politik.
Und wenn, dann nur für "Themen im Nahbereich", so die Jugendforscher. Die großen Themen der Weltpolitik seien nicht vordringlich, wichtiger sind dem Ego-Taktiker Fragen, die ihn persönlich und seine Chancen in der Gesellschaft betreffen: Schule, Uni, Studiengebühren, Arbeitsmarkt.
Keiner der etablierten Parteien trauen die Jugendlichen zu, die Probleme wirklich zu lösen. Und so haben gerade mal 40 Prozent der jetzt 18-Jährigen sicher vor, am 22. September zur Wahl zu gehen, 30 Prozent halten es für wahrscheinlich. Am Ende, so glaubt Jugendforscher Hurrelmann, würden gut zwei Drittel wählen, was deutlich unter der Wahlbeteiligung bei älteren Generationen liege.
Die gute Nachricht für Schröder und Stoiber: Die Jugendlichen trauen ihnen zwar nicht viel zu, sie rennen aber auch nicht den kleinen Protestparteien hinterher. Das heißt: Kanzler und Kandidat könnte es gelingen, die Jugendlichen wieder für sich zu gewinnen. Wie? Siehe oben.
So denken die Jugendlichen über ...
... die Bundestagswahl
40 Prozent der Erstwähler werden am 22. September "sicher" zur Wahl gehen, 30 Prozent "wahrscheinlich"
... die Rolle Deutschlands in der Welt
42 Prozent glauben, dass Deutschland seine Interessen in der Welt gerade richtig wahrnimmt. 31 Prozent finden, Deutschland könnte noch selbstbewusster auftreten. 11 Prozent wünschen sich leisere Töne
... Deutschland und die USA
36 Prozent wollen, dass Deutschland künftig wie bisher mit den USA zu-sammenarbeitet. 21 Prozent wünschen sich eine engere Zusammenarbeit. 23 Prozent sähen das Verhältnis gern weniger eng
... die Wehrpflicht
48 Prozent der Jugend-lichen sind gegen die allgemeine Wehrpflicht und für eine Berufsarmee
... Europa
47 Prozent sagen Ja zu einem einheitlichen euro-päischen Staat, 26 Prozent sagen Nein 44 Prozent finden die EU-Osterweiterung "gut", 32 Prozent "nicht so gut"
... die Globalisierung
48 Prozent sehen sowohl Vor- als auch Nachteile; 23 Prozent eher Vorteile; 13 Prozent eher Nachteile; 67 Prozent finden, dass ihr Leben durch die Globalisierung interessanter wird; 76 Prozent sehen für sich persönlich im Ausland neue Chancen
|