Die große Leere Nicht nur das Gerede über den Arbeitsmarkt hat Symbolkraft für die Dekadenz der Führung unseres Landes - Gastkommentar
Von Brigitte Seebacher-Brandt
Je größer die Langeweile, desto länger der Abzählvers. Wechselstimmung - ja, nein, ja, nein ... Man konnte zählen, solange man wollte, ein Ende fand sich nicht und nicht mal ein Begriff dessen, was wechseln sollte. Da kam das Hochwasser gerade recht. Der Politik, die keinen neuen Stoff mehr fand. Den Medien, die diese Leere kongenial begleiteten. Dem Publikum, das sich grauste und abwandte. Und nun? Keine Sorge. Mit jedem fallenden Pegel wird die Ödnis wieder steigen. In gleichem Maß, in dem sich herausstellt, dass Worte, Worte, Worte und Bilder, Bilder, Bilder auch - oder gerade - aus einem solchen Anlass nur verdecken, dass schaurige Übertreibung die Kehrseite mangelnden Ernstes ist. Man reibt sich die Augen! Eines der reichsten Länder der Welt hat keine Rücklage für Katastrofen? Und keinen zentralen Katastrofenschutz? Und will das alles auch jetzt nicht schaffen? Mut auch nur zu einer solchen Tat? Wo soll der herkommen, wenn jeder jedem wohl und niemandem weh tun will. Wenn kein Schnitt gewagt, die Steuersenkung hinausgeschoben und die wirtschaftliche Erholung unmöglich gemacht wird? Wenn Ausweis politischer Geschicklichkeit ist, den Teufel mit Beelzebub auszutreiben und im übrigen den Ton des Small Talks zu halten? Wenn nur noch Konsens und Vermittlung zählen, und es auf Substanz nicht mehr ankommt? Nicht nur das Gerede über den Arbeitsmarkt hat Symbolkraft für die Dekadenz der Führung unseres Landes.
Außer Katastrofen, die nicht nicht so katastrofal sind, als dass sie nicht schön unterhalten könnten, regt nichts mehr auf. Nicht der arbeitsmarktpolitische Last-Minute-Trip, der alle Verantwortlichkeiten aufhebt. Nicht die "Fünfte Kolonne", mit der dieselben Leute verdammt werden, die sich zuvor schönster Schmeicheleien erfreuen durften. Und nicht einmal der "Deutsche" Weg, der ein besonders starkes und unappetitliches Stück ist. Zeigte sich nicht Schaum vorm Mund, wenn nationaler Stolz bemüht wurde, und sollte nicht Deutschland, wenn schon dessen Einheit nicht zu verhindern war, in Europa aufgehen? Jetzt plötzlich wird die deutsche Karte gezogen, und dafür müssen auch noch die Altvorderen herhalten! Die aber hatten sich ja gerade geweigert, Deutschland und Europa gegeneinander auszuspielen, und gewusst, wie man sich Einfluss verschafft.
Rotgrüne Ausfälle und Ausfälligkeiten wären als Begleitgetöse des Untergangs abzutun, böte die Union Programm und Parole über den Augenblickstalk hinaus. Welchen Weg in die Welt soll Deutschland nehmen? Welches Europa mit wessen Geld betreiben? Was will sie der sozialen Regression, die in Wahrheit betrieben worden ist, entgegensetzen? Das Versprechen, die Rente sei sicher, die Gesundheit gewährleistet und jeder Arbeitslose vermittelbar? Oder gilt jetzt der Schwindel der Windkraft als Ausweis von Modernität? Gesellschaftliche Entwürfe gibt die Zeit schon lange nicht mehr her. Sie werden ebenso wenig verlangt wie Lagermentalitäten und Kulturkämpfe. Umso mehr aber gilt, dass den neuen Realitäten, die so neu nun auch nicht mehr sind, Rechnung getragen und konkrete Fragen mit konkreten Antworten bedacht werden. Die angstvolle Gegenfrage, ob nicht Allgemeinplatz und Ausweichmanöver, schwarzes Haar und braune Haut den Sieg herbeiführen, hängt einem lang zum Halse raus. Im politischen Leben hat sich in den vergangenen Jahren unendlich viel verändert. Ein Grundsatz aber ist geblieben: To govern is to choose.
Die Gesetze der Mediengesellschaft werden in Deutschland gleich doppelt missverstanden. Erstens bleiben Bilder solange nicht haften, wie sie der Aussagekraft entbehren. Käme es nur auf Bilder an und auf Gebärden, die Deutschen müssten begeistert sein vom Wahlkampf! Zweitens wird beim Hineinhorchen in Volkes Stimme immer nur das herausgehört, was man heraushören will. Also so gut wie nichts. Fixiert auf das eine glatte Bild wissen unsere Volksvertreter überhaupt nicht mehr, was im Volk vorgeht, oder plappern nach, was die Interessen-Gruppen vorreden. Sei's über Ausländer, die man alle integrieren will. Sei's über Ausbildungsplätze, die es angeblich nicht gibt. Ein Bäckermeister, der keinen frühaufstehenden Lehrling mehr findet? Ein Malermeister, der einen Schulabgänger mit Lese- und Schreibkenntnissen sucht? Wird alles wegretuschiert.
Vor vier Jahren landeten die Sozialdemokraten einen Sieg, weil die Sterne günstig standen und sie selbst eine gewisse Geschicklichkeit an den Tag legten. Der Sieg entsprach nicht ihrer schwindenden inneren Kraft und zerrann binnen Wochen. Der spätere Zuspruch war den Unionsspenden geschuldet, die ihrerseits Ausdruck einer tieferen Krisis waren. Die wird aufbrechen, wenn Stoiber und Merkel regieren, wie sie jetzt, die Regierung übertrumpfend, Wahlkampf machen. Aber was dann?
Brigitte Seebacher-Brandt lebt und arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main.
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